Fans überhäufen Mörder mit Geschenken
Tetsuya Yamagami bringt gewaltigen Sektenfilz ans Tageslicht

Der ehemalige Marinesoldat erschoss im Juli 2022 den ehemaligen japanischen Premierminister Shinzo Abe mit einer selbstgebastelten Pistole. Ihm droht der Tod am Galgen. Seine Anhänger aber feiern ihn als Robin Hood der Neuzeit. Seine Tat legt tiefe Abgründe offen.
Publiziert: 28.10.2025 um 19:39 Uhr
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Aktualisiert: 28.10.2025 um 20:51 Uhr
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Tetsuya Yamagami droht wegen der Ermordung von Ex-Premier Shinzo Abe der Tod am Galgen.
Foto: AP

Darum gehts

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Man könnte meinen, Tetsuya Yamagami (45) hätte in seinem Leben wahrhaft Grosses geleistet. Seine japanischen Anhänger überhäufen ihn mit Geschenken und Geldspenden, auf den Strassen verkleiden sich Fans als Yamagami und in China produzierte eine Firma kurzzeitig sogar eine Actionfigur, die dem früheren Marine-Soldaten nachempfunden ist.

Doch Yamagami hat weder eine Krebs-Kur erfunden, noch einen Sommerhit gelandet oder irgendeinen Rekord aufgestellt. Sein grausamer «Leistungsausweis»: Er hat am 8. Juli 2022 in der Stadt Nara den japanischen Ex-Premier Shinzo Abe (†67) hinterrücks mit einer selbstgebastelten Pistole erschossen. Heute Dienstag ging der Mordprozess gegen ihn los. Der Kult um den Robin Hoodschen Henker hat einen düsteren Hintergrund.

Yamagami, der sich nach seiner Militärkarriere mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, hat den Mord an Shinzo Abe vor Gericht gestanden. Ihm droht die Todesstrafe am Galgen. Doch Yamagamis Anwälte und eine wachsende Zahl seiner Anhänger erzählen die Geschichte eines Volkshelden, dessen Attentat nichts anderes gewesen sei als der Versuch, die korrupten Machenschaften mächtiger Schattenfiguren offenzulegen.

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Am 8. Juni 2022 hatte Yamagami den Ex-Regierungschef bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt Nara mit einer selbstgebastelten Schusswaffe (rechts unten im Bild) erschossen.
Foto: AP

Die Geschichte geht so: Yamagami entstammt einer wohlhabenden Familie, die nach dem Suizid des Vaters und der Krebsdiagnose des Bruders in eine Abwärtsspirale geriet. Die verzweifelte Mutter flüchtete sich in ihrem Leid in die Arme der Unification Church (Kirche der Einigkeit), einer gigantischen Sekte aus Südkorea, die auch in Japan weit über 100'000 Angehörige hat. Weltweit bekannt ist die Organisation des verstorbenen Gurus Sun Myung Moon («Moon-Sekte» – seine Anhänger nennen sich «Moonies») durch die Massenhochzeiten, bei denen sich teilweise bis zu 3800 verkuppelte Paare gleichzeitig das Ja-Wort geben.

Eine Massenhochzeit der Moon-Sekte mit 3800 Paaren in Gapyeong, Südkorea, vom 3. März 2015.
Foto: Keystone

Auch Donald Trump hat Links zur Moon-Sekte

Dieser Sekte vermachte Yamagamis Mutter ihr gesamtes Vermögen, inklusive ihres Hauses. Statt sich um die Kinder zu kümmern, verbrachte sie viel Zeit bei Kirchenanlässen in Südkorea. Tetsuya Yamagami musste wegen der knappen Familienkasse sein Studium abbrechen und versuchte 2005 sogar, sich umzubringen. Seine Erklärung: Mit dem Geld der Lebensversicherung hätten sich wenigstens seine Geschwister ein anständiges Leben leisten können.

Yamagamis Hass auf die Kirche (2019 versuchte er, deren aktuelle Führerin zu erstechen, kam aber nicht an den Leibwächtern vorbei) übertrug sich mehr und mehr auf Shinzo Abe und dessen Liberaldemokratische Partei. Abes Grossvater Nobusuke Kishi war es, welcher der Sekte 1960 als Premierminister den Teppich ausrollte – gegen grosszügige finanzielle Unterstützung.

Die Verbindung zwischen der Sekte und der japanischen Rechten wurde seither immer enger. Shinzo Abe selbst war den Sektenführern freundschaftlich verbunden und trat bis kurz vor seinem gewaltsamen Tod an ihren Events auf. Auch Donald Trump (79), ein enger Freund von Abe, hatte nach Ablauf seiner ersten Amtszeit 2021 einen Gastauftritt an einem Anlass der Kirche – entlöhnt mit 2,5 Millionen US-Dollar.

Der Mord an Abe brachte die Debatte über den Einfluss der Sekte auf Japans Regierungspartei erst recht ins Rollen. Eine Untersuchung der Regierung ergab, dass die Hälfte der Partei-Vertreter im Parlament finanziell von der Moon-Sekte unterstützt worden war. Mehrere Minister mussten wegen ihrer Abhängigkeit von der Sekte den Hut nehmen. Im März dieses Jahres entzog ein japanisches Gericht der Sekte ihre Steuerprivilegien. Mitglieder von Shinzo Abes Liberaldemokratischer Partei müssen vor der Aufnahme in die Partei neuerdings bezeugen, dass sie nichts mit der Kirche der Einigkeit zu tun haben.

Einer der wirksamsten Morde der Geschichte

Tetsuya Yamagami hat mit seiner grausamen Tat in Japan eine weitreichende Debatte ausgelöst. Der britische «Economist» bezeichnet die Attacke unsentimental als einen der «wirksamsten politischen Morde» der Menschheitsgeschichte. Nicht zu Unrecht: Schliesslich brachte sie den politischen Sektenfilz in der viertgrössten Volkswirtschaft der Welt ans Tageslicht.

Dass der heute 45-Jährige für seine Tat eine selbstgebastelte Pistole verwendete, liegt unter anderem an den extrem strengen Waffengesetzen in Japan. Auf 100 Personen kommen im Inselstaat nur gerade 0,3 Schusswaffen (zum Vergleich: In der Schweiz sind es 28, in den USA 121).

Das Urteil gegen den hemdsärmeligen Rächer an Japans Elite wird für den 21. Januar 2026 erwartet. 19 Prozesstage sind angesetzt. An einem will auch Yamagamis Mutter aussagen – als Zeugin der Verteidigung. Sie hat den grausamen Schrei nach Liebe ihres Sohnes gehört.

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