Insekten auf dem Speiseplan
Die Kuh der Zukunft hat sechs Beine

Eiweiss- und vitaminhaltig: Insekten könnten zu Proteinlieferanten der Zukunft werden. Sofern das neue Lebensmittelgesetz grünes Licht gibt.
Publiziert: 03.10.2016 um 11:09 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:11 Uhr
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Lecker! Insekten bieten eine gesunde Alternative als Eiweisslieferanten. Schon bald könnten sie auf unseren Tellern landen.
Foto: Keystone
Birgitta Willmann

Essbare Insekten sind Proteinlieferanten der Zukunft

Sie heissen Acheta domesticus, Locusta migratoria und Tenebrio molitor. Zu gut Deutsch Heimchen, Wanderheuschrecke und Mehlwurm – sie sind Insekten. Ihre Gemeinsamkeit: Wenn alles gut läuft, werden sie mit einiger Sicherheit 2017 in der Schweiz in die Liste der neuen Lebensmittelverordnung aufgenommen. Mit anderen Worten: Ihr Verzehr für den Menschen wird legal.

Für Jürg Grunder, der an der Zürcher ZHAW die Forschungsstelle Phytomedizin leitet, ein Grund, optimistisch nach vorne zu schauen. Denn er und sein Forscherteam haben sich zum Ziel gesetzt, den Verzehr von Insekten sozusagen gesellschaftsfähig zu machen. Aus Überzeugung: Sie glauben, dass die Tiere in Zukunft dazu beitragen könnten, die Menschheit mit Proteinen zu versorgen. «Die Kuh der Zukunft hat sechs Beine», sagt der Professor und hält eine Schachtel hoch, aus der ein vielstimmiges Konzert erklingt. Es sind Grillen, «Heimchen», die er als Anschauungsmaterial mitgebracht hat. Noch werden sie vor allem als Futtermittel für Heim- und Zootiere gebraucht.

Schweiz als Vorreiter in der EU

Doch Schweizer Unternehmen und Wissenschaftler sehen in den Insekten weit mehr als Futter, sie wollen mit ihren Forschungsarbeiten die Schweiz als erstes Land in der EU positionieren, in dem Eiweiss von Insekten in Lebensmitteln verwendet und verarbeitet werden kann. Denn dieses ist, davon ist Grunder überzeugt, nicht nur gesund, fettarm und vitaminreich, sondern auch wesentlich umweltfreundlicher zu erzeugen. «Insekten zu züchten, braucht weniger Land und Wasser als Viehzucht, und sie sind obendrein gute Futterverwerter», sagt der Forscher.

Mit seiner Haltung steht er nicht allein, auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hebt in ihrem aktuellen Bericht die ökologischen Vorteile von Insekten als Eiweisslieferanten hervor. Auch wenn dort betont wird, dass in Hinsicht Sicherheit noch viele Fragen offen seien.

Fragen, über die man in China, Kolumbien oder Thailand vermutlich lacht. Denn was für uns in Mitteleuropa exotisch klingt, ist dort normal. Insekten aller Arten gelten als Delikatessen, werden frittiert, gekocht oder gegrillt. Doch bei uns ist man zurückhaltend, daran haben auch Unternehmen wie zum Beispiel das Start-up Essento oder die InSnekt GmbH, welche Crostini, Burger oder andere Snacks mit Insekten entwickelt haben, nichts ändern können – so richtig warm wird der Grossteil der Bevölkerung nicht beim Gedanken an Krabbelgetier auf dem Teller.

Insekten sollen Fleisch nicht ersetzen

Müssen sie aber auch nicht, wie Urs Fanger meint. «Ich gehe nicht davon aus, dass Insekten Fleisch ersetzen können oder sollen», sagt der Ingenieur für Biotechnologie, der in seinem Unternehmen Entomos in Grossdietwil derzeit Heuschrecken oder auch Mehlwürmer und andere Insekten züchtet. Freilich zur Verfütterung an Heimtiere.

Auch er ist zutiefst davon überzeugt, dass die eiweissreichen Insekten zu einem festen Bestandteil unserer Ernährung werden können. In welcher Form auch immer. «Es wird zwei Gruppen geben», meint auch Grunder, «diejenigen, die Tiere als Ganzes essen, andere werden die extrahierten Proteine zu sich nehmen.» Und Fanger ergänzt: «Als Crevetten aufkamen, hatten viele Mühe mit dem ersten Biss», sagt er, «von Sushi mit rohem Fisch ganz zu schweigen.» Heute seien beide eine Delikatesse, «warum sollte es also nicht möglich sein, die Leute an Insekten heranzuführen?»

Nun ist es an der Politik

Zunächst aber schauen alle gebannt nach Bern, wo die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Mehrmals wurde das Inkrafttreten des neuen Lebensmittelgesetzes verschoben, aktuell sieht es so aus, als wären die letzten Hürden beseitigt. «Wir erwarten, dass es spätestens Anfang 2017 verankert ist», sagt Fanger. Dann, so hoffen Wissenschaft und Wirtschaft gleichermassen, werden Hausgrille, Wanderheuschrecken und Mehlwürmer explizit als Lebensmittel zugelassen und für den Handel freigegeben.

Die Zeichen aus Bern stünden gut. Und ein bisschen stolz ist Fanger auch darauf, dass die Schweiz für einmal eine Vorreiterposition innerhalb der EU-Gesetzgebung einnehmen würde. «Wir sind dann das erste Land in Europa, das Insekten als Lebensmittel auf Gesetzebene zulässt.» Die Chancen für ein Aha-Erlebnis der Konsumenten beim ersten Biss in einen Insektensnack stehen also gut.

Revision des Lebensmittelrechts: Projekt Largo

2014 wurde ein neues Lebensmittelgesetz verabschiedet, das bezweckt, das bestehende Schweizer Recht dem der EU anzugleichen und damit Handelshemmnisse abzubauen. Zugleich ermöglicht es aber auch spezifische Schweizer Lösungen. Da Insekten bislang nicht in Lebensmittel verarbeitet werden durften und vollständig erkennbar sein mussten, hoffen innovative Unternehmen nun, dass diese Regelung aufgehoben wird. Damit wird es dann möglich, zunächst einmal die drei Arten Mehlwurm, Wanderheuschrecke und Grille zu verarbeiten.
www.zhaw.ch
www.essento.ch
www.entomos.ch

2014 wurde ein neues Lebensmittelgesetz verabschiedet, das bezweckt, das bestehende Schweizer Recht dem der EU anzugleichen und damit Handelshemmnisse abzubauen. Zugleich ermöglicht es aber auch spezifische Schweizer Lösungen. Da Insekten bislang nicht in Lebensmittel verarbeitet werden durften und vollständig erkennbar sein mussten, hoffen innovative Unternehmen nun, dass diese Regelung aufgehoben wird. Damit wird es dann möglich, zunächst einmal die drei Arten Mehlwurm, Wanderheuschrecke und Grille zu verarbeiten.
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