Darum gehts
- Israelische Militäroperation im Gazastreifen gestartet
- Rabbiner kritisiert die Offensive heftig und fordert internationale Sanktionen
- Israeli in der Schweiz sieht für die Zukunft Schwarz
Bei der grossen Militäroperation der israelischen Armee sind bereits Hunderte Menschen gestorben. Das israelische Militär unter dem Kommando von Premierminister Benjamin Netanyahu (75) hatte am Freitag mit einer Invasion begonnen. «Wir werden den gesamten Gazastreifen kontrollieren», sagte Netanyahu in einer Video-Botschaft.
«Gideon's Chariot», zu Deutsch «Gideons Streitwagen» ist eine grossangelegte Bodenoffensive. Nach der kompletten Einnahme des Gazastreifens sollen humanitäre Zonen errichtet werden. Das erklärte Ziel Israels: 20 lebende und 35 getötete Geiseln aus dem Gebiet zurückholen. Danach: die Zerstörung der Terrormiliz Hamas.
«Mehr Leid auf beiden Seiten»
Blick fragte bei Juden und Israelis in der Schweiz nach: Was denken sie über diese Invasion? Roy Wagner (51) ist Mathematiker, Philosoph und Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH. Der gebürtige Israeli, der seit neun Jahren in der Schweiz lebt, hat eine gefestigte Meinung, «die sich aber nicht mit der Forschung oder den Ansichten der ETH deckt», wie er vorausschickt.
Er sagt zu Blick: «Eine Eskalation der israelischen Gewalt wird nichts lösen, sondern nur für mehr Leid in der Zivilbevölkerung und unter den Geiseln beider Seiten führen.» Eine weitere Folge der sich heftig drehenden Gewaltspirale sei gemäss Wagner wieder zunehmende Vergeltungsschläge vonseiten Palästinas. «Selbst wenn es zur Zerschlagung der Hamas kommen sollte, so wird der aktuelle israelische Kurs immer wieder zu Gewaltausbrüchen führen.»
Regierungschef Benjamin Netanyahu komme im eigenen Land zudem vermehrt unter Druck, sagt Wagner: «Viele Israelis sehen diesen Krieg als politisches Manöver für das Überleben seiner Regierung.» Denn: «Neuwahlen während eines Krieges sind unwahrscheinlich.»
«Internationale Gemeinschaft sollte klarere Nachricht senden»
Die Kritik am Vorgehen seines Landes sei bis anhin «lauwarm» gewesen. «Die internationale Gemeinschaft sollte eine klarere Nachricht senden.» Israel habe in der Vergangenheit durch gezielte Besiedelung strittiger Gebiete im Westjordanland absichtlich die Voraussetzungen für eine Zwei-Staaten-Lösung sabotiert. «Friedliche palästinensische Initiativen und Widerstand wurden wiederholt als Terrorismus gebrandmarkt und gewaltsam unterdrückt.»
Für die kommenden Jahre sieht Wagner eher schwarz als weiss: «Der Gedanke an die Zukunft bricht mir das Herz und stimmt mich pessimistisch. Meine einzige Hoffnung ist eine neue Generation von Aktivisten und Politikern, die in der Lage ist, die Sache anders anzuschauen und mithilfe von Sanktionen und neuen politischen Visionen zu einer langfristigen Lösung kommt.»
«Absolut grauenhaft»
Ähnlich sieht das auch Adina Rom (39), Gründungsmitglied des 2024 entstandenen Jüdischen Forums Schweiz, genannt Gescher: «Die Situation der Zivilbevölkerung in Gaza ist schon jetzt absolut grauenhaft. Die Vorstellung, dass sich die Angriffe noch intensivieren, finde ich fürchterlich. Gleichzeitig sagen auch führende Sicherheitsleute in Israel, dass die Weiterführung des Krieges weder der Sicherheit Israels noch der Befreiung der israelischen Geiseln dient, sondern nur dem politischen Überleben Netanyahus.»
Auch die israelische Bevölkerung leide und habe Angst vor Raketenangriffen. «Dieses brutale Vorgehen ist nicht die richtige Antwort auf die schreckliche Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober 2023.»
«Israel wirtschaftliche Sanktionen auferlegen»
«Netanyahu missbraucht das Massaker vom 7. Oktober für seine eigene politische Sicherheit», sagt Rabbiner Ruven Bar Ephraim (66) von der Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich. Die Welt müsse sich nicht nur verbal klarer positionieren, sondern: «Sich seriös überlegen, Israel wirtschaftliche Sanktionen aufzuerlegen.» Die Offensive trete die Menschenrechte mit Füssen.
Für Bar Ephraim ist die Situation nicht tragbar: «Ich finde es schrecklich, was die israelische Regierung in Gaza tut und schäme mich als Israeli dafür.» Er sieht nur einen Weg: eine neue Regierung. «Eine, die effektiv interessiert ist, eine friedsame Lösung zu finden.»