Darum gehts
- Touchscreens in Autos: Von der Revolution zu Sicherheitsbedenken – mögliche Rückkehr der Knöpfe
- Das Bedienen komplexer Funktionen lenkt die Fahrer ab und erhöht das Unfallrisiko
- Studie zeigt: Der Blick ist bis zu 16 Sekunden von der Strasse abgelenkt – 500 Meter Blindflug
Der frühere VW-Patron Ferdinand Piëch (1937–2019) wurde einst zum Autoingenieur des Jahrhunderts gewählt. Der zweifellos geniale Techniker hatte allerdings seine Marotten. Eine davon war, dass er strikt alles ablehnte, was einem Touchscreen auch nur entfernt ähnlich sah. Sein Hauptargument: Fingerabdrücke auf einem Bildschirm sehen ekelhaft aus und mindern daher den Qualitätseindruck. Deshalb ging VW anfangs nicht mit, als der erste Touchscreen-Boom einsetzte. Es waren ja tatsächlich winzige, pixelige, mit Fingerabdrücken übersäte Dinger. Damals gerieten VW-Modelle in Verdacht, bedienungstechnisch rückständig zu sein – ein Ruf, den VW bis heute nicht ganz losgeworden ist.
Es waren zuerst das iPhone von Steve Jobs (1955–2011) und dann Teslas Model S, durch welche die Bedienung des Autos nachhaltig verändert wurde. Heute sehen Autocockpits so unwirklich aus wie eine Modellküche im Möbelhaus. Glatt, glänzend, perfekt durchgestylt und superaufgeräumt.
Ursprünglich galt es als Kunst der Innendesigner, die Handhabung eines Automobils zu vereinfachen. So wie es BMW mit dem ersten iDrive gelang, das 2001 im 7er seine Premiere feierte. Zuvor hatten die elektronischen Möglichkeiten derart rapide zugenommen, dass es eine neue Ordnung brauchte. iDrive verlangte relativ wenig Aufmerksamkeit und gab sogar haptisches Feedback, sodass sich der Drehknopf in der Mittelkonsole als Industriestandard durchsetzte – zumindest bei den funktionsreichen Premiummodellen.
Erstkontakt wird zur Denksportaufgabe
Aber Platz nehmen, starten und losfahren binnen Sekunden – das war einmal. Heute ist der Erstkontakt mit einem unbekannten Neuwagen der gehobenen Preisklasse zu einer Denksportaufgabe geworden, wobei E-Autos den Schwierigkeitsgrad nochmals deutlich erhöhen. Durch die interaktiven Displays, die in aktuellen Modellen schon mal die ganze Innenbreite ausmachen können, ist die Bedienung ungleich komplexer geworden. Der Bildschirm speit alle Möglichkeiten gleichzeitig aus. Such dir gefälligst, was du brauchst! Den Höhepunkt des elektronischen Irrgartens liefert derzeit ausgerechnet jene Marke, die früher für Grobmotorik und absoluten No-Nonsense stand: Beim neuen Volvo EX 90 lässt sich das Handschuhfach nur mehr per Touchscreen öffnen.
Dazu ein kleines Geheimnis. Die Verlagerung der Funktionen auf den Bildschirm hat auch einen knallharten wirtschaftlichen Hintergrund: Es bedeutet in der Fertigung weniger Aufwand – es ist schlicht günstiger, ein Display zu verbauen, als Dutzende Schalter einzeln verkabeln zu müssen.
Naturgemäss hat die Generation Z, die sozusagen mit dem Smartphone in der Hand geboren wurde, weniger Probleme mit der aktuellen Cockpitmode als ältere Semester. Aber spätestens bei Funktionen in der zweiten und dritten Ebene trifft das Problem alle. Und das ist nicht bloss ein subjektiver Eindruck, sondern wurde inzwischen durch Untersuchungen belegt. Ein schwedisches Automagazin stellte kürzlich fest, dass manche Bedienfunktionen in einem BMW iX doppelt so viel Zeit in Anspruch nehmen wie in einem Dacia Sandero – vielleicht lebenswichtige Zeit, die vom Strassengeschehen ablenkt.
Der Blick wird bis zu 16 Sekunden abgelenkt
Eine Studie des britischen Transport Research Laboratory kam jedenfalls zum Ergebnis, dass die Benutzung eines Infotainmentsystems die Reaktionszeit ähnlich beeinflusst, wie wenn man unter starkem Alkoholeinfluss fahren würde. In einer Versuchsreihe am Simulator wurde der Blick des Fahrers bis zu 16 Sekunden von der Strasse abgelenkt – bei Autobahntempo 120 entspricht das einem über 500 Meter langen «Blindflug». Dagegen wirkt die aktuelle Gesetzgebung geradezu lächerlich, die das Telefonieren mit dem zwischen Schulter und Ohr eingeklemmten Handy bestraft.
Wird also Ferdinand Piëch am Ende doch recht behalten? Wohl nicht. Trotzdem könnte es sein, dass wir gerade den Peak in Sachen Displaymania erleben, denn die Gegenbewegung hat bereits begonnen: Die Sicherheitsbehörde Euro NCAP will ab 2026 Wertungsabzüge einführen, wenn zentrale Fahrzeugfunktionen nicht über physische Schalter bedienbar sind.
Abseits von Sicherheitsbedenken gibt es noch andere Argumente: 2013 stellte das Monsterdisplay in Teslas Model S tatsächlich eine Revolution dar. Inzwischen sind aber praktisch alle Hersteller auf den Zug aufgesprungen, es lässt sich so also kaum mehr besondere Modernität signalisieren. Deshalb könnte sich heute der höhere Bedienungskomfort, zum Beispiel durch einen Lautstärkendrehknopf, bereits wieder positiv aufs Markenimage auswirken. Es wäre ein Sieg der Vernunft. Bei BMW und VW gibt es inzwischen zarte Anzeichen dafür, dass der eingeschlagene Weg ein Stück zurückgegangen wird. Von chinesischen Herstellern wird das allerdings eher nicht zu erwarten sein. Dort sieht man das Auto klar als elektronisches Gadget auf Rädern.
Das Comeback der Knöpfe
Aber wer weiss? In den USA macht sich bereits eine gewisse Touchscreen-Müdigkeit breit, der Trend nennt sich Rebuttonization – das Comeback der Knöpfe. Für Haushaltsgeräte, für Autocockpits und sogar für manche Smartphonefunktionen. Die Medienwissenschaftlerin Rachel Plotnick hat gar eine «Screen fatigue», also eine chronische Bildschirmkrankheit, diagnostiziert. Tatsächlich besteht unser Alltag immer öfter darin, stundenlang auf Bildschirme zu starren. Genauer betrachtet sind Touchscreens anstrengend, weil sie mit Funktionen überfrachtet sind. Jede Berührung eröffnet hundert weitere Möglichkeiten, in alle Richtungen.
Welch ein Genuss bietet dagegen ein Knopf oder Schalter. Deren Bedienung liefert ein klares Ergebnis: lauter oder leiser. Ein oder aus. Die Rückmeldung bestätigt: Ich habe etwas erledigt! Der Mensch hat Resonanzbedürfnisse – und ein fein gestylter Schalter in einem Premiummodell bietet letztlich auch einen haptischen Genuss. Touchscreens sind dagegen tote, kalte Körper in Sachen Rückmeldung.
Wie befriedigend Knöpfe sein können, zeigt Donald Trump: Er liess sich an seinem Arbeitsplatz einen «Diet-Coke-Button» anbringen. Einmal gedrückt, schwebt Sekunden später ein Butler mit dem gewünschten Getränk auf einem Silbertablett herein.