Darum gehts
Pokrowsk – einst Kohlezentrum, jetzt Brennpunkt der Ostfront. In der Nähe der Kleinstadt tobt eine der brutalsten Offensiven dieses Kriegs. 110’000 russische Soldaten, Dutzende Bataillone, massive Drohnen- und Artillerieeinsätze: Moskau will hier unbedingt durchbrechen.
Während die Ukraine jüngst etwas aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten ist, vermeldet Putin Erfolg um Erfolg. Doch wie steht es wirklich um Russlands Sommeroffensive? Wir liefern den Überblick.
Die Strategie hinter dem Sturm
Was rund um Pokrowsk geschieht, ist das Resultat monatelanger Vorbereitungen. Russlands Streitkräfte setzen auf Überdehnung des Feindes: Mit simultanen Angriffen in Tschassiw Jar, Torezk und Nowopawliwka soll die ukrainische Verteidigung aufgespalten werden. Pokrowsk ist dabei das Hauptziel – der Verkehrsknotenpunkt kontrolliert wichtige Bahnlinien Richtung Dnipro und Saporischschja. Fällt die Stadt, könnte Russland die Frontlinie gefährlich weit nach Westen verschieben.
Deshalb konzentriert Moskau hier enorme Ressourcen, wie die amerikanische Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) berichtet: gepanzerte Stosstrupps, modernisierte Drohnen, vor allem aber eine neue Art von taktisch kombinierten Angriffen. Erst schalten Lancet- und Geran-Drohnen Kommunikationsknotenpunkte und Radareinheiten aus. Dann folgt Artillerie auf Munitionslager. Und schliesslich rollt Infanterie – meist in kleinen Trupps auf Motorrädern oder leichten Buggys, unterstützt von elektronischer Kriegsführung und Aufklärungsdrohnen.
Diese Taktik zwingt die ukrainischen Verteidiger, ständig ihre Positionen zu wechseln – um Munition zu sparen und die wenigen intakten Versorgungslinien zwischen Netajlovo, Nowoseliwka Perscha und Karliwka zu sichern.
Warum Pokrowsk (noch) hält
Trotz massivem Druck: Die ukrainische Linie bei Pokrowsk hat sich bisher nicht aufgelöst. Das liegt laut ISW an mehreren Faktoren. Erstens: Die ukrainische Armee hat hier hochmobile Einheiten stationiert, darunter spezialisierte Jägerbataillone und Panzerabwehrteams. Zweitens: Dank westlicher gestützter Aufklärung (insbesondere durch Satelliten und Funküberwachung) kann Kiew russische Vorbereitungen oft früh erkennen und gezielt kontern.
Und drittens: Die Verteidiger setzen auf Tiefe statt Härte. Anstatt jeden Meter zu verteidigen, lassen sie manche Stellungen bewusst zurückfallen – um den Feind in vorbereitete Kill-Zonen zu locken, wo Drohnen, Minenfelder und präzise Haubitzen zuschlagen.
Russlands Probleme: Verluste und Logistik
Laut US-Militärquellen, die CNN vorliegen, verliert Russland täglich über 1000 Soldaten an der Ostfront – viele davon rund um Pokrowsk. Die neuen russischen Angriffsbrigaden bestehen teils aus frisch mobilisierten Rekruten ohne Kampferfahrung. Ihre Panzerfahrzeuge sind oft veraltet oder schlecht gewartet, die Logistik gestreckt: Im Niemandsland zwischen Wuhledar und Kurachowe bleiben fast täglich Konvois liegen – ideale Ziele für ukrainische Drohnen.
Hinzu kommt: Die massive Nutzung von Drohnen auf beiden Seiten führt zu einem technologischen Patt. Wo früher Luftüberlegenheit entscheidend war, zählen heute Störsender und mobile Kommandoeinheiten. Und hier ist die Ukraine mindestens gleichauf.
Ablenkung oder Erweiterung?
Auch andernorts kommt es im Rahmen der russischen Sommeroffensive zu heftigen Gefechten. Die russische Armee versucht, mit Schlägen in der Tiefe – etwa auf Dnipro oder auf ukrainische Kommandoaktionen bei Belgorod – die Aufmerksamkeit der ukrainischen Armeeführung zu streuen.
Doch bisher bleibt das strategische Gewicht klar bei Pokrowsk. Denn hier entscheidet sich, ob Russland nach zwei Jahren wieder Momentum gewinnt – oder ob die ukrainische Verteidigungsstrategie des kontrollierten Rückzugs aufgeht.