Star-Politologe Francis Fukuyama
«Für die Schweiz ist es schwierig, Trump die Stirn zu bieten»

Der renommierte US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama warnt vor Donald Trumps autoritären Tendenzen und der Gefahr für die amerikanische Demokratie. Er sieht die Zwischenwahlen als Hoffnungsschimmer – und sagt, was er am US-Präsidenten brillant findet.
Publiziert: 13:53 Uhr
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Aktualisiert: vor 55 Minuten
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«Trump zeigt eindeutig autoritäre Tendenzen», sagt US-Politologe Francis Fukuyama.
Foto: Peter Boer/De Beeldunie/laif

Darum gehts

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Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama (72) gehört zu den profundesten Kritikern des US-Präsidenten und seiner MAGA-Bewegung. 

In den Neunzigerjahren wurde der Stanford-Professor mit seiner Diagnose der neuen Weltordnung berühmt und hat sich international als wichtige Stimme des Liberalismus etabliert. Mit seiner These vom «Ende der Geschichte» gab Fukuyama dem damals herrschenden Optimismus nach dem Ende der Sowjetunion eine Formel, die heftig debattiert wurde – und ihn bis heute verfolgt.

Anlässlich des Literaturfestivals war Fukuyama mit seinem neuen Buch «Der Liberalismus und seine Feinde» in Zürich zu Gast. Blick hat mit dem Politologen gesprochen.

Herr Fukuyama, fast täglich halten Neuigkeiten aus dem Weissen Haus und aus der Welt die Öffentlichkeit in Bann. Wie gehen Sie mit der Nachrichtenflut um?
Francis Fukuyama: Seit Donald Trumps Amtseinführung am 20. Januar empfinde ich die Situation als extrem anstrengend. Es gibt kaum noch Pausen, selbst am Wochenende nicht. Oft kündigt er seine wichtigsten Massnahmen am Samstag oder Sonntag an. Das scheint Teil einer bewussten Strategie zu sein: Die Menschen sollen durch die Vielzahl der Ereignisse überfordert werden, sodass man kaum Zeit hat, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, bevor schon das nächste folgt. Das ist sehr ermüdend.

Sie sagen, das sei ein Muster. Können Sie das näher erläutern?
Trump hat aus seiner ersten Amtszeit viel gelernt und sich vier Jahre lang auf seine Rückkehr vorbereitet. Die Regierung verfolgt eine sehr gezielte Strategie. Sie geht offenbar davon aus, bei den kommenden Zwischenwahlen das Repräsentantenhaus zu verlieren. Deshalb versucht sie, ihre Agenda in kurzer Zeit durchzusetzen, und nutzt dazu vor allem präsidiale Erlasse. 

Nun, ganz so überraschend ist das nicht. Trump setzt um, was er vor seiner Wahl angekündigt hat.
Einige Massnahmen, wie die Verschärfung der Einwanderungspolitik oder die Schliessung der Südgrenze, waren tatsächlich angekündigt. Was viele nicht erkannt haben, ist jedoch die autoritäre Agenda, die Trump verfolgt: Er versucht, die Macht des Präsidenten auf eine bisher beispiellose Weise zu konzentrieren – oft auch unter Missachtung bestehender Gesetze. Dabei stützt er sich auf den Supreme Court. Das erinnert an andere populistische Führer wie Viktor Orban, die Checks and Balances aushebeln.

Sie würden Trump also als autoritär bezeichnen?
Er zeigt eindeutig autoritäre Tendenzen. Zwar wird er durch die bestehenden Institutionen noch gebremst, aber im Geist bewundert er Führer wie Putin oder Xi Jinping. Er hat offen gesagt, wie sehr er es schätzt, dass Xi China mit eiserner Hand regiert. Auch sein Vorgehen gegen Medien, Anwaltskanzleien und Universitäten ist autoritär – er nutzt staatliche Mittel als Druckmittel, ähnlich wie ein Mafiaboss.

Was könnte Trumps Macht begrenzen?
Die grösste Chance auf Veränderung sehe ich in den Zwischenwahlen im kommenden Jahr. Trumps Zustimmungswerte sind seit seiner Amtseinführung deutlich gesunken. Ich gehe davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtern wird und weitere Skandale – etwa im Zusammenhang mit Jeffrey Epstein – ans Licht kommen werden. Die Wählerinnen und Wähler müssen erkennen, wie schwerwiegend die aktuellen Entwicklungen sind – etwa der Ausbau der Grenzschutzbehörde, der den Grundstein für einen Polizeistaat legt. Die Menschen werden irgendwann kapieren, was in ihrem Land geschieht.

Werden die Zwischenwahlen nächstes Jahr überhaupt stattfinden?
Ja, weil der amerikanische Föderalismus sehr stark ist. Trump hat beispielsweise versucht, Einfluss auf Bundesstaaten wie Kalifornien und New York auszuüben – aber das geht nicht so einfach. Deshalb denke ich, dass es verfrüht wäre, die bestehenden Institutionen bereits jetzt abzuschreiben.

Francis Fukuyama

Mit seinem Essay «Das Ende der Geschichte?», der 1989 erschien, wurde Francis Fukuyama (72) weltberühmt. 1992 folgte das Buch «Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch». Er ist Professor an der Universität Stanford in Kalifornien, wo er das Zentrum für Demokratie, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit leitet. Fukuyama ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Kalifornien.

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Mit seinem Essay «Das Ende der Geschichte?», der 1989 erschien, wurde Francis Fukuyama (72) weltberühmt. 1992 folgte das Buch «Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch». Er ist Professor an der Universität Stanford in Kalifornien, wo er das Zentrum für Demokratie, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit leitet. Fukuyama ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Kalifornien.

Die USA galten lange als Führungsmacht der freien Welt. Sind sie das noch? Oder erleben wir eine Zeitenwende?
Ich fürchte, die Welt wird nicht mehr zum Zustand von vor 2016 zurückkehren ...

... dem Jahr, als Trump zum ersten Mal gewählt wurde.
Nicht nur Trump, sondern die gesamte Republikanische Partei hat sich in eine nationalistische, isolationistische Richtung entwickelt. Ein Drittel der Wähler steht fest hinter Trump. Es gibt viele Nachahmer und ehrgeizige Politiker, die auf seinem Erbe aufbauen wollen. Die Demokraten haben noch keine Strategie gefunden, um dagegenzuhalten – im Gegenteil, sie tendieren dazu, sich weiter nach links zu bewegen, was sie schwächt. Die richtige Strategie wäre meiner Meinung nach, mehr ins Zentrum zu rücken. 

Inwiefern?
Für stabile Demokratien ist es besser, wenn sich Mitte-links- und Mitte-rechts-Parteien abwechseln. Die politischen Ränder hingegen entfernen sich zunehmend von den Prinzipien einer liberalen Demokratie. Die extreme Rechte in den USA greift offen demokratische Institutionen und die Rechtsstaatlichkeit an. Gleichzeitig hat auch die progressive Linke mit Problemen wie mangelnder Meinungsfreiheit und Intoleranz gegenüber abweichenden Ansichten zu kämpfen. Beide Lager stehen im Widerspruch zu den Grundwerten einer liberalen Gesellschaft.

Ist Trump in Ihren Augen ein Vorreiter dieser Entwicklung? Oder folgt er historischen Vorbildern?
Nein. Trump ist völlig einzigartig. In vielerlei Hinsicht ist er ein brillanter Politiker. Abgesehen von seiner langjährigen Befürwortung protektionistischer Zölle folgt er keiner konsistenten Ideologie. Im Grund macht er das, was seinem kurzfristigen Eigeninteresse dient. Seine Regierung ist die korrupteste in der US-Geschichte. Aber natürlich sagt im Wahlkampf keiner: Ich möchte reich werden, und deshalb solltet ihr für mich stimmen.

Interessant ist die treue Gefolgschaft um Trump herum. Sind die Leute in seiner Regierung Ihrer Meinung nach eher Kopfnicker oder wirkliche Ideologen?
Sie sind weder blosse Kopfnicker noch durchweg Ideologen – auch wenn es einige Ausnahmen gibt. Der Vizepräsident J. D. Vance etwa wirkt auf mich ziemlich ideologisch. Wir haben es hier nicht mit einer gut organisierten und professionell geführten Regierung zu tun. Was wir erleben, ist chaotisch, widersprüchlich und in vielerlei Hinsicht schlichtweg inkompetent.

Können Sie auch eine positive Seite an Trump nennen?
Manche seiner Anliegen haben einen wahren Kern. Die US-Immigrationspolitik ist ein Beispiel: Die meisten Amerikaner befürworten Einwanderung, aber nicht ohne Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet aber nicht, dass sie wollen, dass Menschen einfach von der Strasse weg verhaftet und ohne ordentliches Verfahren in ausländische Gefängnisse gebracht werden. Doch genau so geht die Trump-Regierung vor. Sie nehmen ein im Grund legitimes Ziel – nämlich die Einwanderung besser zu steuern – und setzen es auf eine Weise um, die rechtsstaatliche Prinzipien verletzt.

Wie sollten andere Regierungen, etwa die Schweiz, mit Trump umgehen? Etwa bei seiner Zollpolitik?
Für ein kleines Land wie die Schweiz ist es schwierig, Trump offen die Stirn zu bieten oder mit Gegenzöllen zu reagieren. Grössere Staaten wie China oder einzelne europäische Länder verfügen hier über etwas mehr Spielraum. Aus meiner Sicht wäre eine engere Zusammenarbeit der betroffenen Länder entscheidend. Ein einzelnes Land wird in einem solchen Konflikt kaum bestehen – doch eine koordinierte europäische oder multilaterale Antwort hätte deutlich mehr Gewicht. Die EU sollte geschlossen auftreten und vorschnelle Eskalationen vermeiden.

Auch Trumps Haltung im Ukraine-Krieg stellt den Westen vor grosse Herausforderungen.
Ich halte den Krieg für zentral im Kampf zwischen Autoritarismus und Demokratie. Trumps Verhalten gegenüber Selenski war beschämend, aber auch Bidens Unterstützung war zu zögerlich. Er hat der Ukraine gerade genug Hilfe gewährt, um eine Niederlage zu verhindern – aber nicht genug, um Russland wirklich zurückzudrängen. Möglicherweise ist es inzwischen zu spät, das noch zu ändern. Europa muss die fehlende amerikanische Unterstützung ausgleichen und langfristig mehr in eigene Verteidigungsfähigkeiten investieren.

In Ihrem Buch «Der Liberalismus und seine Feinde» verteidigen Sie den Liberalismus als bestmögliche Gesellschaftsform. Weshalb?
Liberale Gesellschaften zählen zu den wohlhabendsten und lebenswertesten der Geschichte, da sie Marktwirtschaft mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verbinden. Dafür braucht es einen Staat, der den Markt reguliert und soziale Ungleichheit begrenzt. Dieses Erfolgsmodell steht heute jedoch massiv unter Druck.

2025 haben liberale Demokratien nicht gerade Hochkonjunktur.
Es ist frustrierend, denn im Vergleich zu den Alternativen sind liberale Demokratien immer noch erfolgreich. Länder wie Ungarn zeigen, dass autoritäre Systeme nicht besser funktionieren. Aber viele junge Menschen nehmen Freiheit und Wohlstand als selbstverständlich hin, was gefährlich ist.

Gibt es denn Hoffnung auf einen Wandel?
Ja, es gibt Hoffnung. In Polen etwa wurde die rechtspopulistische Regierung nach acht Jahren abgewählt. Der Kampf ist noch lange nicht vorbei, aber wenn Menschen zusammenarbeiten, können sie populistische Bewegungen zurückdrängen – auch in den USA.

Sie haben einmal geschrieben, dass die liberale Demokratie nur dann ein Comeback haben wird, wenn die Menschen bereit sind, für sie zu kämpfen. Stehen wir an diesem Wendepunkt?
Das wird sich zeigen. Klar ist: Die Ukrainer befinden sich derzeit in einem existenziellen Kampf um ihr Leben und ihre Freiheit. Für den Rest von uns sieht das anders aus. Wir müssen nicht mit Waffen kämpfen. Aber wir haben die Pflicht, uns politisch einzubringen: zu argumentieren, Missstände aufzuzeigen, die Positionen der Gegner zu hinterfragen. Wenn wir das nicht tun, droht der Verlust der Demokratie.

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