Blinde Kinderwut
Was tun, wenn das Kind zuschlägt?

Viele Eltern von Kleinkindern kennen die Situation: Das Kind gerät ausser Rand und Band – und schlägt zu. Warum Kleinkinder dies tun und wie Eltern am besten reagieren, weiss Dino Demarchi von Pro Juventute. Und übrigens: Buben hauen nicht häufiger als Mädchen.
Publiziert: 11.06.2025 um 14:15 Uhr
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Aktualisiert: 11.06.2025 um 15:20 Uhr
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Wenn das eigene Kind auf andere losgeht, sind Eltern oftmals ratlos.
Foto: Getty Images

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Maja ZivadinovicFreie Journalistin Service-Team

Blick: Dino Demarchi, hat man als Eltern etwas falsch gemacht, wenn das eigene Kind zuhaut?
Nein. Dieses Verhalten gehört zur Autonomiephase. Wichtig ist nicht, ob ein Kind haut, sondern wie die Erwachsenen darauf reagieren. Für uns wirken solche Ausbrüche unerwartet, aber sie haben klare Gründe: Kinder tun sich oft schwer damit, sich an Neues zu gewöhnen, oder sie überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten. Wenn dann etwas nicht klappt, kann das grosse Frustration auslösen – und sich in körperlichen Reaktionen wie Hauen zeigen.

Wutanfälle sind also normal?
Ja. In der Autonomiephase beginnen Kinder zu merken, dass sie eigenständige Personen sind. Sie wollen Dinge selbst bestimmen und stossen dabei oft an Grenzen – zum Beispiel, wenn sie etwas nicht dürfen oder etwas nicht schaffen. Kleinkinder haben noch nicht gelernt, Gefühle zu regulieren, und ihre Empathiefähigkeit ist nicht vollständig entwickelt. Sie verstehen nicht, wenn sie anderen wehtun. Sie brauchen die Unterstützung von Erwachsenen, um zu lernen, ihre Gefühle anders auszudrücken.

Dino Demarchi von Pro Juventute setzt bei schlagenden Kindern auf Veständnis statt Bestrafung.
Foto: zVg

Wie reagiert man richtig, wenn das Kind in blinder Wut auf Mama oder Papa eindrischt?
Am wichtigsten ist es, ruhig und konsequent zu bleiben. Eltern sollten klar signalisieren, dass körperliche Aggression nicht in Ordnung ist: «Ich sehe, dass du wütend bist. Das ist okay, aber andere schlagen ist nicht in Ordnung.» Man kann dem Kind Alternativen bieten, zum Beispiel in ein Kissen zu hauen oder einen Gegenstand zu werfen, der nichts kaputt macht. Solche Strategien müssen immer wieder geübt werden, damit das Kind sie in der nächsten Wutsituation anwenden kann.

Und dann?
Nicht jedes Kind braucht in diesen Momenten dasselbe. Manche Kinder suchen Nähe, andere möchten lieber alleine sein. Auf alle Fälle sollte man in unmittelbarer Nähe verfügbar bleiben. Falls man kurz den Raum verlassen muss, sollte man dem Kind sagen, dass man bald wiederkommt, und alles wegräumen, woran das Kind sich unter Umständen verletzten könnte. Wenn sich das Kind beruhigt hat, ist dies ein guter Moment, um es in dem Arm zu nehmen. Es hilft, danach über die Emotionen zu sprechen. So versteht das Kind, dass Wut zwar vorkommt, aber dass es geliebt wird – egal, wie stark die Gefühle waren.

Wie reagiert man, wenn das eigene Kind auf andere losgeht?
Ruhig und klar eingreifen. Es hilft, das Kind zu sich zu nehmen, seine Gefühle zu benennen, Verständnis zu signalisieren und gleichzeitig Grenzen aufzuzeigen: «Ich sehe, dass du wütend bist, aber beissen ist nicht erlaubt.» Genauso wichtig ist es, die Ursache für das aggressive Verhalten zu verstehen. War das Kind frustriert, eifersüchtig oder fühlte es sich ungerecht behandelt? Vielleicht war es unsicher oder wollte Aufmerksamkeit? Eltern können ihr Kind fragen, wie es sich in der Situation gefühlt hat, und erklären, welche Reaktionen angemessen sind und welche nicht.

Soll man ein Kind fürs Schlagen bestrafen?
Durch Bestrafung lernt es nicht, warum sein Verhalten nicht angemessen war. Der Fokus sollte darauf liegen, dem Kind zu helfen, seine Gefühle anders auszudrücken. Man kann zum Beispiel mit dem Kind darüber reden, was es jetzt tun könnte, damit sich das andere Kind wieder wohlfühlt. Kinder lernen unter anderem durch Nachahmung und Wiederholung. Wenn die Eltern ruhig und respektvoll reagieren, gibt das dem Kind ein Vorbild für den richtigen Umgang mit Gefühlen.

Aber das schlagende Kind sollte sich schon beim geschlagenen entschuldigen, oder?
Manche Kinder brauchen erst mal Abstand, um sich wieder zu fangen. Wichtig ist, dass sie in diesem Moment Verständnis erfahren und wissen, dass die Situation sich bald beruhigen wird. Manchmal hilft es, das Kind in den Arm zu nehmen oder mit einem ruhigen Spiel abzulenken. Wenn es sich beruhigt hat, kann man in Ruhe darüber reden. Es ist gut, mit dem Kind zu besprechen, was man nun tun könnte, um es wieder gut zu machen. Ausserdem sollten Eltern die Konflikte ihres Kindes nicht zu ihren eigenen machen. Es hilft, mit den anderen Eltern zu sprechen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. So bleibt die Situation entspannter für alle Beteiligten.

Schlagen Buben häufiger als Mädchen?
Studien zur frühkindlichen Aggression bestätigen das nicht. Jedes Kind ist anders. Auch wenn es die gleichen Entwicklungsschritte durchläuft, sehen diese bei jedem Kind etwas anders aus.


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