Nach Attentat auf MAGA-Influencer Charlie Kirk
Die USA zwischen Schockstarre und Eskalation

Ein Schuss, der Amerika verändert. Was folgt auf den Mord an Charlie Kirk? Besuch in einem zerrütteten Land.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Schock nach dem Mord an Charlie Kirk.
Foto: AP

Darum gehts

  • Charlie Kirk ermordet, Trump nennt ihn Märtyrer der Wahrheit
  • Ehefrau verspricht, Turning Point USA zur grössten Organisation zu machen
  • Tatverdächtiger Tyler Robinson ist 22 Jahre alt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Die Fahnen sind auf halbmast. Ansonsten geht es vor dem Weissen Haus in Washington auffällig ruhig zu: Die Zeugen Jehovas bieten Bibelkurse an, Evangelikale schwenken eine «Jesus rettet»-Fahne und tragen ein «Jesus liebt dich»-Schild. Und dann ist da noch Don Folden (72). Der schwarze Mann gehört seit Jahren zum Washington-Inventar. Er ist ein Strassendemonstrant, der vor dem Weissen Haus sitzt, mit einem Transparent: «Hört auf, euch zu hassen, weil ihr unterschiedlicher Meinung seid.»

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Don Folden sagt, er wolle Frieden zwischen den Völkern stiften. Auf seiner Box spielt er die Nationalhymnen aller Herren Länder ab – auch jene der Schweiz. Vor dem Weissen Haus ertönt am Freitag um 10.45 Uhr der Schweizerpsalm: «Trittst im Morgenrot daher …»

Was denkt Don Folden über das Attentat auf Charlie Kirk (†31)? «Schrecklich», sagt der Rentner. Er glaubt aber nicht, dass die Situation in den USA nun eskaliert. «Wir brauchen weniger Hass, mehr Liebe», sagt Folden.

Für Trump ist Kirk ein «Märtyrer der Wahrheit»

Ein paar Meter entfernt steht ein Protest-Stand. «Trump sät Hass», prangt auf einem Schild in Regenbogenfarben. «Zusammen können wir die grösste Shitshow der Welt beenden.» Anna (38) kritisiert: «Als die demokratische Politikerin Melissa Hortman ermordet wurde, gabs keine Staatstrauer.»

Utah ist weit weg von Washington, mehr als 3000 Kilometer trennen den Tatort vom Weissen Haus. Im Zentrum der Macht dürfte der Name Kirk künftig öfter fallen. Die «Make America Great Again»-Anhänger sehen in ihm einen Helden. Einen Messias, der sterben musste, um die USA von ihren angeblich woken Sünden zu erlösen. US-Präsident Donald Trump (79) nennt Charlie Kirk einen «Märtyrer der Wahrheit» und verlieh ihm posthum die Freiheitsmedaille.

Bollwerk gegen linke Studentenorganisationen

Entsprechend dankbar reagierte Charlie Kirks Witwe Erika (36), das Paar hatte zwei Kinder. «Präsident Trump, Charlie hat dich geliebt, und er wusste, dass du ihn liebst», sagte die Witwe in einem Video. «Charlie, ich verspreche dir, dass ich dein Vermächtnis niemals sterben lassen werde. Ich verspreche dir, dass ich Turning Point USA zur grössten Organisation machen werde, die dieses Land je gesehen hat.»

Die ehemalige Miss Arizona und Basketballspielerin, die wie ihr ermordeter Ehemann eine evangelikale Christin ist, hat nun eine Mission: Charlie Kirks Erbe fortzuführen, der einen Kreuzzug gegen alles führte, was ihm woke erschien – von Transmenschen über Migranten bis hin zu Frauen, die lieber Karriere machen, als dem Ehemann Kinder zu schenken. Turning Point USA verstand sich als Bollwerk gegen linke Studentenorganisationen.

Kirk lobte die Schweizer Migrationspolitik

Von seinen Anhängern wird Kirk bereits als Märtyrer gefeiert. Ein moderner Messias, der ein christliches, weisses Amerika gross machen wollte. Dass Kirk rassistische Verschwörungen teilte wie die «Grosser Austausch»-Theorie, wonach eine «Elite» die weisse Bevölkerung durch Einwanderer ersetzen wolle – daran erinnern in diesen Tagen nur wenige. Dass Kirk «Nürnberger Prozesse» für Ärzte gefordert hatte, die geschlechtsangleichende Operationen durchführen, finden seine Anhänger nicht verharmlosend, sondern konsequent.

Auf die Schweiz hatte Charlie Kirk bislang keinen Einfluss. Zwar forderte er im US-Wahlkampf, dass die USA bei der Beschränkung der Zuwanderung ähnlich streng vorgehen sollten wie die Schweiz. Dem widersprach damals SVP-Nationalrat Pascal Schmid (48): Kirk sei «falsch informiert», die Schweiz habe sehr wohl ein Migrationsproblem. Ein Mitglied der «Turning Point USA»-Bewegung reiste 2022 zum Weltwirtschaftsforum nach Davos. Ansonsten sind bislang keine Verbindungen zur Schweiz bekannt.

«Falls du das liest, bist du schwul»

Für Charlie Kirks Anhänger steht fest: Sein Tod hat einen Sinn. Durch das Attentat ist die Bewegung Turning Point USA nun in aller Munde. «Der Kampf geht weiter», steht auf der Website. Seine Vision sei «lebendig und stärker denn je. Das Feuer, das Charlie entfacht hat, brennt heller denn je». Im Internet rufen radikale Teile der MAGA-Bewegung bereits zum Krieg. Die Furcht vor einer weiteren Eskalation ist gross.

Auf den Strassen von Washington bekommt man davon wenig mit. Kirks Waffe waren die sozialen Medien. Hier hat er vor allem jene erreicht, die sich isoliert, abgehängt, benachteiligt und mundtot gemacht fühlten.

Derweil rätselt die Welt, was die Motive des Attentäters waren. Donald Trump wünscht dem Tatverdächtigen Tyler Robinson (22) die Todesstrafe. Gegenüber einem Familienmitglied soll sich Robinson sehr kritisch über Kirk geäussert haben. In der Nähe des Tatorts wurden Patronen mit eingravierten Sprüchen gefunden à la «Hey Faschist! Fang das!», «Falls du das liest, bist du schwul» und Hinweise auf die Partisanen-Hymne «Bella Ciao». In dem italienischen Lied geht es um den Tod eines Partisanen und um eine Blume, die daran erinnert, dass er «für unsere Freiheit starb».

Tyler Robinson, der Charlie Kirks Aufstieg stoppen wollte, könnte mit seinem Attentat das Gegenteil erreicht haben: Er macht Kirk für seine Anhänger unsterblich. 


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