Ehemaliger US-Botschafter packt aus
«Putin hat immer einen Plan – im Gegensatz zu Trump»

Er hat mit Putin verhandelt. Jetzt redet Ex-US-Botschafter Michael McFaul Klartext: Wie tickt der Kremlherrscher? Und was bedeutet das für Trumps Friedensbemühungen?
Publiziert: 10.05.2025 um 19:45 Uhr
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Aktualisiert: 11.05.2025 um 11:50 Uhr
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Der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul.
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Michael McFaul findet, Putin verhandle gut – er sei aber tief ideologisch
  • Für Trumps Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg bedeutet dies nichts Gutes
  • Putin sieht sich als Verteidiger russischer, christlich-konservativer Werte gegen den Westen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Robin BäniRedaktor

Michael McFaul kennt Wladimir Putin aus direkten Gesprächen. Er hat George W. Bush beraten, Barack Obamas Russland-Politik massgeblich geprägt und als US-Botschafter in Moskau Putins Welt aus nächster Nähe erlebt. Heute lehrt McFaul an der Stanford-Universität, koordiniert eine Arbeitsgruppe zu Russland-Sanktionen – und bleibt einer der weltweit lautesten und schärfsten Kritiker des Kremls.

Wenn jemand versteht, wie Putin denkt – dann er.

Herr McFaul, wie verhandelt der russische Präsident?
Michael McFaul:
Putin hat einige meiner Freunde ermordet. Seine Soldaten töten in der Ukraine Zivilisten, auf barbarische Art und Weise. Sie vergewaltigen Frauen, entführen Kinder, plündern Dörfer. Putin hat viel Leid in der Welt verursacht.

Warum erzählen Sie das?
Damit klar ist, was ich von diesem Menschen halte, wenn ich auf Ihre Frage antworte: Putin verhandelt gut.

Inwiefern?
Ich erinnere mich an den Sommer 2009. Damals traf US-Präsident Barack Obama zum ersten Mal auf Putin. Wir waren in Russland, und Putin nahm uns mit auf sein Anwesen in Moskau. Auf seiner Terrasse erwartete uns ein sehr üppiges Frühstück. Überall waren Dienerinnen und Diener, gekleidet wie im 19. Jahrhundert. Die Teekanne haben sie mit Kohle erhitzt. Es war eine riesige Show – alles war eine Show. Dann – an einem Punkt – hat Putin all seine Bedienstete mit der Hand weggeschickt und sich nach vorne gelehnt, zu Obama, um ihm etwas zu sagen. Er tat dies mit einer dramatischen Wirkung, fast so, als wollte er, dass nur Obama ihn hört.

Was hat Putin gesagt?
Das ist streng geheim. Aber ich kann so viel preisgeben: Putin wollte klarmachen, dass er und Obama denselben Feind hätten: den Terrorismus. Und dass dies gut für die bilateralen Beziehungen sei.

Michael McFaul

Michael McFaul (61) gilt als Architekt der Russland-Politik von Präsident Obama. Fünf Jahre lang stand er ihm als Russland-Berater zur Seite. Von 2012 bis 2014 war McFaul US-Botschafter in Moskau und verhandelte mehrfach mit Putin. Nach der russischen Invasion 2022 übernahm er die Leitung einer Arbeitsgruppe, die Sanktionen gegen Russland ausgearbeitet hat. Heute arbeitet McFaul als Professor für Politikwissenschaften an der Universität Stanford, leitet das Freeman Spogli Institute for International Studies und ist Senior Fellow an der Hoover Institution.

IMAGO

Michael McFaul (61) gilt als Architekt der Russland-Politik von Präsident Obama. Fünf Jahre lang stand er ihm als Russland-Berater zur Seite. Von 2012 bis 2014 war McFaul US-Botschafter in Moskau und verhandelte mehrfach mit Putin. Nach der russischen Invasion 2022 übernahm er die Leitung einer Arbeitsgruppe, die Sanktionen gegen Russland ausgearbeitet hat. Heute arbeitet McFaul als Professor für Politikwissenschaften an der Universität Stanford, leitet das Freeman Spogli Institute for International Studies und ist Senior Fellow an der Hoover Institution.

Wollen Sie mit Ihrer Anekdote sagen, dass Putin bei Verhandlungen alles inszeniert?
Es war klar, dass Putin unsere Hintergründe penibel recherchiert hatte. Er wusste genau, wie wir denken. Das Treffen folgte einer klaren Choreografie. Alles war durchdacht, nichts improvisiert. Putin hat immer einen Plan, ganz im Gegensatz zu Donald Trump. Der jetzige US-Präsident ist dafür bekannt, einfach drauflos zu verhandeln, teils ohne die Dossiers seiner Berater gelesen zu haben.

Sie beschreiben Putin als rationalen Verhandlungstyp.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Putin hat immer einen Plan, doch das heisst nicht, dass er rational denkt.

Wie denkt er denn?
Putin ist tief ideologisch. Er will verhandeln und Deals abschliessen, aber nur zu seinen Bedingungen. Viele im Westen haben seine ideologische Seite zu lange unterschätzt – mich eingeschlossen. Dabei hat er sein Weltbild schon früh offengelegt. Ich kann Ihnen dazu gerne auch eine Geschichte erzählen.

Bitte.
2011 traf Putin auf den damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden. Im Gespräch hat Putin dann – wieder sehr dramatisch – auf die Haut von Biden gezeigt und gesagt: «Wisst ihr, was euer Problem ist?» Ich paraphrasiere jetzt, doch Putin sagte in etwa: «Ihr seht unsere Haut, und wir sehen aus wie ihr. Deshalb denkt ihr, dass wir so denken wie ihr – doch das tun wir nicht. Das ist der Fehler, den ihr in Bezug auf Russland und die russische Nation macht.»

Weshalb hat Putin das gesagt?
Er wollte eine Trennung vermitteln – dass Russland nicht Teil des Westens sei, sondern eine eigene, separate Zivilisation. Ich widerspreche dieser Sicht, es gibt viele historische und kulturelle Verbindungen. Doch Putin wollte seinen Punkt machen – und er hat erfolgreich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen.

Wie würden Sie Putins Weltsicht beschreiben?
Er sieht sich als Verteidiger von russischen, christlich-konservativen Werten. Aus seiner Sicht werden diese Werte durch einen liberalen, dekadenten Westen – allen voran Europa – bedroht. Putin will «seine» Werte aber nicht nur verteidigen, sondern aktiv im Ausland verbreiten. Diese anti-westlichen Ideen stecken tief in ihm drin. Für ihn ist das nicht einfach Propaganda, denke ich. Er glaubt felsenfest an diese Weltsicht.

Was bedeutet das für Trumps Friedensbemühungen in der Ukraine?
Nichts Gutes.

Putin kann doch nicht ewig Krieg führen.
Selbst wenn der Krieg endet, wird Putin nicht aufhören. Wer ideologisch denkt, ist bereit, enorme Opfer zu erbringen. Wir dürfen nicht vergessen: Für Putin gibt es keine Ukrainer – das sind lediglich Russen mit Akzent, so denkt er. Der Kollaps der Sowjetunion – für den er den Westen verantwortlich macht – führte zu einer ‹unnatürlichen Trennung› zwischen Ukrainer und Russen. Putin will die Ukraine rekolonialisieren, wobei er es «die Wiedervereinigung der slawischen Nation» nennen würde. Dafür wird er sich bis zum Ende seiner Tage einsetzen.

Dennoch: Trump will Frieden – so schnell wie möglich. Wie würden Sie seine Strategie beschreiben?
Putin zieht Trump über den Tisch. Bisher hat Putin alles bekommen, was er wollte. Und Trump wollte die Ukraine dazu zwingen, Putins Bedingungen zu akzeptieren. Es zeigt sich, dass dies nicht funktioniert. Man kann nicht einfach Konzessionen machen, ohne dafür etwas zu verlangen. Sonst fragt das Gegenüber nach mehr – und genau das macht Putin.

Trump hat Putin mit Sanktionen gedroht, wenn er nicht einlenkt.
Der Präsident trat bisher hart in den sozialen Medien auf – aber nicht in Realität. Es genügt nicht, zu drohen. Trump muss handeln. Ich koordiniere eine Arbeitsgruppe zu Russland-Sanktionen. Vor dreissig Minuten haben wir ein neues Paper veröffentlicht mit Massnahmen, die Russland unter Druck setzen würden. Das ist die Sprache, die Putin versteht.

Warum übt Trump auf Putin nicht denselben Druck aus wie auf Selenski?
Ich denke, weil sich Trump und Putin ideologisch näher sind. Trump positioniert sich konservativ, nationalistisch, anti-liberal, gegen den Multilateralismus gerichtet. Wie nah sich die beiden sind, zeigt sich auch daran, dass sich ihre wichtigsten Ideologen – Steve Bannon (Trump) und Alexander Dugin (Putin) – regelmässig austauschen, unter anderem öffentlich auf X.

Inzwischen äussert sich die Trump-Administration kritischer über Russland. Trump selbst sagte, er zweifle am Friedenswunsch Putins.
Das ist in der Tat neu. Ich deute es vorsichtig als positives Zeichen. Doch ich mache mir Sorgen, dass Trump irgendwann frustriert aufgibt, weil die Friedensgespräche stocken. Wenn sich Trump als Vermittler zurückzieht, haben wir ein Problem.

Welches?
Dann besteht die Möglichkeit, dass Trump alle Hilfslieferungen an die Ukraine einstellt, darunter Waffenlieferungen und den Austausch von Geheimdienstinformationen. Das wäre ein Desaster. Es würde zu mehr Kriegen führen – nicht weniger.

Denken Sie wirklich, Putin würde ein anderes Land in Europa angreifen?
Ich weiss es nicht, doch wir haben Putin bisher immer unterschätzt. Wir dürfen nicht vergessen, wie ideologisch er ist.

Nicht alle vertreten diese Sicht. Es gibt die Theorie, dass Staaten nach Macht und Einflusssphären streben, um das eigene Überleben zu sichern. Prominentester Vertreter dieser Theorie ist der US-Politologe John Mearsheimer. Er argumentierte diese Woche in der «NZZ», Russland habe sich durch die Nato-Osterweiterung bedroht gefühlt und deshalb einen «Präventivkrieg» in der Ukraine gestartet.
Diese Sichtweise widerspricht den Fakten. Als US-Regierungsmitarbeiter habe ich die Nato-Gipfel besucht. Es gab keinen Impuls, die Ukraine in die Nato aufzunehmen. Selbst Dmitri Medwedew – damals Russlands Präsident – sagte 2010 beim Nato-Gipfel in Lissabon: «Die Bedrohung durch die Nato ist vorbei.» Russland hat sogar mit der Nato kooperiert. Das sind unangenehme Fakten für Menschen wie Mearsheimer – doch es sind Fakten.

Warum sollte Mearsheimer die Fakten verdrehen?
Das weiss ich nicht, doch seine Argumente sind absurd. Niemand hat Putin zur Invasion gezwungen. Zudem: Mearsheimer hat nicht die beste Erfolgsbilanz bei der Vorhersage der Zukunft.

Wie meinen Sie das?
Nach dem Zerfall der Sowjetunion dachte Mearsheimer, dass Europa wieder im Krieg versinkt, dass sich also Staaten wie Deutschland oder Frankreich bekriegen werden. Offensichtlich lag er falsch, da er in seiner Analyse die Staatsformen nicht berücksichtigt hat. Demokratien sind kooperativer als Diktaturen.

Das Verhältnis Europas zu den USA hat sich aber verschlechtert.
Ich bin enttäuscht, dass Präsident Trump nicht besorgt über die aktuellen Entwicklungen ist. Wir befinden uns in einem tragischen Kampf zwischen Autokratien und Demokratien. Es geht nicht nur um Territorium, sondern um Werte. Das wird ein langfristiger Kampf. Und wir gewinnen nur, wenn alle liberalen und demokratischen Kräfte zusammenhalten.

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