Darum gehts
- Wohnungsnot für Saisonarbeiter in Schweizer Bergregionen verschärft sich
- Hotelbetriebe haben mit Personalmangel und unzureichenden Unterkünften zu kämpfen
- Fünf bis acht Prozent der Stellen in Graubünden bleiben unbesetzt
In den Bergen startet die Wintersaison. Bevor die Gäste anreisen, strömen Tausende billige Arbeitskräfte in die Bergtäler. Für Olga F.* ist es die zweite Saison in der Schweiz. Letztes Jahr arbeitete die Osteuropäerin im Luxushotel The Chedi in Andermatt UR – dem Prestigeprojekt der Andermatt Swiss Alps AG von Investor Samih Sawiris (68). Untergebracht wurde sie in Göschenen, unten im Urner Reusstal.
«Das Zimmer war sehr klein, und ich musste es teilen», erzählt sie. Tageslicht habe es kaum gegeben, die einzige Fensteröffnung sei schmal gewesen und die Kochnische habe hinter einem Vorhang gelegen. «Es war eine Katastrophe.» 450 Franken kostete sie dieses Zimmer pro Monat. Für diese Saison suchte sie nach einer neuen Stelle – sie ist in einem kleinen Hotel untergekommen, das ihr ein Personalzimmer mit Dusche und WC bietet. Die 24-Jährige, die nur wenig Deutsch spricht, hat den Raum für sich allein.
«Es herrscht totales Chaos»
Wohnraum in den Bergregionen ist Mangelware. Für Tausende Saisonniers ist es jedes Jahr ein Spiessrutenlauf. «Es herrscht totales Chaos bei den Unterkünften für Beschäftigte», sagt ein lokaler Hotelier. Manche Mitarbeitende müssten inzwischen nach Schattdorf oder Altdorf ausweichen – knapp 40 Kilometer entfernt. Eine Sprecherin der Andermatt Swiss Alps sagt, man stelle grundsätzlich für alle Mitarbeitenden Zimmer bereit. Die Nachfrage sei aber stark gestiegen. «Wir arbeiten daran, zusätzliche Unterkünfte zu schaffen.» Konkrete Projekte seien in Planung.
Auch beim Branchenverband ist das Thema angekommen. «Während es in vielen Gemeinden funktioniert, verschärft sich die Lage in touristischen Orten», sagt ein Sprecher von Hotelleriesuisse. In einigen Destinationen liege die Leerwohnungsquote unter 0,5 Prozent, was die Mieten stark erhöhe und die Wohnungssuche «praktisch unmöglich» mache. Im Schweizer Durchschnitt liegt die Leerwohnungsziffer bei 1 Prozent. Das knappe Angebot erschwere die Rekrutierung: «Für Betriebe, die keine Unterkünfte anbieten können, wird die Suche nach Mitarbeitenden zunehmend schwieriger.»
«Wir können längst nicht mehr alle Stellen besetzen», sagt Ernst Wyrsch (64), Präsident des kantonalen Hoteliervereins Graubünden und langjähriger Direktor des Grandhotels Steigenberger in Davos GR, wo die Wohnungsnot besonders gross ist. Aktuell bleiben fünf bis acht Prozent der Stellen unbesetzt, sagt er. Die Lage sei «prekär». Hinzu kommt, dass die Hotels viel investiert haben und den Gästen mehr bieten, was zusätzliches Personal braucht. Die Wohnungsnot sei teils auch selbst verschuldet, sagt Wyrsch. Zum einen hätten viele Betriebe in den vergangenen Jahren ehemalige Personalzimmer in Ferienwohnungen umgewandelt – weil sich damit mehr verdienen lasse. Die Folge: Immer mehr Mitarbeitende drängen auf den ohnehin knappen Wohnungsmarkt.
Junge haben Ansprüche
Zum anderen beobachtet er eine veränderte Erwartungshaltung: «Die jüngeren Generationen wollen sich kein Zimmer mehr teilen. Sie erwarten ein eigenes Bad und einen gewissen Komfort.» Vorwerfen will er ihnen das nicht. «Wir haben diese Generation ja selbst so erzogen.» Gleichzeitig entstehen neue Initiativen: In Davos versucht man, mit Genossenschaften erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Vor kurzem wurde die Idee lanciert, mit Minihäusern die Wohnungsnot zu bekämpfen – die Initianten setzen auf ein modernisiertes «Stöckli»-Modell. Es ist ein langer Prozess, aber einer, der dringend nötig ist.
*Name bekannt