Swiss-Chef Thomas Klühr (57) über Klima und Ticketpreise
«Keine Flüge unter 100 Franken!»

Flugscham. Kerosinsteuer. Ticketabgabe: Die Luftfahrt ist stärker im Visier der Klimabewegung als jede andere Branche. Swiss-CEO Thomas Klühr (57) wehrt sich im Interview mit SonntagsBlick gegen das Buhmann-Image.
Publiziert: 27.10.2019 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2020 um 11:36 Uhr
Nach dem Wahlsieg der grünen Parteien muss sich die Luftfahrtbranche auf starken Gegenwind gefasst machen. Jetzt mischt Swiss-Chef Thomas Klühr (57) in die Klimadebatte ein.
Foto: THOMAS LUETHI
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Thomas Schlittler

Die grüne Bewegung schüttelt die Politik kräftig durch. Nach dem Wahlsonntag muss sich die Luftfahrtbranche auf starken Gegenwind gefasst machen. Schon morgen Montag beschäftigt sich die Umweltkommission des Nationalrats mit dem neuen CO2-Gesetz. Sie tut dies zwar noch in der alten Zusammensetzung. Trotzdem dürfte die Kommission eine Flug­ticketabgabe beschliessen. Im ­Interview mit SonntagsBlick versucht Swiss-Chef Thomas Klühr (57) Gegensteuer zu geben. Der Deutsche warnt vor Verboten und fordert stattdessen staatliche Unterstützung für die Entwicklung ­eines CO2-neutralen Treibstoffs.

SonntagsBlick: Herr Klühr, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom Wahlsieg der grünen Parteien erfuhren?
Thomas Klühr: Das Ergebnis hat mich nicht besonders überrascht. Das Klima ist in ganz Europa das führende Thema.

Haben Sie Angst vor den kommenden vier Jahren?
Angst ist ein schlechter Begleiter. Aber ich habe sicher Respekt davor, dass nun neue Regulierungen auf uns zukommen könnten. Als Unternehmen in einem demokratischen Land müssen wir jedoch den Wählerentscheid akzeptieren und das Beste daraus machen. Ich sehe das als Herausforderung.

Sie scheinen das ziemlich locker zu nehmen. Doch die Rede ist von Flugticketabgabe, Kerosin­steuer und gar von einer Kontingentierung von Flügen. Das würde die Swiss massiv treffen.
Verstehen Sie mich nicht falsch, diese Pläne beschäftigen mich schon. Vor allem, weil sie in der ­V-Form daherkommen: Verbieten, Verhindern, Verzichten. Wir müssen uns deshalb mehr anstrengen, die Bedeutung der Luftfahrt stärker an die Bevölkerung heranzutragen.

Sie haben jetzt die Gelegenheit, das Wort an die neuen, grünen Gesichter in Bundesbern zu richten. Was sagen Sie ihnen?
Wichtig ist, dass wir nicht in Schubladen denken. Die pauschale Einordnung – «die Wirtschaft ist nicht an einer CO2-Reduktion interessiert» – ist falsch. Deshalb würde ich den Politikern gerne sagen: Nehmt euch Zeit zuzuhören, um gemeinsam wirksame Lösungen zu finden. Dieser Dialog hat in den letzten Wochen zu wenig statt­gefunden.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Zum Beispiel bei der Flugticket­abgabe. Ich bin überzeugt: Damit wird das eigentliche Ziel, eine CO2-Reduktion, nicht erreicht. Leider ist es uns nicht gelungen, das deutlich zu machen.

Wieso wird damit keine CO2- Reduktion erreicht?
Entweder wird sich der Flug­verkehr verlagern, weil die Schweizer dann ab München oder Basel-Mulhouse fliegen – mit null positivem Effekt fürs Klima. Oder aber es verzichten wirklich einige aufs Fliegen. Dann bleiben im Flugzeug fünf Sitze frei. Und was passiert? Der Flug wird trotzdem stattfinden. Die Airlines senken die Preise und locken mit günstigeren Ticket­preisen neue Passagiere an.

Viele sagen: Fliegen sei zu billig. Wie sehen Sie das?
Bei der Swiss ist dieser Vorwurf ja nicht so häufig zu hören. Uns wird von den Medien ja teilweise eher vorgehalten, wir seien zu teuer (lächelt). Zudem haben wir die Billigfliegerei nicht erfunden. Dennoch habe ich Respekt vor den Wett­bewerbern in diesem Bereich. Sie haben einen völlig neuen Markt eröffnet, der von den Kunden gerne angenommen wurde. Aber es gibt sicher fragwürdige Auswüchse der Billigfliegerei, die uns als Branche geschadet haben.

Sollten gewisse Billigangebote unterbunden werden?
Ja. Man sollte in der Airlineindus­trie darüber nachdenken, einen Schwellenwert festzulegen, wenn die Preise zu tief sind. In der Schweiz ist die Situation zwar noch etwas besser als in anderen Ländern, weil die ganz aggressiven Player wie Ryanair oder Wizz Air hierzulande nicht tätig sind. In ­Europa wäre die Branche aber gut beraten, Aggressivpreise zu vermeiden.

Ab welchem Preis? Was sollte ein Flug mindestens kosten?
In der Schweiz sollte es keine zweistelligen Ticketpreise geben. Also keine Flüge unter 100 Franken.

Sie haben gesagt, der Luftfahrtindustrie werde zu Unrecht vorgeworfen, dass sie kein Interesse habe an einer CO2-Reduktion. Was tut die Branche denn, damit der CO2-Ausstoss sinkt?
Die Branche hat 2016 als einzige Industrie eine global wirkende ­Vereinbarung getroffen, die das Ziel hat, den CO2-Ausstoss zu re­duzieren. Kurzfristig ist die wichtigste Massnahme aber moderne Flugzeuge. Mit jeder neuen Flugzeuggeneration fliegen wir 25 Prozent effizienter – also auch mit 25 Prozent weniger CO2-Emissionen. Riesiges Potenzial sehe ich auch in der Vereinheitlichung der Luftwege in Europa. Wenn das Umweg-Fliegen wegfallen würde, könnten zehn Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden.

Wo müssen Sie Umwege fliegen? Und weshalb?
Zum Beispiel können wir von ­Zürich nach Dublin nicht direkt fliegen, sondern im Zickzack. Das Problem ist, dass jeder Staat eine Flugsicherung betreibt, die eigene Vorstellungen hat, wie über seinen Luftraum geflogen werden soll, beispielsweise aufgrund militärischer Luftraumeinschränkungen. Um den europäischen Luftraum zu vereinheitlichen, läuft schon lange ein Projekt namens «Single European Sky». Aber die EU schafft es nicht, das Ganze voranzubringen. Es ist daher eher ein mittelfristiges Thema. Langfristig ist aber der Einsatz von synthetischem Treibstoff die Lösung für die Luftfahrt. Dieser ist CO2-neutral.

Was braucht es, damit man da vorwärtskommt?
Der grosse Vorteil von synthetischem Treibstoff ist, dass man ihn bei den heutigen modernen Flugzeugen einsetzen kann. Zudem muss die Technologie, die dahintersteckt, nicht neu erfunden werden. In einigen Ecken der Welt wird heute schon synthetischer Treibstoff produziert, aber nur in ganz kleinem Ausmass. Was fehlt, ist die Skalierung, um synthetischen Treibstoff in grossen Mengen zu produzieren. Da muss jetzt ­investiert werden.

Wenn Sie als Airline-Chef sagen, dass Sie synthetischen Treibstoff kaufen wollen, dann müssten die Firmen doch Schlange stehen, um Ihnen diesen zu liefern.
So einfach ist es nicht. Es sind enorme Anfangsinvestitionen nötig. Wir brauchen deshalb einen Schulterschluss von Industrie, Politik und Wissenschaft. Wir benötigen die ­industrielle Serienreife und die ­politische Unterstützung durch Gelder. Wenn die Flugticketabgabe wirklich kommt, dann sollten wir das Geld vollständig für die Entwicklung von synthetischem Treibstoff verwenden. Die Schweiz ist prädestiniert dazu, diesbezüglich voranzugehen – die ETH ist ja ­bereits am Thema dran.

Glauben Sie wirklich daran, dass das kommt?
Ja.

In welchem Zeitraum?
Zuerst müssen Raffinerien ent­stehen. Aber ich glaube, dass die Entwicklung unheimlich schnell voranschreiten wird. Innerhalb ­eines Jahrzehnts. Die Airline-Industrie sollte sich aber schon jetzt überlegen, Ziele zu formulieren. Zum Beispiel 10 oder 20 Prozent synthetischen Treibstoff an Bord bis 2030. Aber legen Sie mich jetzt bitte nicht auf diese Zahlen fest.

Versuchen Sie mit diesem Vorstoss, Verbote zu verhindern?
Ja. Denn anstatt ständig darüber nachzudenken, wie wir das Fliegen verteuern, verhindern, verbieten, muss es doch das Ziel sein, dass wir einen Treibstoff entwickeln, der CO2-neutral ist.

Im Zusammenhang mit der Klimadebatte ist oft von Flugscham die Rede. Bei der Swiss steigen die Passagierzahlen aber laufend an. Wie passt das zusammen?
Überhaupt nicht. Meine einzige ­Erklärung ist, dass der Wunsch, mit dem Flugzeug zu reisen, so gross ist, dass er die Flugscham überwiegt. Zudem zeigt es, dass das Fliegen so ein wichtiger Bestandteil unserer Mobilität geworden ist, der sich nicht einfach verbieten lässt. Es ist Teil unseres Lebens. Es ist Teil unserer globalisierten Welt.

Ist die grüne Welle auch ein bisschen scheinheilig?
Ja, es gibt ganz viele Trittbrett­fahrer. Was ich aber positiv finde: Durch die aggressive Diskussion ist klar geworden, wie dringlich das Thema ist. Das ist eine gute Entwicklung. Schlecht ist hingegen diese pauschale Einteilung in Gute und Schlechte. Das ist zu einfach. Es gibt auch viele Wirtschafts­führer, die ihre Verantwortung ­betreffend Klima wahrnehmen.

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