Antoine Moreau ist tot. Davon erfahren zuerst nur die Ämter im Kanton Waadt. Dort, wo Moreau bis zu seinem Tod gewohnt hat. Ob er eine Familie hat – irgendwelche Brüder oder Schwestern, eine Cousine in Kuala Lumpur oder ein Cousin in Schwamendingen? Niemand weiss es. Doch gäbe es ein solches Familienmitglied, dann wäre es erbberechtigt. Sie oder er hätte also Anspruch auf das Geld, das auf Moreaus Konto liegt.
Tatsächlich hatte Antoine Moreau noch zwei Cousinen: Colette und Pauline Moreau. Keine der beiden lebte in Kuala Lumpur, sondern in der Schweiz – Kontakt hatte man trotzdem nicht mehr. Darum waren sie erstaunt, als Colette Moreau Post von der Waadtländer Steuerverwaltung bekam. Und zwar mit dem Hinweis, dass sie Erbin sei und dies in ihren Steuererklärungen angeben müsse.
Alle Beteiligten heissen tatsächlich anders.
Was machen die Behörden?
Wenn jemand in der Schweiz stirbt und keine bekannten Erben hinterlässt, dann forschen die Behörden nach. In erster Linie mit einem sogenannten Erbenruf. Das ist eine im Amtsblatt publizierte Aufforderung, dass sich jeder mögliche Erbberechtigte innerhalb eines Jahres melden soll.
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Knifflig wird es, wenn es einen Auslandbezug gibt. Also dann, wenn der Erblasser im Ausland geboren wurde oder sich Erben im Ausland befinden könnten. Nicht immer gibt es dort ein Zivilstandsregister.
Schweizer Behörden fragen dann beispielsweise bei Botschaften oder Flüchtlingsorganisationen nach und publizieren Aufrufe in ausländischen Tageszeitungen. Auch anderes kann einen Anhaltspunkt bieten, um weiterzuforschen. Etwa alte Todesanzeigen, Posts auf Social Media oder die Auskunft einer Drittperson.
Post von der Firma Sogeni SA?
So weit, so gut. Die beiden Schwestern gingen davon aus, dass sie nächstens auch noch von einem Gericht oder Amt «offiziell» über den Tod informiert würden. Doch das passierte nicht. Stattdessen meldete sich Anfang Mai 2024 die Firma Sogeni SA bei ihnen. Laut eigenen Angaben auf der Homepage eine Pionierin auf dem Gebiet der Erbensuche in der Schweiz.
Im Brief von Sogeni hiess es, dass mehrere Monate andauernde Nachforschungen ergeben hätten, dass sie Erbinnen in einem noch nicht verteilten Nachlass seien. Den Namen des Erblassers wollte man aber nicht preisgeben. Dafür forderte man die Schwestern auf, eine «Grundsätzliche Zustimmung» und Vollmacht zu unterzeichnen. Gestützt darauf würde Sogeni alle Belege und Unterlagen beschaffen, die nötig wären, um sie bei den zuständigen Behörden als Erbinnen auszuweisen.
Achtung: Happige Gebühren
Das ist natürlich nicht gratis. Für ihre Arbeiten verlangt Sogeni eine Erfolgsprovision – einen Prozentsatz, abhängig von der Höhe des Nachlasses und dem Verwandtschaftsgrad zum Verstorbenen. So kann Sogeni beispielsweise bei Nachlässen von bis zu 150’000 Franken 27 Prozent davon als Entschädigung verlangen, also 40’500 Franken. Je höher der Nachlass und je näher der Verwandtschaftsgrad zum Erblasser, desto kleiner der Prozentsatz. 25 Prozent sind es bei Nachlässen zwischen 150’000 und 500’000 Franken.
Für Karin von Flüe, Juristin beim Beratungszentrum des Beobachters, sind die Gebühren happig. Aber: «Wer kontaktiert wird, ist in einer Zwickmühle.» Denn Betroffene würden häufig gar nicht wissen, von wem sie etwas erben könnten. «Dieses Wissen muss man sich dann quasi erkaufen.» Wer aber auf einem anderen Weg erfahre, dass er Erbe ist, braucht einen solchen Dienst nicht.
«Wenn wir nach Erben suchen, dann machen wir das auf eigenes Risiko», sagt Manuel Bonnet von der Sogeni SA. Es könne sein, dass man einen hohen Aufwand habe, sich der Nachlass als überschuldet herausstelle oder keine Erbinnen zu finden seien. «Mit unseren Pauschalen decken wir dieses Risikomodell ab. Und diese decken auch den Aufwand für die Erbteilung.» Die Ansätze von Sogeni seien in der Branche absolut üblich.
Ende gut, alles gut
Colette und Pauline Moreau unterschreiben nichts. Sie wenden sich nun aber an die Gemeinde, in der ihr Cousin zuletzt gewohnt hat. Sie wollen von dieser eine Bestätigung, dass sie mit dem Verstorbenen verwandt sind. Doch die Gemeinde teilt ihnen mit, dass die Papiere nicht mehr auffindbar seien, und zwar weil das Amt nach Lausanne gezügelt sei.
Am 1. Mai 2025 meldet sich das Friedensrichteramt Payerne. Da sie nicht bewiesen hätten, dass sie erbberechtigt seien, gehe das Erbe – laut Gesetz – nun zur Hälfte an den Kanton Waadt und die letzte Wohnsitzgemeinde. Die Schwestern sind konsterniert. Wie kann es sein, dass man sie kontaktiert, aber trotzdem davon ausgeht, dass sie gar keine Erbinnen sind? Und warum erst jetzt?
Sie protestieren, schicken dem Amt eine Kopie des Familienbüchleins, das sie sich bei ihren Wohnsitzgemeinden beschafft haben. Anfang Juni 2025 krebst das Friedensrichteramt dann zurück. Colette und Pauline Moreau gelten nun offiziell als Erbinnen ihres Cousins. Auf eine Anfrage des Beobachters hat das Friedensrichteramt nicht reagiert.
Die Schwestern Moreau haben das Erbe ihres Cousins mittlerweile offiziell angetreten. Die Gemeinde hat einen Notar beauftragt, der nun ein Steuerinventar erstellt.