Darum gehts
- Valérie de Montmollin hat kürzlich ihre Biografie veröffentlicht
- Darin erzählt sie unter anderem von sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt
- Mit ihrem jetzigen Leben ist sie aber zufrieden und glücklich
«Grüezi», sagt sie, als sie die Tür ihres Büros an der Zürcher Bahnhofstrasse öffnet, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Valérie de Montmollin. Ein Name, wie aus einem französischen Historienfilm. Tatsächlich stammt die 52-Jährige aus einer Neuenburger Adelsfamilie. Mit 26 Jahren gründete sie ihr eigenes IT-Unternehmen, das heute über 10 Millionen Franken Umsatz erzielt. Zudem steht sie regelmässig als Sängerin auf der Bühne. Und gerade hat sie ihre Biografie veröffentlicht.
Harter Start ins Leben
Für ihren Vater war bereits ihre Geburt eine Enttäuschung, schreibt sie in ihrer Biografie. Er hatte sich einen Sohn gewünscht. Erst mit ihrem jüngeren Bruder ging dieser Wunsch in Erfüllung. «Ein Junge, juppi, die Familientraditionen sind gerettet …», kommentiert sie trocken. Solche Bemerkungen finden sich mehrfach in dem Buch und verdeutlichen eine ihrer Bewältigungsstrategien: Humor.
Valérie wächst in einem erzkonservativen Elternhaus auf, in dem Anerkennung selten ist. Besonders der Vater ist seinen Kindern gegenüber oft etwas hart. Auf der Suche nach Zuwendung wendet sie sich an einen Onkel. Doch der vermeintlich sichere Ort wird zum Zentrum jahrelanger sexueller Übergriffe, die im Alter von 8 Jahren beginnen und erst mit 18 enden.
«Währenddessen hat mein Körper einen Schutzmechanismus aktiviert, ich funktionierte nur noch, ohne etwas bewusst wahrzunehmen. Wie sehr der Missbrauch mein Leben prägen würde, ahnte ich damals nicht.» Zum Beispiel, dass sie das erlebte Beziehungsmuster auch als Erwachsene anziehen würde. Sie landet in einer Beziehung, die von häuslicher Gewalt geprägt ist. Ihr Partner schlägt sie, wirft Gegenstände nach ihr, sperrt sie einmal im Winter sogar nackt nach draussen. Valérie de Montmollin schafft es erst nach sieben Jahren, mithilfe einer Lebensberaterin, diese gewaltvolle Beziehung zu verlassen. «Die professionelle Unterstützung war entscheidend. Ohne sie hätte ich den Ausstieg wahrscheinlich nicht geschafft.»
Sie will Tabus brechen
Valérie de Montmollin stellt sich die Frage, warum sie sich nach all den Jahren noch einmal so intensiv mit ihrer traumatischen Vergangenheit auseinandersetzt und warum sie diese Erfahrungen öffentlich macht. Mit der Antwort darauf beginnt ihr Buch: Vergangenes Jahr möchte de Montmollin in Paris mit Vocal Coach Adeline Toniutti (37) an ihrer Technik arbeiten und eine Einschätzung für ihre weitere musikalische Entwicklung erhalten. Beim Singen eines ersten Chansons stellt Toniutti sofort eine Blockade im Unterbauch der Sängerin fest. De Montmollin versteht sofort, dass die Blockade im Unterbauch mit den früheren Übergriffen zusammenhängt, einem Körperbereich, der während des Missbrauchs besonders betroffen war. «Ich habe nicht erwartet, dass diese Erlebnisse noch so präsent sind», sagt sie. Toniutti rät ihr, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. «Ich sah darin die Chance, Tabuthemen anzusprechen und Stigmata zu brechen.» Noch während der Rückfahrt im TGV in die Schweiz beginnt de Montmollin an ihrer Biografie zu schreiben. Dieser Tatendrang erklärt auch den Titel des Buches «Ich mache einfach». Dies ist sozusagen ein Leitspruch für Valérie de Montmollin. Er beschreibt ihre Herangehensweise an das Leben.
«Rückblickend sehe ich, dass alles, was mir im Leben widerfahren ist, mich geformt und gestärkt hat», sagt Valérie de Montmollin. Heute ist ihre Mutter verstorben, zu ihrer übrigen Familie hat sie nur noch losen Kontakt. «Wir haben uns nicht mehr viel zu sagen. Es ist einfach so», sagt sie. Sie akzeptiert, dass sich daran kaum etwas ändern wird. Gleichzeitig betont sie, wie zufrieden sie heute ist, besonders mit dem Leben, das sie sich mit ihrer Tochter aufgebaut hat. «No hard feelings, das macht alt», sagt de Montmollin.
Musik als Rettungsanker
Schon lange ist zudem die Musik eine grosse Stütze in ihrem Leben. «Schon als Kind hat mir Musik geholfen, schwierige Momente zu überstehen», sagt sie. Später wird das Singen ein Mittel, Gefühle auszudrücken und emotional stabil zu bleiben. «Wenn ich auf der Bühne stehe, sind die Emotionen für alle spürbar.» Im Rahmen des Buchprojekts nahm sie eine dazugehörige Platte auf – darunter «Plus jamais» auf Französisch, das sie ins Deutsche übersetzt hat. Das Lied thematisiert häusliche Gewalt.
Sie habe selbst erlebt, wie Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, häufig mit Schuldgefühlen konfrontiert und verurteilt werden, statt Unterstützung zu erfahren, sagt Valérie de Montmollin. Ihre Geschichte soll deutlich machen, dass ein Ausweg existiert und dass es möglich ist, trotz traumatischer Erfahrungen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Nach ihrem jetzigen Befinden gefragt, sagt sie gleich: «Ich bin sehr happy und zufrieden. Wenn alles so toll weiterläuft wie jetzt, habe ich keine weiteren Wünsche.» Sagt sie und zeigt einmal mehr ihr strahlendes Lächeln.