Darum gehts
Die Russen wollen ihn loswerden, Donald Trump (79) hat seine liebe Mühe mit ihm – und jetzt formiert sich auch in der Ukraine selbst Widerstand gegen den Kurs von Präsident Wolodimir Selenski (47).
Sein brüskes Vorgehen gegen die Anti-Korruptionsbehörden im Land führte zu Massenprotesten in Kiew, und am Freitag schliesslich zu einer Hammer-Massnahme der EU, die Selenskis Job extrem erschweren. Vor allem jetzt, wo erstmals Berechnungen von Offizieren seiner Armee ans Licht kommen, die zeigen: Wenn Selenski nicht massenhaft neue Soldaten aus dem Hut zaubert, steht bald niemand mehr auf der ukrainischen Seite der Front.
Rückblende: Den Fehlentscheid, die Anti-Korruptionsbehörde (Nabu) und die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft (SAP) einem von ihm benannten Generalstaatsanwalt zu unterstellen, hat Selenski nach den massiven Protesten in seiner Heimat zurückgenommen. Ein neuer Gesetzesentwurf, über den das Parlament am Donnerstag abstimmt, soll die beiden Behörden wieder unabhängig machen.
EU kürzt Selenski die Finanzhilfe wegen verpasster Ziele
Die Proteste gegen Selenskis Entscheid aber sind nicht verstummt. Die Sorge bleibt, dass Selenskis Untergebene bestimmte Korruptionsverfahren – etwa das Bestechnungsverfahren gegen seinen Freund und einstigen Vize-Premierminister Oleksi Tschernyschow (47) – bis zur Abstimmung am Donnerstag einstellen könnten.
Die Spaltung, die Selenskis Zickzackkurs im Land verursacht hat, ist nicht nur mühsam für den Präsidenten selbst, sondern gefährlich für die ganze Nation. «Russland kann uns militärisch nicht bezwingen», sagt der ukrainische Journalist Yevhen Semekhin (39) zu Blick. «Aber wenn es ihnen gelingt, uns intern zu spalten, wird Putin das schamlos ausnutzen. Das ist seine einzige Chance, die Ukraine zu unterwerfen.»
Damit das nicht passiert, bleibt Kiew weiterhin stark abhängig von westlichen Waffenlieferungen und Geldern. An beiden Fronten aber hapert es. Der deutsche «Spiegel» berichtet, die dringend benötigten Patriot-Raketenabwehrsysteme, auf die die Ukraine wartet, würden erst 2026 geliefert werden.
Und am Freitag hat die EU bekanntgegeben, dass man den nächsten Finanzzustupf zur Unterstützung des ukrainischen Staates wegen Nicht-Erfüllens der vereinbarten Reformziele um 1,5 Milliarden (von 4,5 auf 3 Milliarden Euro) kürzen wird. Unter anderem, weil es die Ukraine verpasst habe, ihr Anti-Korruptionsgericht neu aufzustellen.
Zusehends schwierig wird es für die Ukraine auch an der Kriegsfront. Einerseits soll Pjöngjang laut südkoreanischen Geheimdienstangaben schon im August bis zu 30'000 neue Soldaten für Wladimir Putins (72) Krieg bereitstellen. Andererseits droht der ukrainischen Armee selbst das Personal auszugehen – trotz den jüngst ergriffenen Massnahmen wie der Senkung des Wehrpflichtalters oder der Amnestie für Strafgefangene, die sich freiwillig zum Kriegsdienst melden.
Horror-Rechnung von Ukraine-Offizier
Das behauptet Igor Lutsenko (46), ehemaliger Parlamentarier, Politberater und Offizier in einer ukrainischen Einheit. Seine Rechnung geht so: Pro Monat will die ukrainische Armee 30'000 neue Soldaten rekrutieren, was ihr Stand jetzt nicht gelingt. Bis zu 8000 Soldaten monatlich sterben, noch mal so viele werden verwundet. Dazu kommen Deserteure und Kriegsgefangene (Zahl unklar). Lutsenko geht in seinem Facebook-Post deshalb davon aus, dass die ukrainische Armee pro Monat bis zu 15'000 Mann verliert. «In zwei Jahren wird niemand mehr an der Front stehen, wenn wir einfach so weitermachen», schreibt der Offizier.
Keine guten Aussichten für Selenski – weder auf der militärischen, noch auf der finanziellen, noch auf der politischen Ebene. Präsident bleiben aber wird er trotzdem auf absehbare Zeit. Die ukrainische Verfassung verbietet Neuwahlen in Kriegszeiten – ganz abgesehen davon, dass in einem ständig von Raketen beschossenen, zu rund einem Fünftel von einer feindlichen Macht besetzten Land gar keine freien Wahlen durchgeführt werden könnten.
Zurücktreten könnte er. Interimsmässig übernehmen würde dann der Parlamentsvorsitzende Ruslan Stefantschuk (49), einer der Chefstrategen von Selenskis Partei «Diener des Volkes». Selenskis Rücktritt aber wäre ein weiterer Teilsieg für Putin, weil er garantiert neue Unruhe ins Land brächte. So bleibt dem zum Kriegspräsidenten mutierten ehemaligen Komiker nicht viel mehr, als weiterhin ernste Miene zum bösen Spiel zu machen. Nach der knapp überstandenen Höllenwoche dürfte das dem einstigen Vorzeigepolitiker noch etwas schwerer fallen.