Perfekte Arbeit eines Algorithmus
Ein Znacht mit Fremden – und trotzdem ganz vertraut

Unsere Autorin wagt ein Experiment: Ein Abendessen mit fünf Unbekannten, organisiert von der Plattform Timeleft. Der Algorithmus bringt Menschen zusammen, die sich im Alltag kaum begegnen würden.
Publiziert: 18:31 Uhr
1/6
Immer mittwochs um 19 Uhr: Timeleft organisiert weltweit Abendessen für Gruppen mit sechs einander fremden Personen.
Foto: Instagram

Darum gehts

  • Timeleft organisiert wöchentlich Abendessen für Unbekannte, in über 60 Ländern und 250 Städten weltweit
  • Persönlichkeitstest und Algorithmus sorgen für stimmige Gruppenzusammensetzung
  • Vier Teilnehmer zwischen 22 und 25 Jahren aus verschiedenen Berufsfeldern und Kulturen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Ramona_Rosati_Praktikant Ressort Gesellschaft _Blick Ringier_3-Bearbeitet-Bearbeitet.jpg
Ramona RosatiRedaktorin Gesellschaft

Warum mache ich das eigentlich?, denke ich mir, als ich noch 100 Meter vom Restaurant entfernt bin. In meinem Bauch ein leichtes Kribbeln – irgendwo zwischen Nervosität und Vorfreude. Ich bin leicht verschwitzt, habe keinen richtigen Hunger – und überhaupt: Was zieht man an zu einem Abendessen, bei dem man weder das Restaurant noch die Menschen kennt?

Ein paar Tage zuvor hatte ich mich bei Timeleft angemeldet, einer Plattform, die wöchentlich Abendessen für Gruppen von sechs Unbekannten organisiert. Kein Dating, sondern Begegnungen. Ziel: Menschen zusammenzubringen, die sich im Alltag eher nicht begegnet wären.

So funktioniert Timeleft: Dinner mit Unbekannten weltweit

Timeleft veranstaltet seit dem Jahr 2020 Abendessen in über 60 Ländern und 250 Städten weltweit – jeden Mittwochabend um 19 Uhr. In der Schweiz ist Timeleft in Zürich, Genf und Lausanne aktiv. Die meisten Teilnehmenden sind zwischen 27 und 45 Jahre alt.

Nach der Anmeldung über die Website oder App füllen Teilnehmende einen Fragebogen und einen Persönlichkeitstest aus. Bis Dienstag um 19 Uhr erhalten alle ein E-Mail mit Informationen zu den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe, am Mittwochmorgen um 9 Uhr wird das Restaurant bekannt gegeben. Die Kosten für Speisen und Getränke bezahlt jede Person direkt im Restaurant.

Ein Timeleft-Abo kostet für einen Monat rund 22 Franken, für drei Monate 53 Franken und 70 Franken für sechs Monate. Über die App kann man nach dem Dinner bei Wunsch in Kontakt bleiben. Das Abo ist jederzeit kündbar.

In Zürich nehmen aktuell wöchentlich rund 120 Personen an etwa 20 Dinner-Tischen teil, wie Timeleft auf Anfrage mitteilt. Der Matching-Algorithmus basiert auf dem Persönlichkeitstest und berücksichtigt unter anderem Interessen, Humor, kulinarische Vorlieben und Budgetrahmen. Je mehr Menschen sich anmelden, desto besser können passende Gruppen zusammengestellt werden.

Timeleft schafft spannende Begegnungen zwischen Unbekannten.
Zvg

Timeleft veranstaltet seit dem Jahr 2020 Abendessen in über 60 Ländern und 250 Städten weltweit – jeden Mittwochabend um 19 Uhr. In der Schweiz ist Timeleft in Zürich, Genf und Lausanne aktiv. Die meisten Teilnehmenden sind zwischen 27 und 45 Jahre alt.

Nach der Anmeldung über die Website oder App füllen Teilnehmende einen Fragebogen und einen Persönlichkeitstest aus. Bis Dienstag um 19 Uhr erhalten alle ein E-Mail mit Informationen zu den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe, am Mittwochmorgen um 9 Uhr wird das Restaurant bekannt gegeben. Die Kosten für Speisen und Getränke bezahlt jede Person direkt im Restaurant.

Ein Timeleft-Abo kostet für einen Monat rund 22 Franken, für drei Monate 53 Franken und 70 Franken für sechs Monate. Über die App kann man nach dem Dinner bei Wunsch in Kontakt bleiben. Das Abo ist jederzeit kündbar.

In Zürich nehmen aktuell wöchentlich rund 120 Personen an etwa 20 Dinner-Tischen teil, wie Timeleft auf Anfrage mitteilt. Der Matching-Algorithmus basiert auf dem Persönlichkeitstest und berücksichtigt unter anderem Interessen, Humor, kulinarische Vorlieben und Budgetrahmen. Je mehr Menschen sich anmelden, desto besser können passende Gruppen zusammengestellt werden.

Der Persönlichkeitstest – Matching mal anders

Zur Anmeldung gehört ein kurzer Persönlichkeitstest. Introvertiert oder extrovertiert? Bedeutung von Familie? Sport: Fan oder Muffel? Dazu kommen kreative Fragen wie: «Betrachtest du dich eher als intelligent oder lustig und humorvoll?», «Wenn dein Leben ein Fashionstatement wäre: klassisch und zeitlos oder trendig und ausdrucksstark?». Danach wirft der Algorithmus von Timeleft fünf andere Menschen in den Topf – und fertig ist die Dinner-Runde.

So viel vorab: Es war beeindruckend, wie stimmig sich die Gruppe anfühlte. Niemand hat dominiert, niemand war zu schüchtern. Die Gespräche sind einfach geflossen – der Algorithmus hat ganze Arbeit geleistet.

Der erste Eindruck

Im Restaurant angekommen: Fünf Plätze waren gedeckt, aber am Ende waren wir nur zu viert. Eine Person hatte sich vorher abgemeldet, eine andere ist einfach nicht erschienen. Kurz unsicher: Wie begrüsst man sich in so einer Situation? Händeschütteln? Umarmen? Es wird ein freundliches, leicht holpriges «Hi». Wir sitzen im Hinterhof des Restaurants, auf einer kleinen Veranda.

Alle waren zwischen 22 und 25 Jahre alt. Zwei Männer, zwei Frauen. Einer war schon viermal bei Timeleft dabei, ein anderer zweimal. Beruflich waren wir bunt gemischt: Versicherungen, Pharmaindustrie, Computer Science – und ich, aus der Medienbranche. Eine Person war in Spanien aufgewachsen, jemand anderes hatte 15 Jahre in China gelebt. Unser Dinner fand in einem chinesischen Restaurant statt – beim Bezahlen sprach die Person ganz selbstverständlich mit dem Personal auf Chinesisch. Irgendwie passend.

Bei der Anmeldung wählt man die gewünschte Korrespondenzsprache aus. Alle in unserer Runde hatten Deutsch und Englisch angegeben – unterhalten haben wir uns aber von Anfang an auf Englisch. Erst irgendwann mitten im Gespräch merkten wir, dass alle auch Deutsch sprechen. Da war der Abend aber schon so weit fortgeschritten, dass wir gleich beim Englisch blieben.

Small Talk wird Deep Talk

Als die Getränke serviert wurden, besprachen wir die klassischen Themen: «Was machst du beruflich?», «Wo wohnst du?», «Hast du Geschwister?». Ziemlich schnell wurde es aber persönlicher. Wir sprachen über unsere Beziehung zu den Eltern, über Religion, die Schulzeit, Freundschaften und Partnerschaften – und warum wir überhaupt hier sitzen. 

Die meisten von uns haben über Social Media von Timeleft erfahren. Ich selbst bin seit etwas mehr als neun Monaten in Zürich – Leute kennenzulernen, war bisher nicht so einfach. Jemand wollte etwas Neues ausprobieren, eine andere Person wird im Herbst zum Studium hierherziehen und wollte schon vorher Bekanntschaften schliessen. 

Timeleft stellt in ihrer App Icebreaker-Fragen zur Verfügung – kleine Gesprächsimpulse, falls der Einstieg holprig verläuft oder die Gruppe nicht so richtig warm wird. In unserem Fall brauchten wir sie nicht. Pekingente und marinierter Tofu rückten angesichts unserer angeregten Gespräche fast in den Hintergrund. 

Der Abschluss

Nach dem Bezahlen standen wir noch draussen, niemand hatte es besonders eilig. Kurz vor dem Verabschieden hatte jemand noch schnell alle Nummern eingesammelt und eine Whatsapp-Gruppe erstellt. Zum Glück, denn die Namen hatte ich da schon fast wieder vergessen. Gegen 22 Uhr ging es dann langsam auseinander. Mit einem der Teilnehmer bin ich noch ein Stück gemeinsam gelaufen – wir mussten in eine ähnliche Richtung und waren gerade mitten in einem Gespräch über ein bald anstehendes Referat.

Zu Hause schickte ich noch eine kurze Nachricht: «Thank you all and good night:)». Und am nächsten Morgen eine achtminütige Sprachnachricht an meine beste Freundin, um alles noch mal Revue passieren zu lassen. Ich war zufrieden – irgendwie beeindruckt, wie ehrlich diese Menschen waren. Warum eigentlich? Vielleicht, weil niemand etwas beweisen musste. Weil keine Erwartungen im Raum standen. Oder weil es im Zweifel das letzte Mal war, dass wir uns gesehen haben?

Fazit zu meinem ersten Timeleft-Dinner

Der Abend hat mich aus meiner Komfortzone geholt – aber es hat sich definitiv gelohnt. Ich würde diese Gruppe auf jeden Fall wiedersehen, die Gespräche waren spannend und fühlten sich völlig natürlich an. Gleichzeitig würde ich aber auch wieder zu einem neuen Dinner mit neuen Unbekannten gehen. Ich mag es, zuzuhören, Fragen zu stellen und dabei neue Perspektiven kennenzulernen. Und wenn ich nebenbei noch ein gutes Restaurant entdecke, umso besser!

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?