Darum gehts
In der Nacht auf Freitag startete Israel seine neue Grossoffensive in Gaza. Die humanitäre Lage dort ist schon jetzt verheerend. Seit mehr als zwei Monaten blockiert die Regierung in Jerusalem neue Hilfslieferungen. Nun scheinen die letzten Vorräte im Küstenstreifen zur Neige zu gehen: Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden die meisten der 2,1 Millionen Einwohner Hunger, mehr als 200'000 in «katastrophalem» Ausmass. Auch an Medikamenten und sauberem Trinkwasser fehlt es.
«Wir haben das getan, weil die Hamas die Lieferungen stiehlt und die Menschen im Gazastreifen daran hindert, sie zu bekommen», begründete Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die Blockade im März. Die islamistische Miliz nutze die Hilfslieferungen, um ihre Terrormaschinerie zu finanzieren.
Schweizer Stiftung im Zentrum
Diese Woche hatte Israel einem US-Plan zur Wiederaufnahme der Gaza-Hilfe zugestimmt – öffentlich fast unbemerkt, nimmt die Schweiz dabei eine zentrale Rolle ein.
Auf Anregung der Trump-Regierung sollen Hilfsgüter künftig von der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) verteilt werden, einer erst im Februar gegründeten Stiftung, die lediglich einen einzigen bekannten Standort hat: an der Place de Longemalle in Genf, unter der Adresse von David Kohler, einem Schweizer Anwalt und Mitglied des GHF-Verwaltungsrats, der für ein Gespräch mit Blick nicht erreichbar war.
Die GHF hält sich generell bedeckt, so etwas wie eine Medienstelle scheint es nicht zu geben. In einem 14-seitigen Memo betont die Stiftung ihre Unabhängigkeit und Neutralität in der Zustellung der Hilfsgüter; entscheidend bei der Verteilung seien einzig humanitäre Kriterien. Geleitet wird die GHF gemäss diesem Papier überwiegend von Amerikanern, darunter Fachleuten wie Nate Mook, dem ehemaligen Chef der Hilfsorganisation World Central Kitchen. Dennoch betont die Stiftung ihre «Swissness»: Ein Schweizer Bankkonto soll Spender erreichen, die amerikanischen Strukturen fernbleiben wollen.
Bundesbern prüft den Hilfsplan
Das Schweizer Aussendepartement (EDA) schreibt auf Anfrage von Blick: «Wir stellen fest, dass die Vereinigten Staaten seit mehreren Tagen Informationsveranstaltungen zur GHF organisieren, und zwar nicht nur für internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und die Vereinten Nationen, sondern auch für bestimmte Staaten.» Auf Einladung der USA habe die Schweiz am 14. Mai mit einigen anderen Staaten an einer Informationsveranstaltung zur GHF in Tel Aviv teilgenommen.
Sogar eine Schweizer Beteiligung am neuen Hilfeplan für Gaza schliesst das Aussendepartement nicht aus: «Es ist jetzt dringend, das Leid der betroffenen Menschen zu lindern. Jedes Vorhaben, das diesem Ziel dient, verdient eine rasche und seriöse Prüfung.» Das EDA betont aber: «Humanitäre Hilfe muss auch im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht und den Grundsätzen der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit geleistet werden.» Einen offiziellen Antrag habe die GHF bisher noch nicht gestellt.
Die Haltung des EDA ist bemerkenswert: Bislang weisen die Vereinten Nationen (Uno), die Vereinigten Arabischen Emirate sowie diverse NGOs den Hilfeplan zurück und schliessen eine Zusammenarbeit mit der GHF aus. Denn Essen, Medizin und andere lebenswichtige Güter sollen neu nicht mehr – wie vor der Blockade – direkt und dezentral unter die Palästinenser gebracht werden. Stattdessen will man in Gaza eine begrenzte Anzahl von Verteilzentren einrichten, die unter dem Schutz privater Sicherheitskräfte stehen. Auch das israelische Militär soll an der Sicherung dieser Zentren beteiligt sein, nicht aber an der Verteilung oder dem Transport der Hilfsgüter.
Internationale Kritik
Jens Laerke, Mediensprecher des Uno-Amts für humanitäre Angelegenheiten, warnt davor, dass Israel den Zugang zu den Verteilzentren zur Erreichung seiner Kriegsziele instrumentalisieren könnte. Auch die Caritas Schweiz – über Partnerorganisationen in Gaza tätig – sieht den Plan der GHF in einem bisher unveröffentlichten Positionspapier äusserst kritisch. Es widerspreche «grundlegenden Prinzipien der humanitären Hilfe wie Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, dass eine involvierte Kriegspartei bestimmt, wer Hilfe leisten darf und wer nicht». Durch eine «Politisierung der Hilfe» fehle die Garantie, dass alle jene Unterstützung erhalten, die sie brauchen.
Zudem befürchtet die Caritas, dass alte oder verletzte Menschen die Sicherheitszentren nicht erreichen können. Notwendig sei deshalb die sofortige Rückkehr zu bewährten Hilfskanälen, fordert das Hilfswerk gegenüber Blick. Jake Wood hingegen, der Geschäftsführer der GHF, betont im Kontakt mit internationalen Medien, dass viele dieser Befürchtungen auf Fehlinformationen beruhen: «Der Plan ist nicht perfekt, aber er wird die Menschen ab Ende dieses Monats ernähren – in einem Szenario, in dem seit zehn Wochen niemand mehr Hilfe zugelassen hat.» Bis die Verteilzentren Ende Mai bereitstehen, werde gemäss Wood anderweitig für Hilfsgüter in Gaza gesorgt.
Grosse Bodenoffensive
Israel erklärt, das Ziel seiner neuen Bodenoffensive sei weiterhin, die Hamas zu entmachten und die verbliebenen Geiseln zu befreien; mehr als 20 sollen noch am Leben sein. Dafür könnten Teile des Gazastreifens dauerhaft besetzt werden. Parallel laufen Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas in Doha.
Der Chef des Uno-Menschenrechtsbüros Volker Türk verurteilt unterdessen die Invasion als völkerrechtswidrig: Sie ziele auf eine ethnische Säuberung ab. Der Krieg begann mit den brutalen Massakern der Hamas am 7. Oktober 2023. Seitdem sind Zehntausende Palästinenser den israelischen Angriffen zum Opfer gefallen.