Kulturkampf in den USA
«Trump ist ein mediales Äquivalent von Hitler»

Hans Ulrich Gumbrecht sieht die liberale Demokratie am Wendepunkt – der Stanford-Intellektuelle warnt davor, dass sich politische Systeme überall in der Welt grundlegend verändern könnten.
Publiziert: 10:07 Uhr
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Die Proteste gegen Trump belebten die Demokratie, sagt Hans Ulrich Gumbrecht.
Foto: AFP via Getty Images

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Lino SchaerenRedaktor

Hans Ulrich Gumbrecht (77), emeritierter Romanist in Stanford, ist ein hochgelobter Geisteswissenschaftler, den viele als Trump-Unterstützer verurteilen – obwohl er das nicht ist. Anderen gilt er als positive Ausnahmefigur.

Gumbrecht teilt manche Positionen Trumps – und das macht ihn in der liberalen Universitätswelt zum Sonderling. Zu Unrecht, wie er findet: Rund ein Viertel der Studierenden und fast ein Drittel der Professoren stünden Trump nahe – nur rede niemand darüber.

Herr Gumbrecht, sind Sie im Besitz einer Rolex?
Hans Ulrich Gumbrecht: Nein, eine Rolex habe ich nicht — und könnte sie mir wohl auch kaum leisten. Aber ich bin stolz auf meine IWC im Porsche-Design aus den frühen Achtzigern, die mir meine erste Frau zum 35. Geburtstag geschenkt hat. Der Rolex-Stil ist für meinen Geschmack eher etwas zu protzig, beinahe möchte ich sagen: zu unschweizerisch.

Protzig passt zu Donald Trump, auf seinem Tisch im Oval Office steht neustens eine spezielle Rolex: Ein Gastgeschenk von Schweizer Wirtschaftskapitänen, zusammen mit einem gravierten Goldbarren. So haben Sie die Tür geöffnet für einen Zoll-Deal für die Schweiz. Ein geschickter Zug?
Auf den ersten Blick eine peinliche Strategie, die eher an die früher «Dritte Welt» genannten Länder als an die Schweiz erinnert. Aber sie hat offenbar Erfolg eingebracht, so funktioniert eben die Psyche unseres amerikanischen Präsidenten — und angesichts der erreichten Zoll-Lösungen sind die Ausgaben für ein paar Rolex-Uhren und für gravierte Goldbarren wohl leicht zu verkraften.

Milliardenschwere Unternehmer statt Staatsrepräsentation, teure Gastgeschenke: Ist das die Kultur, die einem Kleinstaat wie der Schweiz bleibt, um dem eitlen US-Präsidenten beizukommen?
Ganz offenbar sind die Schweizer Unternehmer zu dem anvisierten Ziel gekommen, das die Politiker als legitime Repräsentantinnen der Schweizer Bevölkerung verfehlt haben. Man kann und soll sich Prinzipien des Stils und der Würde etwas kosten lassen.

Aber?
Aus Prinzipientreue eine Wirtschaftskrise zu riskieren, wäre aus Sicht der Schweiz wohl nicht richtig gewesen.

Materielle Schmeichelei kennt man von Golfstaaten, Katar hat Trump einen 400-Millionen-Jumbojet geschenkt. Wie werden solche Geschenke in den USA aufgenommen?
Auch in den USA reagieren einige der Leitmedien – vor allem die «New York Times» und die «Washington Post» – täglich mit Empörung auf die internationalen Stilbrüche, die Trumps Eitelkeit auslöst. Die öffentliche Erregung bei uns unterscheidet sich von den jetzigen Protesten in der Schweiz, weil mein Land noch gute drei Jahre täglich mit diesem Präsidenten zurechtkommen muss.

Herumschlagen müssen sich mit Trump auch die amerikanischen Elite-Universitäten, gegen die der US-Präsident einen Kulturkampf führt. Was steht dabei für Trump tatsächlich auf dem Spiel?
Die Interpretation als Kulturkampf ist überzogen. Trump ist ein Mensch der schnellen Gesten – kaum interpretieren wir sie, hat er sie schon verworfen.

Was steckt hinter seinem Angriff auf die Ivy League, die traditionsreichsten Hochschulen der USA?
Scharf attackiert hat Trump nur Harvard. 99 Prozent der Amerikaner haben keine Chance, an einer Elite-Uni zu studieren. Viele empfinden deshalb Abneigung oder sogar Wut gegenüber der intellektuellen Oberschicht, die zentrale Funktionsstellen im Land besetzt – auch ohne Regierungsämter.

Dabei entstammt auch Trump selbst dieser Elite.
Trump selbst hat an der Wharton School studiert, einer der besten Business-Schools im Land. Das verschweigt er aber konsequent. Stattdessen greift er Harvard an – beim Grossteil der Wähler konnte er damit wohl punkten.

Hans Ulrich Gumbrecht

Hans Ulrich Gumbrecht ist Albert Guérard Professor in Literature Emeritus an der Stanford University, Distinguished Emeritus Professor an der Universität Bonn und Distinguished Professor of Romance Literature an der Hebrew University Jerusalem.

Er wurde 1948 in Würzburg geboren, mit 26 Jahren wurde er Professor an der Universität Bochum. 1989 wanderte er nach Kalifornien aus. Von 1989 bis 2018 hatte Gumbrecht einen Lehrstuhl für Komparatistik an der Stanford University inne.

Hans Ulrich Gumbrecht ist Albert Guérard Professor in Literature Emeritus an der Stanford University, Distinguished Emeritus Professor an der Universität Bonn und Distinguished Professor of Romance Literature an der Hebrew University Jerusalem.

Er wurde 1948 in Würzburg geboren, mit 26 Jahren wurde er Professor an der Universität Bochum. 1989 wanderte er nach Kalifornien aus. Von 1989 bis 2018 hatte Gumbrecht einen Lehrstuhl für Komparatistik an der Stanford University inne.

Trump, der Multimillionär, schafft es, sich bei den kleinen Leuten anzubiedern. Wie macht er das?
Multimillionär, ja, aber Trump ist mehrmals pleitegegangen. Er ist ein nur halb erfolgreicher Unternehmer mit bemerkenswertem populistischem Talent. Mit Adolf Hitler hat Trump politisch wenig gemein.

Aber?
Aber medial ist er ein Funktionsäquivalent von Hitler in den späten 20ern und frühen 30ern in Deutschland unter historisch anderen Vorzeichen.

Wie meinen Sie das?
Damals folgten viele Hitler, obwohl sie nicht von der Herrschaft der NSDAP profitierten. Ähnlich ist es mit Trump – unter anderen sozialen Bedingungen: Die weissen, arbeitslosen Proletarier in Pennsylvania etwa glauben, dass Trump der Typ ist, der ihre Sorgen versteht, obwohl er nichts für sie tut.

Diese Menschen finden sich im Slogan «Make America Great Again» wieder.
Der Slogan zielt auf eine neue Erzählung der jüngeren US-Geschichte. Und hier trifft Trump einen wahren Punkt.

Ach ja?
In den USA wird die nationale Geschichte seit der Zeit des Vietnamkriegs meist negativ unterrichtet: dass die USA die Welt unterworfen haben.

Sich der eigenen Geschichte bewusst zu sein, zeugt von Demut.
Selbstkritik ist ganz gesund. Aber sie kann nicht die einzige Dimension des Geschichtsbewusstseins bleiben. Ich bin 1948 in Deutschland geboren, und in meiner Geburtsurkunde hat es einen fetten Stempel: «American occupation zone in Germany» – denn es gab damals keinen deutschen Staat.

Was wollen Sie damit sagen?
Wer hätte 1945 gedacht, dass Deutschland je ein funktionierender demokratischer Staat werden würde? Die Geschichte der Bundesrepublik ist eine der wenigen grossen Erfolgsgeschichten des 20. Jahrhunderts – und sie wurde vor allem unter amerikanischer und britischer Besatzung geschrieben. Heute geht es unter US- und auch chinesischer Dominanz wohl mehr Menschen auf der Welt einigermassen gut als je zuvor. Trotzdem wird Amerika in den meisten Bildungssystemen als böse Besatzungsmacht dargestellt.

Sie loben die amerikanische Besatzung Deutschlands als Geburtshelferin der Demokratie. Unter Trump scheint dieses Erbe ins Wanken zu geraten.
Wir sollten nicht vergessen, dass die liberale Demokratie ein historisches Produkt der Aufklärung und nicht einfach gegeben ist. Ich bin absolut für diese Regierungsform. Aber historisch gesehen kann man sich fragen, ob bestimmte Strukturen unter den heutigen Bedingungen ermüdet und noch tragfähig sind.

Die liberale Demokratie hat ein Verfallsdatum?
Es gibt nicht nur Trump, von der parlamentarischen Demokratie abweichende Entwicklungen finden derzeit praktisch in allen Erdteilen statt. Ich würde nicht ausschliessen, dass sich die Formen der politischen Wirklichkeit in den nächsten 50 Jahren einschneidend verändern werden – auch auf der Nordhalbkugel.

Schafft Trump denn gerade die Demokratie ab? Sie haben nach seiner triumphalen Wiederwahl gewarnt, dass es 2028 keine Wahlen mehr geben könnte.
Demokratien sind gefährdet, wenn zentrale Akteure autokratisch handeln – das gilt nicht nur für die USA. Dennoch sehe ich Trumps Einfluss inzwischen gelassener: Die Demokratie ist derzeit lebendiger als zu Bidens Zeiten.

Obwohl Trump die Gewaltenteilung infrage stellt?
Die Demokratie ist nicht deshalb lebendiger, weil Trump das will, sondern weil sein Verhalten breite Kritik an der Regierung aktiviert hat. Heute beteiligen sich Menschen an solchen Diskussionen, die vor ein paar Jahren beispielsweise noch gar nicht wussten, was Gewaltenteilung ist. Sie entwickeln gerade ein Bewusstsein nicht nur für die Existenz bestimmter demokratischer Strukturen, sondern auch für deren Funktion. Trump ist eine Gefahr für die Demokratie, aber er hat wohl kein Programm für ihre Abschaffung. Ich wäre übrigens froh gewesen, wenn er den Friedensnobelpreis bekommen hätte.

«Sie sind ein schrecklicher Mensch!»
1:28
Trump greift ABC-Reporterin an:«Sie sind ein schrecklicher Mensch!»

Wieso das?
Ein Nobelpreis hätte Trumps infantilen Geltungsdrang befriedigt – vielleicht wäre er dann abgetreten.

Sie glauben ernsthaft, Trump wäre gegangen?
Ich halte das für möglich, ja. Und er hätte dieses Jahr den Friedensnobelpreis verdient gehabt. Trumps Vorschlag für den Nahen Osten ist der beste und effizienteste seit langer Zeit. Ob er langfristig funktioniert, ist eine andere Frage.

Sie haben einmal gesagt, dass der aktuelle US-Präsident nur ein Platzhalter sei. Wer und was folgt auf Trump?
Ein Platzhalter für Personen wie Peter Thiel oder J. D. Vance. Vance ist als Vizepräsident derzeit Trumps designierter Nachfolger. Thiel zieht möglicherweise im Hintergrund die Fäden.

Peter Thiel, der Tech-Milliardär, Investor und libertäre Vordenker. Er gilt als enorm einflussreich – und radikal. Ein Königsmacher.
Ihn kenne ich relativ gut, er hat in Stanford studiert. Er ist hochintelligent und in der Philosophie aussergewöhnlich belesen. Thiel hat J. D. Vance mit seiner persönlichen und finanziellen Unterstützung politisch erfunden. Und im Gegensatz zu Trump haben Thiel und Vance wohl eine Vision der Zukunft.

Wie sieht die aus?
Wenn ich Thiel danach frage, sagt er immer nur: «Diskontinuität.» Er hat Trumps letzten Wahlkampf nicht mehr mitfinanziert, weil der nach seinem Geschmack nicht genügend radikale Veränderungen anstrebt. Thiel hält die Demokratie für verbraucht und sucht neue politische Strukturen – vielleicht mit längeren Amtszeiten, vielleicht ohne Parlament. Die Gewaltenteilung bestünde dann nur noch zwischen Justiz und Regierung.

Eine grausige Vorstellung, da der Präsident die obersten Richter ernennt.
Ich möchte das keinesfalls. Aber andererseits ist es eine Wahrheit, dass unser Senat und unser Repräsentantenhaus zurzeit eine Verschwendung von Steuergeldern sind. Die Parlamente werden von der Regierung ignoriert – und nichts passiert. Für gewisse Leute ist es also naheliegend, über Alternativen nachzudenken. J. D. Vance kann das nicht laut sagen. Aber ich stelle mir vor, dass er durchaus Pläne in dieser Hinsicht hat. Dabei spielt wahrscheinlich seine sehr ernsthafte Konversion zum Katholizismus eine Rolle.

Inwiefern?
Mit der Bedeutung, die er in seinem Leben der Religion gibt, ähnelt Vance seinem Mentor Peter Thiel, der sich allerdings exzentrischeren theologischen Inhalten zuwendet. Thiel spricht seit einiger Zeit regelmässig über den «Antichrist», eine Gestalt des Übels und der Zerstörung, die dem Weltenende vorausgehen soll. Zerstörung, Krieg und Chaos wären dann Vorstufen zum positiven Moment der Erlösung an einem jüngsten Tag.

Nicht nur Thiel hat in Stanford studiert, auch Elon Musk oder Sam Altman, Gründer von OpenAI, gingen über diesen Campus. Sie haben kürzlich gesagt, die ETH Zürich sei im Wettbewerb um die international besten Studierenden der Hauptkonkurrent von Stanford University.
Ich bin stolz, dass sich meine älteste Enkelin in den nächsten Wochen in Stanford, aber auch an der ETH bewerben wird. Sie möchte Ernährungswissenschaften studieren, und die ETH ist offenbar auf diesem Gebiet die Nummer eins der Welt. Es gibt nur sehr wenige kontinentaleuropäische Universitäten, die irgendwo die Nummer eins sind.

Können Unis wie die ETH von den politischen Unsicherheiten in den Vereinigten Staaten profitieren?
Wenn eine europäische Universität davon profitieren sollte, dann ist es die ETH Zürich. Ich kenne keine andere Universität, die in Kalifornien aktiv Events organisiert, um Studenten zu rekrutieren, die sonst wahrscheinlich nach Stanford gehen würden. Die ETH ist – und das meine ich als Kompliment – arrogant genug, im Silicon Valley um die Besten der Welt zu buhlen.

Sie sind der Schweiz auch privat verbunden. Was gefällt Ihnen an der Eidgenossenschaft?
Die Schweiz ist für mich eine europäische Gesellschaft und Kultur, die ich in Deutschland gesucht und nie gefunden habe. Als Romanist imponiert mir die Pflege der vier Landessprachen, unabhängig von der Zahl ihrer Sprecher. Und vor allem gefällt es mir, dass in der Schweiz Leistung weiterhin offene und öffentliche Anerkennung findet. In der Schweiz darf man herausragend sein. In Deutschland darf ich gut sein wollen – aber nicht der Beste.

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