Darum gehts
Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu (75) geht aufs Ganze. Obwohl schon fast 70 Prozent der Gebäude sowie weite Teile der Infrastruktur in Schutt und Asche liegen, will er den ganzen Gazastreifen unter israelische Kontrolle bringen. Am Donnerstagabend wird das Sicherheitskabinett über den brisanten Entscheid beraten.
Eine totale Besetzung wäre für alle Beteiligten verheerend. Denn Netanyahu würde nicht nur den Palästinensern schaden, er würde sich auch ins eigene Fleisch schneiden.
Schon seit einiger Zeit spricht Netanyahu von der vollständigen Besetzung des Gazastreifens. Vor wenigen Tagen dürfte etwas passiert sein, das ihn in seinem Besetzungsplan bekräftigt hat: Die Hamas hat Propagandavideos veröffentlicht, die zwei ausgehungerte israelische Geiseln zeigen und von denen die eine ihr eigenes Grab schaufelt. Mit diesen schockierenden Bildern will die islamistische Terrororganisation von Israel eine Waffenruhe erpressen.
Doch Netanyahu ist von einer Waffenruhe weit entfernt. Gegen eine Minderheit in der Regierung und gegen die Armeeführung will er zum Vollangriff auf den Gazastreifen blasen. Denn auch nach fast zwei Jahren brutalem Krieg mit rund 60'000 Toten ist es den Israelis nicht gelungen, die Hamas auszulöschen.
Noch 10'000 Hamaskämpfer in Verstecken
Gemäss Schätzungen sind von den ursprünglich maximal 40'000 bewaffneten Kämpfern immer noch rund 10'000 im Einsatz. Sie verstecken sich teilweise in ihrem Tunnelsystem, das immer noch zu 50 Prozent unter ihrer Kontrolle steht. Sie mischen sich aber auch in Ballungszentren und Flüchtlingslagern wie Gaza-Stadt, Chan Yunis und Rafah unter die Zivilbevölkerung.
Weitere Kämpfer haben sich in jene Regionen zurückgezogen, die Israel noch nicht besetzt hat. Diese Gebiete machen rund 25 Prozent des 365 Quadratkilometer grossen, extrem dicht besiedelten Gazastreifens aus. Nahost-Experte Reinhard Schulze sagt gegenüber Blick: «Die Organisation scheint weiterhin in der Lage zu sein, ihre Kämpfer in kleineren Gruppen zu koordinieren.»
Gemäss Medienberichten könnte die Einnahme rund ein halbes Jahr dauern und auf allen Seiten zu einem grossen Blutvergiessen führen. Anschliessend würde der Gazastreifen der israelischen Militärgesetzgebung unterstellt. Gaza würde zum Protektorat Israels.
Kann jetzt Trump investieren?
Da die rechtsextremen Koalitionspartner von Netanyahu die Palästinenser in andere Staaten umsiedeln wollen, leben die Gaza-Bewohner in ständiger Angst vor einer Vertreibung. Auch Donald Trumps (79) Gaza ist ein Gaza ohne palästinensische Bevölkerung.
Der US-Präsident hält sich zwar mit Aussagen zur Besetzung zurück, doch dürften ihm die Pläne Netanyahus gefallen. Denn mit einer israelischen Besetzung würde ihm der Weg geebnet, seine Vision umzusetzen: die Errichtung einer Riviera mit Ferienresidenzen. Bereits kursieren laut Reinhard Schulze in der israelischen Öffentlichkeit Werbeversprechen für den Bau einer blühenden Riviera.
Inzwischen sind im Gazastreifen fast 70 Prozent der Gebäude zerstört und 90 Prozent der Bevölkerung zu Flüchtlingen geworden. Allein der Aufbau der kritischen Infrastruktur dürfte 18 Milliarden Dollar verschlingen, was dem Bruttoinlandprodukt des Westjordanlands und des Gazastreifens zusammen entspricht.
Das bringt Schulz zum Schluss: «Mit der Besetzung des Gazastreifens ist keines der Probleme gelöst. Selbst die von Netanyahu versprochene Sicherheit für Israel wäre keineswegs gewährleistet, da der Krieg die gesamte soziale Architektur der Gesellschaft zerstört und Freiräume für Banden und terroristische Zellen geschaffen hat.»
Da wäre allerdings noch ein Aber, das wenigstens etwas Hoffnung zulässt. Schulze: «Falls die israelische Regierung verspricht, mit der Besetzung einen Weg zu einem gerechten Frieden zu starten, und zeigt, dass es nebst den Rechten für Israel auch um die Souveränität der Palästinenser im Gazastreifen und Westjordanland geht, könnte die Besetzung sogar leise Zustimmung bekommen.» So existieren bereits Pläne, die Gaza zu einem Zentrum für die arabischen Golfstaaten machen wollen.