Wenn Trauer zur Wahlkampfwaffe wird
Sechs Tote – und die AfD wittert ihre Chance

Sechs AfD-Politiker sterben kurz vor den NRW-Kommunalwahlen – die Polizei sieht keine Hinweise auf Fremdverschulden. Doch die AfD spielt mit Spekulationen, inszeniert sich als Opfer und drängt so mitten ins Rampenlicht.
Publiziert: 03.09.2025 um 18:46 Uhr
|
Aktualisiert: 03.09.2025 um 22:26 Uhr
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren
Alice Weidel, Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der AfD.
Foto: IMAGO/Panama Pictures

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
BlickMitarbeiter06.JPG
Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) stehen in wenigen Tagen die Kommunalwahlen an. Doch der Wahlkampf der AfD ist dieses Mal kein normaler Wahlkampf. Statt über Programme und Kandidaten zu sprechen, geht es um Todesanzeigen. Denn: Sechs AfD-Politiker – vier davon stellten sich für die Kommunalwahlen – sind innerhalb weniger Wochen gestorben. Prompt kommt der Verdacht auf: Kann das Zufall sein?

Die Fakten erzählen eine nüchterne Geschichte. Vier der Verstorbenen standen auf den gedruckten Stimmzetteln. Zwei weitere waren auf Reservelisten platziert. Und die Todesursachen? Sie sind dokumentiert. Ralph Lange (†66) und Wolfgang Klinger (†71) waren schwer vorerkrankt. Wolfgang Seitz (†59) starb an einem Herzinfarkt, Stefan Berendes (†59) ebenfalls eines natürlichen Todes. Bei den beiden Reservelistenkandidaten ist die Lage klar: René Herford (†53) litt an einer Lebererkrankung und starb an Nierenversagen. Patrick Tietze (†42) nahm sich das Leben.

1/7
Auf ihrer Webseite trauert die AfD um Mitglied Wolfgang Seitz (†59).
Foto: AFD

Ohne Frage handelt es sich um tragische Einzelschicksale – aber nichts, was auf Fremdverschulden hindeutet. Die Polizei bestätigt: In keinem der Fälle gibt es Hinweise auf ein Verbrechen. Ermittlungsverfahren, die zeitweise eröffnet wurden, sind Routine, wenn die Todesursache zunächst unklar ist.

«Schwer erklärbar»

Diesen nüchternen Fakten zum Trotz verbreitet sich in den Reihen der AfD ein anderes Bild. Parteichefin Alice Weidel (46) teilte am Sonntag einen X-Post von AfD-Sympathisant Stefan Homburg, in dem es hiess, die Häufung sei «statistisch fast unmöglich». Vize-Chef Stephan Brandner (59) spricht von einer «statistisch auffälligen» Häufung, die «schwer erklärbar» sei.

Bundesvorstandsmitglied Kay Gottschalk (59) gibt sich gegenüber «Politico» zurückhaltender, betont, dass bislang keine Verdachtsmomente bestätigt würden – doch auch er kündigt an, die Fälle «prüfen» zu wollen. Sein Satz «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» zeigt, dass auch er den Zweifel nicht ausräumen, sondern vielmehr offenhalten will.

Todesfälle in allen Parteien

Die AfD hat in Sachen Todesfälle übrigens keinen Anspruch auf Exklusivität: Auch bei der SPD und den Grünen starben Kandidaten während der Wahlkampfperiode. Insgesamt sind es in NRW mindestens 14 Verstorbene, die an den Kommunalwahlen teilnehmen wollten. Das bestätigt die Landeswahlleitung.

Statistisch gesehen liegt die Zahl sogar im Normalbereich. Rund 20'000 Kandidierende treten in NRW zu den Kommunalwahlen an. Berechnungen der «Zeit» zeigen: Zwischen 15 und 34 Todesfälle im Vorfeld sind erwartbar. Rein rechnerisch wäre es sogar überraschend, wenn in den Wochen vor der Wahl niemand sterben würde.

Dass die AfD überproportional betroffen ist, hat einen simplen Grund: Ihre Kandidaten sind im Schnitt älter als die der anderen Parteien – in Städten wie Bielefeld liegt das AfD-Durchschnittsalter bei 54 Jahren, während SPD, Grüne oder FDP meist jüngere Bewerber – im Schnitt 49 Jahre alt – ins Rennen schicken.

Der Zweck des Zweifelns

Das Verhalten der AfD hat Strategie. Innerhalb der Partei glaubt laut «Politico» kaum jemand ernsthaft an eine Verschwörung. Doch öffentlich widerspricht auch niemand den wilden Theorien, die längst in den Kommentarspalten kursieren: Gerüchte über Vergiftungen, Säuberungen, sogar Mordserien machen die Runde. Mit Fakten hat das nichts zu tun – aber es erfüllt einen Zweck.

Dieser Zweck ist dreifach: Erstens erzeugt er Aufmerksamkeit. Selbst wer die Spekulationen ablehnt, redet darüber – und damit über die AfD. Während andere Parteien ihre Kampagnen auf Inhalte fokussieren, sorgt die AfD dafür, dass über sie gesprochen wird – nicht über die Themen der Konkurrenz. Zweitens stärkt er das Opfer-Narrativ der Partei. Indem sie sich als bedroht inszeniert, rückt sie sich in die Rolle der verfolgten Aussenseiterin, die «vom System» angeblich mundtot gemacht werden soll.

Und drittens schafft er Ablenkung. Denn im NRW-Landesverband der AfD herrscht seit Monaten Chaos. Machtkämpfe, Intrigen und offene Konflikte belasten die Parteiführung. Die Todesfälle verschieben nun die Wahrnehmung. Statt über interne Querelen zu berichten, diskutieren Medien und Öffentlichkeit über mögliche «mysteriöse» Muster. Und die AfD versteht es, diese Diskussion am Laufen zu halten. Offiziell ohne Schuld. Aber niemand widerspricht den Gerüchten, die man selbst angestossen hat.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Meistgelesen