Darum gehts
Amerikanische Flaggen wehen, Fanfaren erklingen, Kampfjets ziehen über den Himmel. Aus dem Off erklingt eine Stimme: «Das ist die brandneue, von der Regierung genehmigte ‹Daily Show› mit ihrem patriotisch-gefolgsamen Gastgeber Jon Stewart.»
Nach diesem Intro schwenkt die Kamera ins TV-Studio, wo Late-Night-Moderator Jon Stewart (62) in dunklem Anzug und mit einer roten Krawatte sitzt. Die Kulisse ist in Gold getüncht – ganz nach US-Präsident Donald Trumps (79) Geschmack.
Normalerweise wird Stewarts «Daily Show», die auf Comedy Central ausgestrahlt wird, am Montagabend gesendet. Nachdem die Late-Night-Show seines Kollegen Jimmy Kimmel (57) vorläufig abgesetzt worden war, schob Stewart kurzerhand eine Sondersendung ein.
Ein Land im Ausnahmezustand
Satirisch unterwürfig führt er an diesem Donnerstagabend durch die Show. Angesichts der momentanen Ereignisse in den USA mag einem das Lachen im Hals fast stecken bleiben.
Seit dem Attentat auf den rechten Influencer Charlie Kirk (†31) vor rund zwei Wochen befindet sich das Land im Ausnahmezustand. Und die Sorge, dass die Meinungs- und Pressefreiheit grundlegend eingeschränkt wird, nimmt zu.
«Jimmy Kimmel Live!» wurde diese Woche eingestellt, nachdem Kimmel den mutmasslichen Täter der MAGA-Bewegung zugeordnet und dieser vorgeworfen hatte, den Mord an Charlie Kirk politisch auszuschlachten. Tatsächlich ist noch unklar, aus welcher Überzeugung heraus der mutmassliche Täter handelte. Kimmel gehört zu den bekanntesten Late-Night-Hosts der USA. Alles deutet darauf hin, dass seine Sendung auf Drängen der Regierung hin abgesetzt wurde. Denn die US-Medienbehörde FCC setzte den Sender ABC unter Druck und kündigte an, den lokalen Partnern die Lizenz zu entziehen, falls sie Kimmel weiter ausstrahlen würden. Am Donnerstag drohte der Präsident TV-Sendern zudem offen mit dem Entzug von Sendelizenzen, sollten sie kritisch über ihn berichten.
Mehrere Medienklagen
Anfang der Woche hatte der Präsident zudem die «New York Times» und mehrere ihrer Journalisten wegen «Verleumdung» mit einer 15-Millionen-Dollar-Klage eingedeckt – diese wurde von einem US-Gericht vorerst abgewiesen. Der Druck auf die Medien ist indes nicht neu: Im Juli hatte der Präsident gegen das «Wall Street Journal» geklagt. Mit den TV-Sendern ABC und CBS hatte sich Trump nach ähnlichen Klagen aussergerichtlich geeinigt – beide mussten Millionensummen zahlen. Ausserdem hat CBS die Late-Night-Show von Stephen Colberts (61), einem scharfen Trump-Kritiker, abgesetzt – wenige Tage nachdem dieser die aussergerichtliche Einigung kritisiert hatte.
Am Freitag kündigte das US-Verteidigungsministerium zudem an, dass Medienschaffende nur noch offiziell genehmigte Informationen aus dem Pentagon verwenden und veröffentlichen dürfen. Wer sich nicht daran halte, könnte die Akkreditierung für die Militärberichterstattung verlieren.
Firmen entlassen Mitarbeitende
Nicht nur auf die Medien macht die Trump-Regierung gerade gewaltig Druck. Auch die Meinungsfreiheit ist zunehmend in Gefahr.
So forderte US-Vizepräsident J. D. Vance (41), Menschen zur Rechenschaft zu ziehen, die den Mord an Charlie Kirk feiern. «Meldet sie, und verdammt noch mal, meldet auch ihren Arbeitgeber», sagte Vance, als er am Montag eine Folge von Kirks Podcast «The Charlie Kirk Show» moderierte.
Dem Aufruf wurde offenbar Folge geleistet: Die Website «Charlie Kirk Data Foundation» soll bereits über 60’000 Namen von Personen gesammelt haben, die angeblich den Tod von Kirk gefeiert haben. US-Medien berichten, dass aufgrund entsprechender Posts bereits über 30 Unternehmen Mitarbeitende entlassen haben sollen.
Und Justizministerin Pam Bondi (59) kündigte nach dem Kirk-Attentat an, dass Hate Speech, also Hassrede, strafrechtlich verfolgt werden würde. Auf die Aussage Bondis angesprochen sagte Trump gegenüber einem ABC-Reporter: «Wir würden wahrscheinlich gegen Leute wie Sie vorgehen, weil Sie mich so unfair behandeln. Das ist Hass. Sie tragen viel Hass in Ihrem Herzen.»
Hassrede oder Free Speech?
Später ruderte Bondi zurück: Gemeint sei nur Hassrede, mit der zu Gewalt aufgerufen werde. Denn tatsächlich steht in den USA Hassrede – anders als in den meisten europäischen Ländern – nicht unter Strafe. Ausser es handelt sich dabei um einen expliziten Gewaltaufruf.
Seit 1791 garantiert der Erste Verfassungszusatz unter anderem die Meinungs- und Pressefreiheit. Er verbietet dem Kongress ausdrücklich, diese Grundrechte einzuschränken. Free Speech gilt in den USA als unantastbares Fundament der Demokratie, die Grenzen des Sagbaren sind traditionell sehr weit gefasst. Darauf hatte auch J. D. Vance Anfang Jahr an der Münchner Sicherheitskonferenz verwiesen, als er in seiner Rede kritisierte, die Meinungsfreiheit in Europa sei «auf dem Rückzug».
Und auch Trump hatte in seiner Antrittsrede im Januar angekündigt, Free Speech nach Amerika zurückzubringen. Er betonte: «Nie wieder wird die immense Macht des Staates als Waffe eingesetzt, um politische Gegner zu verfolgen.» Und er unterzeichnete ein entsprechendes Dekret.
Comedians werden als Erstes zensiert
Heute feiert der Präsident auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social den Entscheid von ABC, Kimmels Show abzusetzen. Und er schreibt, jetzt würden nur noch «Jimmy und Seth» fehlen. Damit meint er zwei weitere wichtige Late-Night-Hosts und Comedians: Jimmy Fallon und Seth Meyers.
Noch sind sie nicht verstummt. Mehr noch: Sie kritisierten die Trump-Regierung nach dem Aus von «Jimmy Kimmel Live!» öffentlich.
Als Jon Stewart 2022 einen Comedy-Preis entgegennahm, warnte er eindringlich: Wenn Demokratien von autoritären Kräften bedroht werden, würden Comedians als Erste zum Schweigen gebracht.
In den USA gilt diese Warnung heute mehr denn je.