«16 Tage gegen Gewalt an Frauen*»: Vom 25. November bis zum 10. Dezember organisiert die feministische Friedensorganisation cfd verschiedene Aktionen, um auf geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam zu machen. Aus diesem Anlass wollten wir von unseren Leserinnen wissen: Hast du Gewalt gegen dich als Frau erlebt?
Über 50 Schicksale erreichten uns. Die meisten Betroffenen möchten anonym bleiben – das Thema ist für viele Frauen mit Scham behaftet, obwohl die Schuld beim Täter liegt.
Eine, die offen darüber spricht, ist BLICK-Leserin Michaela (50). Sie wurde über Jahre hinweg von ihrem Vater sexuell genötigt. Nun ist es ihr ein Anliegen, das Thema zu enttabuisieren und so Betroffenen eine Stimme zu geben.
«Wenn jemand davon erfährt, kommst du ins Heim»
Bereits als Kind erlebt Michaela über mehrere Jahre Gewalt auf allen Ebenen. «Ich wurde mit der Hand, mit dem Teppichklopfer oder dem Lederriemen von meinem Vater geschlagen», sagt sie. Manchmal drückt er ihr auch den Mund und die Nase zu. Am schrecklichsten ist aber die sexuelle Gewalt. «Am Anfang passierte es alle paar Wochen, mit der Zeit wurden die Abstände kürzer», erinnert sich Michaela.
Auch ihre ältere Schwester wird misshandelt. «Egal wann, egal wo – wenn der Vater Sex wollte, mussten wir Kinder spuren.» Ab einem gewissen Punkt versucht Michaela, sich zu wehren: «Wenn er mir seinen Penis in den Mund rammte, benutzte ich meine Zähne», sagt sie. «Dann knallte er mir eine.»
Damit die Übergriffe nicht ans Licht kommen, schüchtert der Vater seine Tochter ein. «Wenn jemand davon erfährt, kommst du ins Kinderheim», droht er. Oder: «Wenn du davon erzählst, werde ich dich finden und dafür sorgen, dass du es niemandem mehr erzählen kannst.»
«Er bot mir Geld für Sex»
Um sich zu betäuben, nimmt die damals noch Minderjährige Medikamente. «Ich ekelte mich vor mir selbst und vor meinem Körper», sagt Michaela. Mit 16 reisst sie von zu Hause aus. Nach diesem Wochenende wendet sich das Blatt: «Er wusste danach, dass ich nicht mehr still halten werde.» Sie erzählt ihm ausserdem, dass sie einen Freund habe – einen Schwinger, der grösser und stärker sei als er. Kurz darauf trennen sich die Eltern.
Seither war sie nie wieder allein mit ihrem Vater. Trotzdem suchte dieser nach weiteren Gelegenheiten für Übergriffe. «Er bot mir sogar Geld für Sex an», sagt Michaela. Ständig stellt er seiner Tochter nach. Als er im Restaurant, in dem sie die Lehre absolviert, auftaucht, versteckt sie sich in der Küche und erzählt ihrer Chefin ihre Leidensgeschichte. Diese erteilt ihm Hausverbot.
Auf dem Sterbebett zeigt der Täter Reue
Später heiratet der Vater ein zweites Mal. Die Frau ist nur drei Jahre älter als seine Tochter. Michaela will sie warnen: «Wir erzählten, was uns passiert ist, worauf mein Vater sehr aggressiv wurde.» Er zieht mit seiner zweiten Ehefrau zurück nach Deutschland, zeugt drei Mädchen mit ihr. «Sie hatten leider auch keine schöne Kindheit», sagt Michaela.
Kurz vor seinem Tod sieht der Vater seine Fehler doch noch ein. «Er sagte mir, dass er sich das nicht verzeihen kann», so Michaela. Trotzdem berücksichtigt er die Kinder aus erster Ehe in seinem Testament nicht. «Er hat es geschafft, dass wir in seinem letzten Willen gar nicht existieren.»
Das Opfer bezahlt, der Täter bleibt unbestraft
Jahrelang kämpft Michaela mit Depressionen, Panikattacken und Selbstmordgedanken. Heute lebt die 50-Jährige ein relativ gefestigtes Leben. Die Traumata arbeiten sie und ihre Schwester aber immer noch auf – auf eigene Kosten: «Wir haben all unsere Therapien selbst bezahlt», sagt sie. Psychiatrische Behandlung hilft ihr persönlich nicht nachhaltig. Michaela wendet sich lieber an Naturheilpraktiker, die aber weder von der Krankenkasse noch von der Opferhilfe bezahlt werden. Dass sie als Leidtragende alles selbst berappen muss, während der Täter ungestraft davon kommt, schmerzt sie.
Nun möchte Michaela Mädchen und Frauen in ähnlichen Situationen Mut machen, aus der Gewaltspirale auszusteigen. «Meine Vision ist es, eine Plattform anzubieten, auf der Opfer unbürokratisch Unterstützung bekommen», sagt sie. Ihr schwebt ein Team von Ansprechpartnerinnen vor, die genau wissen, wie sich Betroffene fühlen. Die Finanzierung ist noch offen, es handelt sich aber um eine Herzensangelegenheit: «Für mich war es ein langer Weg», sagt Michaela. «Ich möchte denjenigen, die mittendrin stecken, eine Hand bieten.»
Weitere Leidensgeschichten von BLICK-Leserinnen, die geschlechtsspezifische Gewalt durchleben mussten, siehst du oben in der Galerie.
Die Opferhilfe Schweiz berät Betroffene von sexualisierter Gewalt kostenlos und vertraulich. Die Adressen zu den kantonalen Beratungsstellen finden sich unter opferhilfe-schweiz.ch. Die Dargebotene Hand ist unter der Telefonnummer 143 rund um die Uhr für Menschen da, die ein unterstützendes Gespräch wünschen. Die Anrufe bleiben anonym.
Die Opferhilfe Schweiz berät Betroffene von sexualisierter Gewalt kostenlos und vertraulich. Die Adressen zu den kantonalen Beratungsstellen finden sich unter opferhilfe-schweiz.ch. Die Dargebotene Hand ist unter der Telefonnummer 143 rund um die Uhr für Menschen da, die ein unterstützendes Gespräch wünschen. Die Anrufe bleiben anonym.
Laut einer Studie von gfs.bern werden 59 Prozent aller Frauen in der Schweiz im Laufe ihres Lebens Opfer sexueller Belästigung. Am häufigsten kommt dies in Form unerwünschter Berührungen, Umarmungen oder Küsse vor. Als Ort nannten die meisten Befragten die Strasse und den öffentlichen Verkehr. Danach folgt sexuelle Belästigung in Bars oder Clubs.
22 Prozent der befragten Frauen erlebten ungewollt sexuelle Handlungen. Dabei spielte häufig die Angst vor Konsequenzen eine Rolle. Sieben Prozent wurden durch Gewalt, also durch Festhalten oder Zufügen von Schmerzen, zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
Die Ergebnisse der Studie basieren auf einer repräsentativen Befragung von 4’495 Frauen ab einem Alter von 16 Jahren.
Laut einer Studie von gfs.bern werden 59 Prozent aller Frauen in der Schweiz im Laufe ihres Lebens Opfer sexueller Belästigung. Am häufigsten kommt dies in Form unerwünschter Berührungen, Umarmungen oder Küsse vor. Als Ort nannten die meisten Befragten die Strasse und den öffentlichen Verkehr. Danach folgt sexuelle Belästigung in Bars oder Clubs.
22 Prozent der befragten Frauen erlebten ungewollt sexuelle Handlungen. Dabei spielte häufig die Angst vor Konsequenzen eine Rolle. Sieben Prozent wurden durch Gewalt, also durch Festhalten oder Zufügen von Schmerzen, zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
Die Ergebnisse der Studie basieren auf einer repräsentativen Befragung von 4’495 Frauen ab einem Alter von 16 Jahren.