Darum gehts
Eigentlich hätte Friedrich Merz (69) am Dienstag zum zehnten deutschen Bundeskanzler gewählt werden sollen. Die Wahl im Bundestag ist aber vorerst geplatzt. Union und SPD haben zwar eine Mehrheit. Im ersten Wahlgang fehlten Merz jedoch sechs Stimmen. Noch nie zuvor wurde ein deutscher Kanzler nicht im ersten Wahlgang gewählt. Sollte Merz die Wahl trotzdem bald noch schaffen, so sieht er sich vor enorme Probleme gestellt.
In den Umfragen steht Schwarz-Rot mit abgesägten Hosen da: Während die CDU in der neusten Forsa-Umfrage gleichauf mit der AfD bei 25 Prozent liegt, kommt die SPD noch auf 15 Prozent. Seit der Bundestagswahl vom 23. Februar haben beide Regierungsparteien also verloren. Zugelegt haben neben der AfD auch die Grünen und die Linke. Die «gesichert rechtsextreme» AfD und die linken Kräfte nehmen Merz in die Mangel.
«Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns gelingt, ab morgen unser Land kraftvoll, planvoll, vertrauenswürdig zu regieren», sagte Merz am Montag noch, als CDU, CSU und SPD in Berlin ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel «Verantwortung für Deutschland» unterzeichneten. Doch das Vertrauen ist gering: Gemäss einer «Bild»-Umfrage von Ende April glauben nur 27 Prozent der Deutschen, dass die neue Regierung bessere Arbeit leisten wird als die gescheiterte Ampel.
Taurus-Lieferungen als Spaltpilz
Merz tritt in einer Zeit enormer globaler Unsicherheiten an. Der Ukraine-Krieg fordert Entscheidungen. Merz will Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern, was in der SPD jedoch umstritten ist: Einer von vielen Spaltpilzen in der neuen Regierung.
Donald Trump (78) stellt die Nato fundamental infrage. Merz betont die Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Verteidigung. Mit dem im März beschlossenen Sondervermögen für die Bundeswehr hat die neue Regierung hier Möglichkeiten – aber auch viel Verantwortung.
Der Zollstreit mit den USA droht zudem, die exportorientierte deutsche Wirtschaft zu belasten, was das Verhandlungsgeschick von Merz und dem neuen Aussenminister Johann Wadephul (62, CDU) auf die Probe stellen wird.
Die Herausforderungen sind monumental. Merz will die Bundeswehr stärken und an der transatlantischen Freundschaft festhalten. Doch dafür gibt es im neuen Bundestag keine klaren Mehrheiten. Das weiss Merz. Gerade deshalb hatte er die Sondervermögen noch im alten Parlament durchgepeitscht.
Das AfD-Dilemma
Merz hat angekündigt, bereits am ersten Tag Zurückweisungen an den Grenzen anzuordnen, was rechtlich und politisch umstritten ist. Der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) muss hier Wahlversprechen einlösen, die der SPD nicht gefallen.
Die deutsche Wirtschaft, die seit drei Jahren in der Rezession steckt, braucht neuen Schwung, den neben Investitionen auch Steuersenkungen oder Bürokratieabbau bringen könnten. Auch hier steht die Koalition vor einer Zerreissprobe.
Die grösste Herausforderung dürfte der Umgang mit der AfD werden. Die Partei wurde erst am Freitag vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistisch» eingestuft, was Merz vor ein Dilemma stellt. Unterstützt er ein Verbotsverfahren, wird sich die AfD jahrelang laut dagegen wehren – und vom Opferstatus profitieren. Lehnt er ein Verbotsverfahren ab, gerät er von links noch stärker unter Druck.
Der einzige Ausweg
Ein frühes Scheitern der Merz-Regierung ist möglich. Zahlreich sind die Differenzen zwischen Union und SPD. Stürzen die Parteien in den Umfragen weiter ab, könnte der Regierungsbruch zur Notlösung werden, um das eigene Ansehen zu retten – was die «Ampel» zerbrechen liess.
Doch nicht alles ist düster: Die beiden Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur bieten einmaligen Spielraum. Gelingt es Merz, die deutsche Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, könnte sich endlich auch die Stimmung im Land wieder aufhellen. «It's the economy, stupid!»
Klar ist: Merz muss rasch Ergebnisse liefern und Deutschland wieder auf Wachstumskurs trimmen. Er hat keine 100 Tage Zeit, um im Amt anzukommen, sondern muss ab Tag eins liefern.