Darum gehts
Candace Owens ist besessen von dieser Story. Sie hört nicht auf, verbreitet die immer gleichen Lügen. Eine ihrer letzten Attacken ist einen Monat alt. Auf Youtube, wo sie ein Millionenpublikum bedient, sagt sie mit hochgezogenen Augenbrauen in die Kamera: «Die Grösse von Brigittes Händen …» Man solle sich diese anschauen. Verräterisch. Männerhände, ganz klar. Das ist absurd, aber auch tragisch.
Candace Owens (36), Mutter von vier Kindern, stolze, traditionelle Ehefrau, ist eine der einflussreichsten rechten Influencerinnen der USA. Alleine auf Youtube erreicht sie mehr als fünf Millionen Follower. Diese Frau behauptet, Brigitte Macron, Première dame de France, Mutter dreier erwachsener Kinder aus erster Ehe, sei keine Frau, sondern ein Mann. Ihr wirklicher Vorname laute Jean-Michel.
Lange reagierten die Macrons öffentlich nicht. Im Sommer reichten sie im US-Bundesstaat Delaware eine Verleumdungsklage gegen Owens ein. Das Verfahren steht erst am Anfang. Doch Brigitte Macron hat gerade über einen Anwalt verlauten lassen: Sie wird Beweisbilder für ihr Geschlecht vorlegen. Alte Fotos von ihr, die sie mit Babybauch zeigen.
Rechtsextreme Schwurblerin
Kaum jemand hätte gedacht, dass das Präsidentenpaar so weit gehen würde, schon gar nicht wegen einer Verschwörungstheorie im Internet. Die aber ist nun zu mächtig geworden. Das hat mit Candace Owens selbst zu tun. Mit ihrem Aufstieg. Mit ihrer Radikalisierung. Suzanne Enzerink, Assistenzprofessorin für American Studies der Universität St. Gallen, sagt: «Sie ist eine rechtsextreme Verschwörungstheoretikerin.»
Ungewöhnlich für eine schwarze Frau. Nicht aber, wenn man Owens Vergangenheit kennt. Es gibt ein Schlüsselerlebnis.
Candace Owens wuchs mit ihrer Familie in Sozialwohnungen in Stamford, Connecticut, auf. Als sie neun Jahre alt war, zogen die Eltern mit ihren Kindern zu den Grosseltern, die in der Nähe wohnten. Grossvater Robert erzählte immer davon, sagte sie einmal, wie er als eines von zwölf Kindern in North Carolina aufgewachsen war, im tiefsten Süden der USA. Schwarze waren dort im Speziellen nichts wert. Waren Angriffen, Meuchelmorden des Ku-Klux-Klans ausgesetzt. Und mussten schuften. Robert legte schon als Fünfjähriger auf der Farm eines Weissen Tabakblätter zum Trocknen auf dem Boden aus.
Candace erlebte als Kind, wie ihr Grossvater versuchte, mit den erlittenen Demütigungen als Schwarzer fertig zu werden. Später traf es sie selbst.
Sie erlebte Gewalt
Mit 18 Jahren geriet sie in Streit mit einem weissen Mitschüler. Er wurde suspendiert. Worum es ging, ist unklar. Fest steht: Er überzog Owens danach mit bösartigen Sprachnachrichten mit N-Wort, drohte, sie zu töten. Er war nicht der Einzige.
Laut dem US-Magazin «The New Yorker» waren zu jener Zeit drei Mädchen wegen Owens angeklagt, sie hatten die junge Frau auf einem Kino-Parkplatz angegriffen und rassistisch beschimpft. Owens blieb deshalb wochenlang der Schule fern, ihre Familie erhielt eine Entschädigung von mehr als 37’000 Dollar von den Schulbehörden. All das hinterliess tiefe Spuren. In einem Meinungsartikel von 2016 in der Lokalzeitung von Stamford schrieb sie: «In der Schule trug ich meinen Kopf hoch, aber ich ging nach Hause und weinte jede einzelne Nacht.»
Candace Owens war zum Opfer geworden. Wie ihre Vorfahren. Doch sie ging auf ihre Art damit um: Sie verweigerte sich der Rolle der Leidenden, wehrte sie später ganz generell als «das Schlimmste überhaupt» ab, wie sie dem «New Yorker» sagte. Und bekämpfte alle, die das Opfersein für sich in Anspruch nahmen: Schwarze, LGBT-Angehörige, Frauen.
So stieg sie innerhalb der rechten Bewegung auf. 2016 wurde sie landesweit berühmt, weil sie auf ihren Publikationskanälen für Donald Trump und gegen «Black Lives Matter» Kampagne machte. Ein Jahr später heuerte sie als PR-Profi bei Turning Point USA an, der rechtspopulistisch-christlichen Jugendorganisation des kürzlich ermordeten Charlie Kirk. Dann radikalisierte sie sich. Mittlerweile ist sie offen antisemitisch, behauptet, Juden kontrollierten heimlich die Medien, und Kirks Mord sei insgeheim Israels Werk.
Candace Owens ist ganz oben angekommen. Medien aus aller Welt berichten über sie. Wahr ist auch: Ihr Erfolg ist ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft.
Die Pandemie beförderte ihren Aufstieg
Die USA-Forscherin Suzanne Enzerink sagt: «Candace Owens profitiert geschickt von einer Vertrauenskrise in den USA.» Diese fing laut ihr mit Covid an. Die Krise verunsicherte die Menschen. Säte Misstrauen. Gegenüber wissenschaftlichen Fakten. Gegenüber der Politik. Den Medien. Und förderte Verschwörungsdenken. In den USA schlug die konservative Bewegung Kapital daraus. Auf allen Kanälen schrien sie: Die Eliten lassen uns im Stich. Sind korrupt. Enzerink sagt: «Donald Trump kam deshalb an die Macht.» Er sagte, er sei eine Alternative dazu. Er werde die Korruption beseitigen, er werde den Sumpf trockenlegen.
Candace Owens ist ein Produkt davon. Eine treibende Kraft von Fake News, die Profit daraus schlägt. Darum ist sie auf das «Brigitte-Gate» aufgesprungen, die Lügengeschichte.
2021 tauchte diese Erzählung zum ersten Mal in Frankreich auf. In rechten Schwurblerkreisen. Ab Frühling 2024 übernahm Owens die Story in ihren Social-Media-Sendungen. Seitdem liefert sie lauter Fake-Beweise für ihre eigene Version der abstrusen Theorie: Brigitte Macron sei eine «Transvestitin», die den 14-jährigen Emmanuel Macron verführt habe, als sie seine Lehrerin war. Alles nur, weil sie angeblich in den innersten Machtzirkel aufsteigen wollte. Owens widmete dem die achtteilige Youtube-Serie «Becoming Brigitte».
Macron setzt ein Zeichen
All das zahlt ein. Die USA-Forscherin Enzerink sagt: «Die mediale Aufmerksamkeit zum Fall hat Candace Owens Followerschaft stark wachsen lassen.»
Nun will das Ehepaar Macron allem ein Ende setzen. Die Frage ist: Bewirkt dies nicht gerade das Gegenteil? Gibt es Owens und der Verschwörungstheorie eventuell sogar noch Auftrieb?
Suzanne Enzerink bejaht. Trotzdem hält sie den Gang der Macrons vor Gericht für «eine gute Entscheidung». Weil es um mehr als um die Influencerin, um mehr als diese Verschwörungstheorie geht. Es geht um das, was sie überhaupt so schlagkräftig werden liess: Es geht um die Meinungsfreiheit, die in der US-Verfassung verankert ist. Der Gerichtsfall lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit darauf, dass es Grenzen des Sagbaren geben muss. Kommen die Macrons damit durch, legt das Gericht fest, wo diese Grenze verläuft. «Das will Emmanuel Macron erreichen», ist Enzerink überzeugt. «Er will ein Zeichen setzen.» Doch die Hürde ist hoch. Die Anwälte des Präsidenten müssen nachweisen, dass Owens aus Böswilligkeit gehandelt hat. Nur dann gilt die Meinungsäusserungsfreiheit nicht.