Darum gehts
- In Gaza-Stadt wurde offiziell eine Hungersnot festgestellt
- Die Hungersnot ist vollständig menschengemacht und könnte rückgängig gemacht werden
- Bis Juni 2026 sind 132'000 Kinder unter fünf Jahren bedroht
Jetzt ist es erstmals offiziell: In Gaza-Stadt ist eine Hungersnot festgestellt worden. Das geht aus dem neuesten Bericht der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) hervor, einer von den Vereinten Nationen unterstützten Initiative zur Überwachung des Hungers weltweit. Die Expertinnen und Experten stufen die Lage neu in Phase 5 ein – die höchste und schlimmste Kategorie akuter Ernährungsunsicherheit. Damit gilt: In Gaza-Stadt herrschen Bedingungen einer Hungersnot nach international anerkannten Kriterien.
Der Bericht spricht von «katastrophalen Zuständen» im gesamten Gouvernement Gaza. Bis Ende September dürften sich diese auch auf Deir al-Balah und Khan Younis ausweiten. Die Hungersnot sei «vollständig von Menschen verursacht» und könnte gestoppt und sogar rückgängig gemacht werden. Gleichzeitig warnt der Bericht: «Jede weitere Verzögerung – selbst um nur wenige Tage – wird zu einer inakzeptablen Eskalation der Hungersnot-bedingten Sterblichkeit führen.»
Israel weist Ergebnisse zurück
Besonders betroffen sind Kinder: Laut IPC sind bis Juni 2026 rund 132'000 Kinder unter fünf Jahren in Gaza von Unterernährung bedroht. 41'000 von ihnen dürften an schwerer Unterernährung leiden – doppelt so viele wie noch im Mai geschätzt. Diese Kinder sind dadurch einem besonders hohen Sterberisiko ausgesetzt.
Für die Bewohner vor Ort ist die Situation schrecklich. Kinder und Jugendliche sind oft damit beschäftigt, Nahrung für ihre Eltern und Grosseltern zusammenzusuchen. Reem Tawfiq Khader (41), eine Mutter von fünf Kindern aus Gaza-Stadt sagt gegenüber der BBC: «Die Hungersnot wurde zu spät ausgerufen, aber die Deklaration ist dennoch wichtig. Wir haben seit fünf Monaten keine Proteine mehr gegessen. Mein jüngstes Kind ist vier Jahre alt – es weiss nicht, wie Obst und Gemüse aussehen oder schmecken.»
Ähnliches erlebt hat Mariam al-Scheikh (34). Sie sei oft stundenlang auf der Suche nach Brot oder Lebensmittelkonserven. «An manchen Tagen kann ich nur ein kleines Brot und eine Tomate finden, um sie zwischen drei Kindern zu teilen», klagt sie
Strikte Kriterien für Erklärung von Hungersnot
Ehe eine Hungersnot erklärt wird, müssen drei Kriterien erfüllt sein: Mindestens 20 Prozent der Haushalte sind von einem extremen Lebensmittelmangel betroffen, mindestens 30 Prozent der Kinder leiden unter akuter Mangelernährung und täglich sterben mindestens zwei Erwachsene oder vier Kinder pro 10'000 Einwohner an Hunger oder aufgrund des Zusammenspiels von Unterernährung und Krankheit.
Alle drei treffen zu, wie Jean-Martin Bauer vom Welternährungsprogramm (WFP) in einem Briefing für Journalisten in Genf sagte.
Die IPC ist ein Zusammenschluss von UN-Organisationen, Hilfswerken und Regierungen und gilt als wichtigster Mechanismus der internationalen Gemeinschaft, um Hungersnöte zu bewerten. Sie selbst erklärt zwar keine Hungersnot, liefert jedoch die wissenschaftliche Grundlage für offizielle Stellungnahmen.
Israel weist die Ergebnisse der Untersuchung derweil entschieden zurück.