Trump dominiert alles
Nach 55 Jahren – Schwab wird erstmals nicht am WEF sein

Krise übertüncht: Der US-Präsident beschert Davos im Januar einen Rekordandrang. Die Konflikte schwelen aber weiter.
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Donald Trump will im Januar zum dritten Mal als US-Präsident nach Davos kommen.
Foto: Keystone
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Dirk Schütz
Bilanz

Es ist für Klaus Schwab fast eine Premiere: ein Januar bei sommerlichen Temperaturen. Seit 1971 hat der WEF-Gründer jedes Jahr den Jahresbeginn im winterlichen Davos verbracht, mit nur zwei Ausnahmen, dem Ausfall durch Corona und der Verlegung des WEF nach New York nach den Terroranschlägen auf die World-Trade-Center-Türme. Jetzt steht, wieder einmal, das grösste WEF aller Zeiten bevor. Doch Klaus Schwab zieht es in die Wärme – weit weg von Davos.

Es ist der folgerichtige Epilog eines Horrorjahres, das das WEF an den Rand des institutionellen Suizids führte und der Organisation einen Reputationsschaden zufügte, dessen Ausmass noch nicht final abzusehen ist. Beide Seiten haben sich zu sehr verletzt. Auch wenn Schwab nach einer zehrenden zweiten Untersuchung zu Machtmissbrauchs- und Bereicherungsvorwürfen im August vollumfänglich freigesprochen wurde, so ist die Zeit für eine angemessene Würdigung des grossen Gründers auf der Davoser Bühne noch nicht reif. Noch zirkuliert zu viel böses Blut.

Das Hotel Baur au Lac in Zürich, Mitte Dezember. Børge Brende kommt gerade von einer zehntägigen Tour um die Welt zurück – USA, Katar, Japan –, vor der Rückkehr nach Genf legt er einen Zwischenstopp in Zürich ein. Öffentliche Auftritte meidet er – der gesamte Fokus soll auf dem 56. Jahrestreffen liegen, das ab dem 19. Januar die Bergstadt für fünf Tage zum Zentrum der Welt macht. Im letzten Geschäftsbericht, Ende August kurz nach dem Rücktritt des Vier-Monate-Interims-Chairmans Peter Brabeck erschienen, figuriert Brende neu als «CEO and President» – bis dahin war er nur «President of the Managing Board». Der frühere norwegische Aussenminister ist seit dem Abgang Schwabs der starke Mann in der Zentrale in Cologny vor den Toren Genfs – der Gründer, der für das Forum einst das Land kaufte und direkt neben dem Hauptsitz wohnt, kam noch jeden Tag in sein Chairman-Büro.

Einfallstor Fink

Dieses Büro ist jetzt verwaist, und die neuen Interimspräsidenten sind weit weg: Blackrock-Lenker Larry Fink in New York, Roche-Erbe André Hoffmann in Morges auf der anderen Seite des Genfersees. Die Rolle des Handlungsreisenden in Sachen WEF liegt jetzt bei Brende. In New York hatte Co-Chairman Fink ein Treffen mit den 5o wichtigsten amerikanischen CEOs organisiert, auch Finanzminister Scott Bessent war dabei; in Washington traf Brende im Weissen Haus Trump-Vertreter, allerdings nicht den Präsidenten selbst.

Die Zusage des US-Präsidenten ist ein Segen – sie hält die Organisation von grüblerischer Selbstbespiegelung ab. Brende schart die mehr als 800 Mitarbeitenden hinter ein Ziel: eine Davos-Woche zu veranstalten, die alle Zweifel vertreibt. «Wir erwarten einen Rekordandrang», betont er gegenüber BILANZ. Mehr als 60 Regierungschefs haben sich angemeldet, dazu die Lenker von mehr als 900 der 1000 weltgrössten Konzerne. «Die Regierungen sind so stark verschuldet wie nie seit 1945, die Privatwirtschaft verfügt dagegen über rekordhohe Liquidität», unterstreicht Brende. «Nur Davos kann mit seiner globalen und unparteiischen Plattform beide Seiten zusammenbringen.» An vorderster Front: die Amerikaner. Brende: «Die Zahl der amerikanischen Regierungsvertreter und CEOs wird voraussichtlich so gross sein wie nie zuvor.»

Dabei offenbart gerade dieser Pakt mit dem Globalisierungsgegner Trump die Sinnkrise: eine Allianz mit der Bewegung, die den Geist von Davos abschaffen will. Davos war immer ein Hochgesang auf globale Zusammenarbeit, supranationale Initiativen und kollektive Lösungen. Dieses Modell stand mit der Rückkehr des Nationalismus und dem neuen Denken in Machtblöcken statt in Werte-Allianzen schon seit einigen Jahren unter Druck. Doch jetzt soll just der Hohepriester der Antiglobalisierung die Existenzkrise übertünchen. «Das ist das Spezielle beim nächsten WEF», sagt ein langjähriges Geschäftsleitungsmitglied. «Ausgerechnet Trump, mit seiner nationalistischen Agenda der Gegenpol zur WEF-Idee, überdeckt die Sinnfrage.» Und das macht er – natürlich – auf seine Art.

«Donald Trump hat die Übernahme von Davos im Visier», titelte der britische «Observer». Das WEF habe dem US-Präsidenten zugesagt, dass «woke Themen nicht prominent auf der Agenda stehen», legte die «Financial Times» nach. Auf dem Index demnach: Diversität, Frauenförderung, Klimawandel, Entwicklungshilfe. Das WEF wiegelt ab, «keine Regierung beeinflusst die Agenda», heisst es wenig überraschend. Doch unter den fünf grossen Themen, die das WEF unter dem Motto «A Spirit of Dialogue» für den Grossauflauf im Januar definiert hat, findet sich keines von Trumps Hassthemen, sie sind schwammig gehalten, von «Unlocking new sources of growth» bis zu «Investing in people». Und natürlich dürfte der diplomatisch beschlagene Brende bei seinem Besuch im Weissen Haus die richtigen Töne getroffen haben. Motto: bloss keine Angriffsflächen bieten vor dem grossen Treffen.

Foto: BILANZ

Symbolträchtig: der bereits bestätigte Besuch des argentinischen Präsidenten Javier Milei. Bei seiner ersten Teilnahme 2024 wurde er noch als Exzentriker belächelt, bei der zweiten Teilnahme im letzten Januar war der Hauptsaal des Kongresszentrums bereits voll, und Milei griff das WEF für dessen angeblich woke Ausrichtung so direkt und scharf an, dass Hilde Schwab den Saal verliess. Im Januar wird Milei neben Trump die treibende Kraft der neuen Rechten sein.

Das Einfallstor des Präsidenten ist Larry Fink. In den wilden Augusttagen, als nach dem kompletten Freispruch Schwabs gegen alle Anschuldigungen der Interimspräsident Peter Brabeck, zusammen mit Axa-Chef Thomas Buberl der Rädelsführer des Putschversuches, zurückgetreten war, wurde der 73-jährige Fink auch gerade wegen seiner Trump-Kontakte zum Interims-Co-Chairman gekürt, Roche-Vizepräsident André Hoffmann sollte die Schweizer Seite abdecken. Dabei ist das Verhältnis von Fink zu Trump fast schon exemplarisch für den Umgang der US-Konzernchefs mit Trump. Das Motto: entschlossene Biegsamkeit.

Wirtschaftlich gesund

Fink stand traditionell den Demokraten nah, 2016 unterstützte er die New Yorker Senatorin Hillary Clinton. Durch seine starke Betonung auf ESG-Themen, besonders klimaneutrale Investments, die er 2020 erklärte, kürte ihn die MAGA-Bewegung zu ihrem Grossfeind, der Trump-nahe Präsidentschaftskandidat Vivek Ramaswamy nannte Fink den «König des woke-industriellen Komplexes». Fink erhielt zahlreiche Drohungen aus dem rechten Lager, sein Anwesen 90 Kilometer nördlich von New York musste mit Bodyguards beschützt werden.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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Fink vollzog eine drastische Kehrtwende, strich die Klimathemen und offerierte Trump ein besonderes Antrittsgeschenk. In den ersten Amtstagen der territorialen Expansionsfantasien (Kanada, Grönland, Panama) war es Blackrock, die zwei Häfen in Panama von der chinesischen Hutchison kaufte, auf beiden Seiten des Kanals. Trump jubilierte und lud Fink nach Mar-a-Lago ein, auch wenn in seiner Entourage die Fink-Skepsis noch immer gross war. Zwar gönnte sich Fink noch leichte Spitzen («Die Zölle erhöhen das Risiko einer Rezession»), doch der Kontakt ist eng: Bei seiner Berufung zum WEF-Chairman galt es als sein grosses Asset, dass Fink mehrmals im Monat mit Trump telefoniert. Und Trump nach den existenziellen Kämpfen zum WEF zu lotsen, war die oberste Priorität – die Abhängigkeit von den Amerikanern ist schlicht zu gross.

Sie sind längst die wahren Herrscher des WEF. Die US-Weltkonzerne sind in den letzten Jahren in Davos immer einflussreicher geworden und liegen weit vor den Europäern oder Asiaten. Tech-Konzerne wie Meta, Alphabet, Palantir und Salesforce zahlen horrende Summen für ihre Pavillons auf der Davoser Promenade, die US-Leitmedien CNN, CNBC, Bloomberg und «Wall Street Journal» haben exklusive Kooperationen, Davos ist mit Abstand ihre wichtigste Konferenz. Wirtschaftlich ist das WEF kerngesund: 468 Millionen Franken Einnahmen waren es im letzten Jahr, so viel wie nie.

Verankerung in der Schweiz

Entscheidende Quelle sind die Partnerschaften mit den Weltkonzernen; mehr als 400 der 500 weltgrössten Firmen sind dabei, allein seit September sind gegen 30 neue Firmen hinzugekommen. Die Gold-Klienten sind die strategischen Partner, die mehr als 700’000 Franken pro Jahr zahlen. Doch ihre Zahl stagniert um die 120, während die weniger lukrativen Partnerschaften deutlich stärker steigen. Und hier bilden die Amerikaner klar den grössten Block, was sich auch im Programm widerspiegelte: Tech-Granden wie Microsoft-Chef Satya Nadella und Palantir-Vormann Alex Karp hatten in den letzten Jahren grosse Auftritte auf der Davoser Bühne. Die harte Realität ist: Die Führungskabalen kann sich das WEF leisten. Einen Exodus der US-Firmen nicht. Und da ist Fink der Brückenkopf.

Aber er ist nicht allein. Marc Benioff etwa, Lenker des amerikanischen Cloud-Serviceriesen Salesforce und langjähriges Mitglied des WEF-Stiftungsrats, vollzog ebenfalls eine schroffe Kehrtwende. Er unterstützte lange die Demokraten, doch im Oktober befürwortete er sogar den von Trump angedrohten Einmarsch der National Guard in San Francisco, dem Salesforce-Hauptsitz. Das rief bei seinen Kunden im demokratischen Kalifornien so viel Entrüstung hervor, dass er zurückrudern musste. Oder David Rubenstein, Gründer des Private-Equity-Hauses Carlyle und ebenfalls WEF-Stiftungsrat. Er war 15 Jahre Präsident des Kennedy Center in Washington, bevor Trump ihn wegen des angeblich zu unamerikanischen Programms absetzte und den Posten selbst übernahm. Öffentliches Aufbegehren ist nicht überliefert.

So wird Davos 2026 die grossen Trump-Festspiele erleben. Dass der Gründer Schwab sich nie prominent international inszenierte und immer das Forum als Institution in den Vordergrund stellte, ist jetzt ein Vorteil: Die Führungskrise wurde im Ausland nicht so stark wahrgenommen wie in der Schweiz, und der einmalige Vorteil des WEF bleibt der Netzwerkeffekt, der sich in Zeiten der totalen Vernetzung zu einem Winner-takes-it-all-Markt entwickelt hat: Kein CEO oder Regierungschef kann in so kurzer Zeit so viele relevante Player treffen.

Es bleibt die Frage: Wie gefährlich ist die US-Dominanz für das WEF? Schwab war immer der grosse Brückenbauer, auch er empfing Trump zweimal am WEF und fädelte die Videoansprache im Januar drei Tage nach dessen zweiter Vereidigung ein. Aber für ihn war es immer zentral, alle Wirtschaftsakteure einzubeziehen. Jetzt zeigt sich exemplarisch die Gefahr: Die Chinesen und Inder, oft mit grossen Delegationen vor Ort, aber mit Trump über Kreuz, werden nicht grossflächig vertreten sein. Schwab hätte sich schon qua Statur gegen eine Vereinnahmung des Forums durch einen Player gewehrt, wie mächtig dieser auch sei. Jetzt droht ein Vakuum.

Doch es ist nur eine Übergangszeit. Das WEF könnte im Januar «Peak Trump» erleben. Die hohen Preise in den USA drücken die Stimmung, die Risse in Trumps Lager werden grösser vor den Kongresswahlen vom November. Dass die machtsensiblen Konzernchefs rasante Kehrtwenden vollziehen können, haben sie schon oft bewiesen.

Zudem: Schwab ist zwar nicht mehr da, aber sein Einfluss besteht weiterhin. Das Forum hat bei der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht eine Überarbeitung der Statuten beantragt; «die Prüfung ist noch im Gange», bestätigt die Berner Aufsicht. Die bisherige Satzung schreibt fest, dass der Gründer seinen Nachfolger bestimmen bedarf, und dieses Recht wird Schwab kaum komplett aufgeben.

Er ist dann hinter den Kulissen auch zentraler Gegenspieler gegen eine Amerikanisierung: Sein grosses Ziel ist, das Forum noch fester in der Schweiz zu verankern. So hat er dem Bundesrat noch vor seinem Abgang die Übernahme des Hauptsitzgrundstücks in Cologny angeboten, 40’000 Quadratmeter des wertvollsten Landes der Schweiz, was zusammen mit der 2015 verliehenen Anerkennung als zwischenstaatliche Organisation das WEF noch tiefer in der Schweiz verankern würde. Und es bleibt sein Ziel, die EZB-Chefin Christine Lagarde als Nachfolgerin zu installieren.

Doch die Kräfte, die sich mit ihm einen so brutalen Machtkampf lieferten, sind noch am Werk, wenn auch geschwächt. Zwar ist Brabeck zurückgetreten. Doch der Mann, der innerhalb von 33 Stunden nach Erhalt der anonymen Beschuldigungen ohne Rücksprache mit Schwab und dem Gesamtstiftungsrat eine Untersuchung lostrat, ist weiterhin formal der mächtigste Mann des überdimensionierten 27-köpfigen Stiftungsrats, auch wenn er keine Chance mehr auf das Präsidium haben dürfte: Axa-Chef Thomas Buberl ist weiter Leiter des Audit-&-Risk-Komitees und Mitglied des sechsköpfigen Governing Board, an den das Kontrollgremium die Aufsichtsarbeit delegiert hat. Auch die anderen drei Mitglieder des Audit-Komitees sind weiter an Bord: Accenture-Chefin Julie Sweet, der Philips-Präsident Feike Sijbesma und US-Investor David Rubenstein. Ein veritabler Neuanfang ist mit diesen Verantwortlichen nicht möglich.

Und auch im Governing Board sind die Mitglieder noch dabei, die das überzogene Vorgehen gegen Schwab mitgetragen haben: Bain-Legende Orit Gadish, Siemens-Präsident Jim Hagemann Snabe, der China-Vertreter Zhu Min. Auch Roche-Vize Hoffmann, eigentlich mit engem Draht zu Schwab, stand ihm nicht entschieden bei. Dass er Trump vor einem Jahr als «korrupten alten Mann» bezeichnete, verheisst eher eine Hintergrundrolle für die Trump-Festtage.

Favoritin Lagarde

Schwab setzt auf Lagarde als Nachfolgelösung, auch wenn die langjährige WEF-Stiftungsrätin bei dem Drama nicht glänzte und sich Stimmen häufen, die auf einen radikalen Neuanfang inklusive einer drastischen Verkleinerung des Stiftungsrats setzen. Ihre EZB-Amtszeit endet am 31. Oktober 2027. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass der französische Präsident Emmanuel Macron, dessen Amtszeit im Mai 2027 ausläuft, noch die Nachfolge regeln will.

Lagarde wurde 2019 nur vier Monate vor Antritt gekürt, dieses Mal dürften die entscheidenden Männer, Macron und der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, kaum so lange warten – die Entscheidung wird gegen Ende 2026 erwartet. Dann könnte Lagarde als neue WEF-Präsidentin ausgerufen werden – wenn sie dann noch will und nicht doch noch in die heimische Politik einsteigt, wie einst ihr Vorgänger Mario Draghi in Italien.

Schwab kann sich also in der Sonne zurücklehnen – die Zeit spielt für ihn. Der 87-Jährige bleibt weiter aktiv. Er arbeitet an einer Buchserie über das «Intelligente Zeitalter», wie er es nennt, begleitet von seiner im Juli gegründeten Schwab Academy, in der er verschiedene Communitys zusammenführen will. Wenige Tage vor dem WEF erscheint sein drittes Buch der Reihe: «Truth and Trust in the Intelligent Age». Der Wahrheit verpflichtet bleiben und Vertrauen zurückgewinnen: Das bleibt nach dem Schreckensjahr die grosse Herausforderung für das WEF.

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