Verluste, Skandale, Chefwechsel
Julius Bärs hoher CEO-Verschleiss – was läuft da schief?

Stefan Bollinger ist der dritte CEO, der bei der Privatbank die Wende schaffen will. Hat Julius Bär ein Kulturproblem? Eine Spurensuche.
Publiziert: 16.06.2025 um 18:21 Uhr
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Stefan Bollinger will Julius Bär auf die Erfolgsspur zurückholen.
Foto: Valeriano Di Domenico

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Holger Alich
Handelszeitung

Der neue starke Mann an der Spitze von Julius Bär will nicht alles anders, aber vieles besser machen – etwa die Risikokontrolle: «Wir haben das Thema Compliance immer ernst genommen und viel Geld investiert, um die Prozesse sicherer und zuverlässiger zu machen.» Zudem soll das Wachstum gepusht werden: «Plan A ist eindeutig organisches Wachstum – durch die Einstellung neuer Berater, aber vor allem auch durch die Ausbildung eigener Mitarbeiter und durch Investitionen in Technologie.»

Beide Zitate stammen aber nicht vom aktuellen Julius-Bär-Chef Stefan Bollinger, sondern von seinen Vorgängern: Den ersten Satz sagte Ex-Bär-Chef Bernhard Hodler 2018, das zweite Zitat stammt von Philipp Rickenbacher vom Sommer 2023.

Julius Bärs hoher CEO-Verschleiss

Seit gut sieben Jahren laboriert die Privatbank daran herum, Skandale und Pannen hinter sich zu lassen und wieder das zu werden, wofür Kunden und Investoren eine Privatbank schätzen: eine profitable, verlässliche und möglichst geräuschlose Bank. Doch Ex-Goldman-Sachs-Partner Stefan Bollinger ist mittlerweile der dritte CEO, der sich an dieser Übung versucht.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Woran liegt das? Hat die Privatbank ein tief sitzendes Kulturproblem, vergleichbar mit der Credit Suisse? Neben nicht enden wollenden Skandalen und Finma-Verfahren gesellte sich in den vergangenen Jahren ein weiteres Problem hinzu: Die Erträge wuchsen zu langsam, die Kosten dagegen zu schnell. Bollinger, gestählt in den Reihen der US-Bank Goldman Sachs im Range eines Partners, will in seinem ersten Job als CEO nun alle drei Probleme gleichzeitig lösen: die Altlasten abarbeiten, die Bank auf Wachstum ausrichten und gleichzeitig sparen. Eine Übung, an der seine Vorgänger bisher alle gescheitert sind.

Anfang Juni stellte Bollinger sein Strategie-Update in London bei einem Investorentreffen vor. Er erhöhte die Sparbemühungen auf nunmehr 260 Millionen Franken. Und stapelte in Sachen Ziele bewusst tief. So soll das Verhältnis von Kosten zu Einnahmen bis 2028 auf weniger als 67 Prozent sinken – Ende April waren es 72 Prozent. Die Rendite auf das harte Eigenkapital soll mindestens 30 Prozent erreichen.

Vergiftetes Erbe von Boris Collardi

Fast identische Ziele hatte indes schon Bollingers Vorgänger Philipp Rickenbacher 2022 ausgegeben – und nie erreicht. «Wir müssen aus dieser Tradition ausbrechen, zu viel zu versprechen und zu wenig zu liefern», entgegnet Bollinger Kritikern, die ihm mangelnde Ambitionen vorwerfen. Die Börse zeigte sich dennoch enttäuscht.

Kein Wunder. Seit Jahren versucht Julius Bär, die Pole «Risikokontrolle» und «Wachstum» unter einen Hut zu bekommen. In der Ära von Boris Collardi, der von 2009 bis 2017 die Geschicke von Julius Bär leitete, lautete der Kurs «Wachstum, Wachstum, Wachstum»: Collardis Meisterwerk war der Kauf der Vermögensverwaltung ausserhalb der USA von Merrill Lynch, womit er die Bank grössenmässig in eine neue Liga katapultierte.

Doch Collardis Erbe war zum Teil vergiftet: In Südamerika heuerten Berater dubiose Kunden aus dem Umfeld der korrupten Konzerne wie PDVSA an, auch schmutzige Fifa-Gelder landeten auf den Bär-Konten. 2020 schloss die Finma ihr Enforcementverfahren wegen «schwerer Verstösse» gegen die Geldwäscheregeln ab. Ein Jahr später kassierte Collardi, der mittlerweile Partner bei Pictet war, eine Rüge der Aufsicht. Ein bis dahin unerhörter Vorgang.

Wegen Collardis überstürztem Abgang bei Julius Bär 2017 hatte der Verwaltungsrat den früheren Risikochef Bernhard Hodler auf den Schild gehoben. Doch er galt als zu belastet aus den alten Geldwäschefällen und wurde 2019 durch Philipp Rickenbacher ersetzt. Dieser war zuvor Chef des Geschäfts mit unabhängigen Vermögensverwaltern und hatte damit keine Berührungspunkte zu den Skandalen.

Neue Reform des Vergütungsmodells

Rickenbacher wollte den Hebel umlegen, weg von der Fixierung auf Wachstum, hin zu mehr Profitabilität. Und strich das Netto-Neugeld-Ziel. Zudem liess er das Vergütungsmodell für die Kundenberater umbauen. Dabei liess sich Rickenbacher von seinen Ex-Kollegen von McKinsey beraten. Aus Sicht des heutigen Managements war das aber ein Flop. «Der Fokus auf Profitabilität ging nach hinten los», so ein ranghoher Manager. Denn das Wachstum blieb aus – und damit litt am Ende auch die Profitabilität.

Auf der Jagd nach Gewinnen in Zeiten tiefer Zinsen liess sich Julius Bär schliesslich hinreissen, dem Geschäftsmodell einer reinen Vermögensverwaltungsbank untreu zu werden und drei hoch verzinste Kredite von insgesamt 600 Millionen Franken an das Signa-Firmen-Konstrukt von René Benko zu vergeben. Was sowohl Bankchef Rickenbacher als auch Verwaltungsratspräsidenten Romeo Lacher den Job kostete. Und wozu immer noch ein Enforcementverfahren der Finma läuft.

Seit Anfang Jahr leitet nun Bollinger die Bank. Und treibt die Truppen mit seiner «Kundenobsession» vor sich her. Dabei dreht er wichtige Entscheidungen seines Vorgängers zurück: Es gibt wieder ein Neugeldziel, und auch das Vergütungssystem für die Berater soll erneut umgebaut werden. Die Eckpunkte dafür soll eine interne Arbeitsgruppe erarbeiten; von externen Beratern hält Bollinger nichts.

Kernpunkt des neuen Vergütungssystems soll sein, dass die Berater belohnt werden, wenn sie profitables Neugeld gewinnen, zum Beispiel über den Abschluss neuer Vermögensverwaltungsmandate. Reine Cash-Einzahlungen sind für den Bär-Chef weniger interessant. Und: «Wenn ein Berater eine problematische Kundenbeziehung reinholt, muss das für ihn schmerzhafte Konsequenzen haben», kündigte er an.

Bollinger will bei der als behäbig geltenden Bank Bär einen Kulturwandel – doch der dauert bekanntlich länger. Und intern ist der neue Chef mit seiner hemdsärmeligen Art nicht unumstritten: zu detailverliebt, betreibt Mikromanagement und weiss immer alles besser, ist als Kritik zuweilen zu hören. Neues Wachstum, ein Kulturwandel – all dies braucht Zeit.

Teure, aber nötige IT-Erneuerung

Schnell sichtbar sind dagegen Einsparungen, um die Profitabilität zu verbessern. Daher schraubte Bollinger das Einsparziel neu auf 260 Millionen Franken herauf. Wie viele Jobs das kosten wird – dazu schweigt er. Was bisher aber kaum Beachtung fand: Die Einsparungen werden zum grössten Teil von Investitionen in die IT wieder aufgezehrt.

Denn Bollinger will die Buchungsplattform der Bank in der Schweiz namens Host erneuern. Das hatte Julius Bär schon im letzten Jahrzehnt vor – es wurde aber 2019 abgeblasen. In Märkten wie Singapur, Hongkong und Luxemburg laufen bei Julius Bär längst Systeme von Temenos, nur in der Schweiz rattert noch die alte Maschine im Keller.

«Diese IT-Erneuerung haben Bollingers Vorgänger seit Jahren vor sich her geschoben, sie dürfte einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. Zudem gibt es Implementierungsrisiken», warnt Andreas Venditti, Bankanalyst bei Vontobel. Doch eine Erneuerung ist überfällig.

Noel Quinn, Ex-Chef von HSBC, soll als neuer Präsident von Julius Bär mithelfen, die Bank wieder zu profitablem Wachstum zu führen und neue Skandale zu vermeiden.
Foto: keystone-sda.ch

Um die Glaubwürdigkeit für den Neustart zu untermauern, heuerte die Bank keinen Geringeren an als den Ex-Chef der Grossbank HSBC, Noel Quinn. Er leitet seit Mai den Verwaltungsrat. Hahnenkämpfe zwischen dem Elder Statesman Quinn und der Heissdüse Bollinger sind aber nicht zu erwarten – der Ex-Goldman hat den Hut auf. Quinn sieht sich mehr als Sparringspartner und fliegt dafür regelmässig aus London ein. Das Ziel des 63-jährigen Briten: profitables Wachstum ohne Lärm.

Doch den gab es gleich zum Neustart mehrfach: Zum einen machte die «Financial Times» Mitte Mai bekannt, dass die Finma gegen Julius Bär ein weiteres Geldwäscheverfahren für die Zeit zwischen 2009 und 2019 abgeschlossen hat. Zum andern holte die Bank eine weitere Altlast ein: Bei der Überprüfung der Bücher stiess das neue Management auf weitere Verlustrisiken aus Krediten für Renditeimmobilien, die Bank schrieb noch einmal 130 Millionen Franken ab.

Bei der Investorenveranstaltung hatte daher der neue Risikochef Ivan Ivanic einen kurzen Auftritt: Die gebuchten Rückstellungen reichten nicht aus, sagte er. Die neue Bär-Führung weiss: Noch mehr schlechte Überraschungen kann sie sich nicht leisten.

Anstehender Umbau des Verwaltungsrats

Das Kapital Benko ist aber noch lange nicht abgeschlossen, nicht nur wegen des Finma-Verfahrens. Insider zeigen hier auf Verwaltungsratsvize Richard Campbell-Breeden. Der Brite soll laut Quellen selbst persönliche Beziehungen zu Benko gehabt haben, er soll gar persönlich in das Aushandeln einiger der fraglichen Kredite involviert gewesen sein. Zudem habe Campbell-Breeden wie Benko ein Ferienhaus im österreichischen Lech, der Brite ist im berühmten «Chalet N» des gefallenen Immobilienmoguls zu Gast gewesen. Julius Bär will dazu nichts sagen. Eine Anfrage an Campbell-Breeden blieb ohne Antwort.

Für das neue Führungsduo Bollinger/Quinn ist das eine heikle Personalie, denn Campbell-Breeden hatte nach Romeo Lachers Abgang die Leitung des Verwaltungsrats ad interim übernommen und war damit letztlich für die Neubesetzung der Bär-Spitze final verantwortlich. Und der Brite ist weiter Vizepräsident. Noch.

Da mittlerweile vier von acht Verwaltungsräten Briten sind, will dem Vernehmen nach Quinn den Schweizer Jürg Hunziker zum neuen Vize machen. Es würde nicht überraschen, wenn Campbell-Breeden den Verwaltungsrat dann ganz verlassen würde. Die Bank macht dazu keine Angaben.

Vorbild für einen erfolgreichen Turnaround ist die Bank EFG. Ironie der Geschichte: Seit 2022 sitzt dort ein gewisser Boris Collardi im Verwaltungsrat. Was immer wieder die Spekulation auslöst, die EFG könnte mit Julius Bär fusionieren. Doch von Übernahmeabenteuer will Bollinger nichts wissen: Er hat mit dem erneuten Neustart bei Julius Bär schliesslich alle Hände voll zu tun.

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