Darum gehts
- Gorgona ist die letzte Gefängnisinsel Europas
- Häftlinge produzieren auf der 2,2 Quadratkilometer grossen Insel rund 9000 Flaschen Weisswein
- Seit 2012 besteht das Wiedereingliederungsprojekt der toskanischen Weindynastie Frescobaldi und der Strafvollzugsanstalt Gorgona
Zwei Stunden dauert die Schifffahrt von Livorno zur Insel Gorgona. Kaum ist Land in Sicht, kommt Ferienstimmung auf.
Am kleinen Kiesstrand sind Sonnenschirme und Liegestühle aufgestellt. Bunte Häuser stehen am Hang. Kapern blühen in den Mauerritzen.
Verbotene Insel seit 1869
Doch die Idylle kaschiert nicht ganz, dass das 2,2 Quadratkilometer grosse Eiland im Jahr 1869 zu einer landwirtschaftlichen Strafkolonie wurde.
Gorgona ist eine «verbotene Insel» und kann nur nach Voranmeldung besucht werden. Auch dürfen sich nicht mehr als hundert Besucher auf der Insel aufhalten.
Die rund 70 Häftlinge bewirtschaften Olivenbäume, pflegen Ziegen, Gärten, Bienenstöcke, Rinder und 2,3 Hektar Rebfläche.
Wein mit humanitärer Botschaft
Die Zusammenarbeit zwischen Marchesi Frescobaldi und der Strafvollzugsanstalt von Gorgona begann im Jahr 2012 und ist ein Erfolg: Seit dem ersten Jahrgang 2013 stieg Produktion von 2700 auf 9000 Flaschen jährlich.
Die Trockenmauern in den terrassierten Rebhängen wurden renoviert, das Kelterwesen auf den neusten Stand der Technik gebracht und das Marketing professionalisiert.
«Es gibt viele Weine auf der Welt», sagt der Marchese bei der Vorstellung des Jahrgangs 2024, «aber dieser ist einzigartig, weil er eine humanitäre Botschaft hat: Er gibt Menschen mit einem schwierigen Lebenslauf eine Perspektive, er schafft eine sinnvolle Tagesstruktur für die Insassen und hilft bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess.»
Wiedereingliederung im Rebberg
In den letzten Monaten ihrer Freiheitsstrafe arbeiten die Häftlinge in den Reben. Sie erlernen die wichtigsten Handarbeiten im Rebberg und reparieren die Trockenmauern zwischen Parzellen. Viele bleiben dem Metier treu und beginnen ihren Wiedereinstieg ins Berufsleben auf den Gütern der Marchesi Frescobaldi.
Während der Tross der geladenen Gäste durch Staub und Hitze den Berg hinaufschnauft, gibt es Gelegenheit, sich mit den Häftlingen zu unterhalten. Er mache die Arbeit im Rebberg sehr gerne, sagt ein junger Mann. Die frische Luft, die Bewegung und die Erfahrung, ein Produkt handwerklich zu produzieren, gäben ihm ein gutes Gefühl.
Der 13. Insel-Jahrgang
Später, nachdem Padre Giuseppe von Santo Spirito (das ist die Kirche der Frescobadis in Florenz) den neuen Jahrgang gesegnet hat, und das kalte Buffet sowie etliche Magnumflaschen Gorgona 2024 geleert sind, schneidet Lamberto Fresobaldi die Torte zur Feier des Tages an.
Der junge Mann aus dem Rebberg steht etwas abseits. Der Stolz auf die kollektive Leistung ist ihm anzusehen, auch wenn er selbst den neuen Jahrgang nicht verkosten darf.
Projekt wird bis 2050 verlängert
Auch sonst herrscht Grund zur Freude: Die Zusammenarbeit zwischen Frescobaldi und der Strafvollzugsanstalt Gorgona wird bis zum Jahr 2050 verlängert. Neue Rebberge sind bereits in Planung.
Am späten Nachmittag ist die Zeit der Weinhändler, der Führungspersonen aus Politik und Wirtschaft, der Journalisten und Sommeliers auf Gorgona um. Das Schiff legt ab.
Auf der himmelblauen Befestigungsmauer über den Klippen steht geschrieben: «Die Strafe darf nicht in einer gegen die Menschlichkeit verstossenden Behandlung bestehen und muss eine Umerziehung des Verurteilten bewirken.»