«Geopolitisches Fiasko» für den Kreml
Warum die Wahl in Moldau Putin so schmerzt

Der Wahlsieg der Pro-Europäerin Maia Sandu markiert eine strategische Niederlage für Wladimir Putin. Russland verliert ein wichtiges Druckmittel – und könnte nun mit hybriden Angriffen reagieren. Experten erklären, was für den Kreml auf dem Spiel steht.
Publiziert: 16:15 Uhr
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Aktualisiert: 16:42 Uhr
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Trotz massiver Einmischung aus Moskau bleibt Moldau auf EU-Kurs – was Wladimir Putin ärgert.
Foto: IMAGO/SNA

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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Präsidentin Maia Sandu (53) hat es wieder geschafft: Ihre proeuropäische PAS-Partei holt am Sonntag bei den Parlamentswahlen in Moldau rund 50 Prozent der Stimmen – und sichert sich damit erneut die Mehrheit.

Für den Kreml ist das ein schwerer Schlag. Moskau hatte alles versucht, um den Urnengang zu beeinflussen: millionenschwerer Stimmenkauf, Desinformationskampagnen, Bombendrohungen gegen Wahllokale. Doch die moldauischen Wählerinnen und Wähler blieben standhaft – und schickten eine klare Botschaft Richtung Moskau: Wir wollen nach Europa. Wir erklären, warum das Signal aus dem kleinen Land in Südosteuropa für Wladimir Putin (72) eine grosse Niederlage darstellt.

Ein herber Rückschlag für den Kreml

«Das Ergebnis ist für Russland ein geopolitisches Fiasko», sagt Russland-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen. Moskau habe auf ein «Georgien-Szenario» gesetzt, bei dem eine prorussische Parlamentsmehrheit den EU-Beitritt indirekt sabotiert hätte. «Jetzt zeichnet sich aber Folgendes ab: Moldau entfernt sich weiter von Moskau, unterstützt von Rumänien als starkem Fürsprecher in Brüssel.»

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Maia Sandu gibt ihre Stimme ab – die Präsidentin gilt als Symbol des proeuropäischen Kurses Moldaus.
Foto: Keystone

Für Kreml-Chef Putin ist das besonders bitter. Seit Jahren investiert Russland massiv in Moldau – nicht in Infrastruktur oder Wirtschaft, sondern in Einfluss. Über die abtrünnige Region Transnistrien hält Moskau einen militärischen Hebel in der Hand, finanziert prorussische Parteien und orchestriert Propagandakampagnen. Ziel: den EU-Beitritt stoppen oder zumindest verzögern. «Solange die Transnistrien-Frage ungelöst bleibt, kann Moskau den Westen blockieren», sagt Schmid. Doch nun steht das Land deutlich zu seiner proeuropäischen Ausrichtung – ein strategischer Rückschlag für Putins Vision einer russischen Einflusssphäre.

Putins Repertoire: von Trollfabriken bis Schlägertruppen

Wie reagiert der Kreml? Marcel Hirsiger, Osteuropa-Experte an der Fachhochschule Nordwestschweiz, sagt: «Russland wird den Druck weiter erhöhen, politisch, wirtschaftlich und mit hybriden Mitteln.» Schon am Wahlabend rief der prorussische Ex-Präsident Igor Dodon (50) zu Massenprotesten auf. Mehrere Personen wurden noch am Abend festgenommen – zwei davon mit Verbindungen zu Transnistrien. «Wir haben hier erst die Kostprobe gesehen», warnt Ulrich Schmid.

«Ein Donbas-Szenario, bei dem sich die russische Minderheit diskriminiert sieht und Moskau um Hilfe bittet, ist nicht ausgeschlossen», sagt Hirsiger. Auch Cyberangriffe auf Infrastruktur und staatliche Institutionen sind denkbar, um das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat zu untergraben.

Einen offenen Krieg wie in der Ukraine halten Experten aktuell für wenig realistisch. «Russlands Ressourcen sind durch den Krieg in der Ukraine gebunden, und ein militärischer Konflikt um Moldau hätte kaum Rückhalt in der russischen Bevölkerung», betont Schmid. Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt: In Transnistrien sind bis zu 1500 russische Soldaten stationiert, die jederzeit als Druckmittel eingesetzt werden können.

Warum Moldau so wichtig ist

Warum ist der Kreml so verbissen? «Moldau hat für Russland weniger wirtschaftliche, dafür aber enorme symbolische Bedeutung», erklärt Hirsiger. «Wenn ein Land mit so engen historischen Bindungen an Moskau erfolgreich den Weg Richtung EU geht, könnte das andere Staaten ermutigen, ebenfalls auszuscheren.» Für Putin geht es also um mehr als Moldau – es geht um die Botschaft an das gesamte postsowjetische Umfeld: Wer sich dem Westen zuwendet, muss mit Konsequenzen rechnen.

Für Brüssel ist der Wahlsieg ein Triumph, aber auch ein Stresstest. Die EU muss nun beweisen, dass sie nicht nur Jubeltelegramme verschickt, sondern bereit ist, Moldau politisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch zu stützen. Das heisst: gezielte Investitionen in die Energieversorgung, Unterstützung beim Kampf gegen Korruption und Desinformation sowie Hilfe beim Aufbau von Abwehrmechanismen gegen Cyberattacken und hybride Bedrohungen. Nur wenn die Bevölkerung konkrete Verbesserungen spürt, kann der proeuropäische Kurs stabil bleiben.

Putin habe eine schmerzhafte Niederlage erlitten, fasst Hirsiger zusammen. Das wird der Kremlchef wohl nicht unbeantwortet auf sich sitzenlassen. Die Frage ist also nicht ob, sondern wie Moskau reagiert – und ob Europa darauf reagieren kann.

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