Stürmung von Gaza-Stadt – Netanyahu geht es nicht nur um die Auslöschung der Hamas
Das sind Israels wahre Ziele

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat zur Eroberung von Gaza-Stadt geblasen. Dabei geht es ihm nicht nur um die Hamas. Hinter der verheerenden Offensive stehen noch andere Gründe.
Publiziert: 21.08.2025 um 14:03 Uhr
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Aktualisiert: 21.08.2025 um 15:11 Uhr
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Die israelische Armee bläst zum Sturm auf Gaza-Stadt.
Foto: AFP

Darum gehts

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Guido FelderAusland-Redaktor

Keine Kritik konnte Benjamin Netanyahu (75) stoppen. Der israelische Ministerpräsident hat grünes Licht zur Stürmung der Stadt Gaza gegeben. Hier leben rund eine Million Menschen – die meisten davon Flüchtlinge. Die internationalen Warnungen sowie das Entsetzen der Geiselangehörigen scheinen ihm egal zu sein.

Offiziell geht es der israelischen Regierung um die Zerschlagung der Terrororganisation Hamas, die am 7. Oktober 2023 in Israel eingedrungen war und 1200 Menschen getötet und 250 verschleppt hatte. Doch hinter dem brutalen Vorgehen gegen die Palästinenser steht auch reines Kalkül und der Versuch, an der Macht zu bleiben. 

Die jüngste Aktion des israelischen Militärs heisst «Gideons Streitwagen II» und bildet die Fortsetzung der im Mai eingeleiteten Offensive im Gazastreifen. Ziel ist die Eroberung der Stadt Gaza. Zurzeit nehmen die israelischen Einheiten die Agglomeration ein, um die Stürmung der Stadt vorzubereiten. Die entsprechende Bodenoffensive dürfte laut «Wall Street Journal» im September beginnen.

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Schon die bisherigen Angriffe der Israelis haben in Gaza-Stadt massiven Schaden angerichtet.
Foto: EPA

Auf beiden Seiten werden hohe Opferzahlen erwartet, denn die Anzahl bewaffneter Hamas-Kämpfer und ihrer Verbündeten wird immer noch auf 8000 bis 10’000 geschätzt. Die meisten von ihnen dürften sich in Gaza verstecken und in Hinterhalten auf die Israelis warten. Es droht ein schmutziger Häuserkampf. 

Seltene Luftaufnahmen zeigen Zerstörung in Gaza
2:18
Journalisten ausgesperrt:Luftaufnahmen zeigen Zerstörung in Gaza

Geisel in grosser Gefahr

Besonders hart wird es aber die Zivilisten treffen, die zwischen die Fronten geraten werden. Die Zivilbevölkerung ist ohnehin schon massiv geschwächt. Gemäss UN-Angaben sind in der Stadt Gaza fast ein Drittel der Kinder unterernährt. Zwar will die israelische Armee laut Sprecher Effie Defrin (53) Hunderttausende Bewohner evakuieren. Die Frage ist nur: wohin? Und haben sie überhaupt noch die Kraft dazu?

Bisher sind im Krieg rund 62’000 Palästinenser getötet worden. Darunter befinden sich zwar Tausende von Hamas-Kämpfern, aber noch viel mehr Zivilisten – vor allem Frauen und Kinder. Die Opferzahl dürfte mit der Stürmung der Stadt weiter nach oben schnellen.

Zurzeit befinden sich noch 50 Geiseln in den Händen der Hamas. Von ihnen sollen mindestens 20 noch am Leben sein. Auch sie sind in grösster Gefahr. Der Vater eines Entführten sagte, dass der militärische Druck die Geiseln nicht rette, sondern töte. Ihre Angehörigen versuchen verzweifelt, die israelische Regierung bei ihren Offensivplänen zu stoppen.

Rache an einem Volk

Der Regierung und den ultrakonservativen Kreisen geht es nicht nur um die Zerschlagung der Hamas und die Befreiung der Geiseln. Es geht ihnen um die pauschale und blutige Rache an einem Volk. Das zeigt eine erschütternde Aussage von Aharon Haliva (57). Haliva war zur Zeit des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 Chef des militärischen Geheimdienstes und mitverantwortlich dafür, dass die Tat nicht rechtzeitig erkannt und gestoppt werden konnte.

Gegenüber dem israelischen TV-Sender Channel 12 sagte er kürzlich: «Für jeden Menschen am 7. Oktober müssen 50 Palästinenser sterben. Dabei spielt es keine Rolle, ob es Kinder sind.»

Druck auf Netanyahu

Netanyahu steht derweil unter Druck. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich (45) droht offenbar mit seinem Rücktritt, falls Netanyahu die Angriffe einstellt und einer Waffenruhe zustimmt. Mit seinem harten Durchgreifen im Gazastreifen stärkt der Ministerpräsident die Unterstützung bei seinen Koalitionspartnern, ohne die er politisch nicht überleben könnte. Aus politischem Kalkül nimmt er eine hohe Zahl der Opfer in der Bevölkerung des Gazastreifens in Kauf. 

Um Streicheleinheiten für die Ultrakonservativen geht es auch im Westjordanland. Hier wurde ein höchst umstrittenes Siedlerprojekt bewilligt, das bei UN-Generalsekretär António Guterres (76) für Entsetzen sorgt. Er appellierte an Israel, alle gegen das Völkerrecht verstossenden Siedlungspläne sofort einzustellen. Denn durch die Besiedlung des Westjordanlands gerät die von der Uno angestrebte Zweistaatenlösung in Gefahr.

Israel isoliert sich

Mit ihrem unbarmherzigen Vorstossen in Gaza manövriert sich Israels Regierung immer mehr ins Abseits. In den vergangenen Tagen haben Länder wie Frankreich, Kanada und Grossbritannien angekündigt, Palästina als eigenen Staat anerkennen zu wollen. Sogar Deutschland, wegen der Geschichte mit Israel eng verbunden, hat Massnahmen ergriffen und die Lieferung von Waffen gestoppt, die für den Gazastreifen verwendet würden.

Der Druck auf Netanyahu wächst auch von unten: Am Wochenende haben Hunderttausende Israelis in Tel Aviv gegen seine brutale Politik protestiert. Noch scheinen ihm diese Demonstrationen weniger wichtig zu sein als die Freundschaft zu seinen rechtsextremen Partnern.

Dies könnte sich aber bis in einem Jahr ändern. Bis zum 27. Oktober 2026 sind Wahlen geplant. Die Israelis haben es spätestens dann in der Hand, dem Hardliner das Handwerk zu legen.

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