Mieter-Schock in Küsnacht ZH
«Wir müssen raus, weil man unsere Häuser verlottern liess»

Mehr als 50 Mietparteien an der Zürcher Goldküste haben die Kündigung erhalten. Die Eigentümerin will die zwei Wohnhäuser in Küsnacht ZH sanieren. Die Zahl der Leerkündigungen ist über die Jahre massiv angestiegen. Woran das liegt. Und wer besonders betroffen ist.
Publiziert: 00:02 Uhr
|
Aktualisiert: vor 20 Minuten
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren
1/8
An der Oberen Bühlstrasse in Küsnacht erhielten über 50 Mietparteien die Kündigung.
Foto: Nathalie Benn

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.

Auf den ersten Blick das perfekte Idyll an der Oberen Bühlstrasse in Küsnacht ZH: Die Mehrfamilienhäuser an der Zürcher Goldküste sind von sattgrünem Rasen umgeben, Vögel zwitschern, und der Wald in Gehdistanz wirkt wie Balsam für die Seele. Doch quasi über Nacht hat in diesem Wohnparadies der Blitz eingeschlagen – oder besser gesagt der Kündigungshammer: Alle Bewohnerinnen und Bewohner der zwei Wohnblöcke mit den Hausnummern 19 bis 27 müssen raus.

Über 50 Mietparteien müssen bis spätestens August 2026 eine neue Bleibe finden. Eigentümerin ist die Turintra AG, die zur UBS gehört. Sie will die Mehrfamilienhäuser aus den 1970er-Jahren totalsanieren. Der «Tages-Anzeiger» hat als Erstes darüber berichtet.

«Leerkündigung war für viele Betroffene ein Schock»
1:26
Über 50 Mieter müssen raus:«Leerkündigung war für viele Betroffene ein Schock»

Mieterinnen und Mieter sind geschockt

Für das Ehepaar Ritter war die Leerkündigung ein Schlag ins Gesicht, wie sie Blick erzählen. Seit über vier Jahrzehnten lebt der 74-Jährige mit seiner Ehefrau in einer Vierzimmerwohnung im Parterre. Für rund 2500 Franken brutto im Monat.

Schon seit mehr als vierzig Jahren lebt das Ehepaar Ritter an der Oberen Bühlstrasse 21. Herr Ritter tut seinen Unmut gegenüber der Leerkündigung offen kund.
Foto: Nathalie Benn

«Die Leerkündigung hätte vermieden werden können, davon bin ich überzeugt», ärgert sich Ritter. «Das sieht man doch direkt nebenan.» Die beiden Nachbarhäuser – die im selben Jahr erbaut wurden, aber eine andere Besitzerin haben – wurden bereits vor zehn Jahren im bewohnten Zustand saniert. «Wir müssen jetzt raus, weil die Turintra unsere Wohnblöcke verlottern liess», sagt Ritter weiter. Das Ehepaar und andere Mieter wollen sich wehren.

«
«Aber als dann der eingeschriebene Brief mit der Kündigung reingeflattert kam, war es doch ein Schock.»
Ernst Jost, Mieter
»

Auch Ruth (84) und Ernst Jost (85) zeigen sich erschüttert. Blick trifft sie in ihrer Dreieinhalbzimmerwohnung, die das Ehepaar seit über zehn Jahren bewohnt und eine ähnlich hohe Miete wie Ritters zahlt. «Man hat schon gespürt, dass da etwas kommt, weil alles sehr veraltet ist», sagt Ernst. «Aber als dann der eingeschriebene Brief mit der Kündigung reingeflattert kam, war es doch ein Schock.»

«Wir wohnen gerne hier. Die Gegend ist extrem ruhig, aber trotzdem nur 15 Gehminuten vom nächsten Coop und Migros entfernt», sagt das Rentnerpaar Jost.
Foto: Nathalie Benn

Leerkündigungen sind finanziell lukrativ

Die Zahl der Leerkündigungen in den Schweizer Zentren und Agglomerationen hat seit der Jahrtausendwende stark zugenommen. An zentralen Lagen geht das freie Bauland zur Neige. Dazu kommt die Innenverdichtung. Und auch der Geldbeutel der Eigentümer spielt eine grosse Rolle. «Je näher man beliebten Zentren wie Bern, Lausanne oder Zürich ist, desto höher ist der finanzielle Anreiz für eine Leerkündigung», sagt Immobilienexperte Donato Scognamiglio (55). «Die Vermieter können die Mieten in einem überhitzten Markt nach einer Totalsanierung mit Leerkündigung viel stärker erhöhen als bei einer Sanierung im bewohnten Zustand», führt er aus. In Regionen mit geringerer Wohnungsnachfrage gäbe es viel weniger Leerkündigungen.

«
«Nach einer Leerkündigung werden die Mieten an die ortsüblichen Mietpreise angepasst. Sie steigen also um 50 Prozent und mehr.»
Donato Scognamiglio, Immobilienexperte
»

Scognamiglio rechnet vor: Ein 40-jähriges Gebäude wird im bewohnten Zustand saniert. Die Kosten von 200’000 Franken pro Wohnung können gemäss Mietrecht zu 60 Prozent auf die Mieter abgewälzt werden. Dadurch steigt der Mietzins um 6000 Franken. Hat die Wohnung vorher 18’000 Franken im Jahr gekostet, sind es neu 24’000 Franken. Macht eine Erhöhung um 33 Prozent. «Nach einer Leerkündigung werden die Mieten an die ortsüblichen Mietpreise angepasst. Sie steigen also um 50 Prozent und mehr, ohne dass der Vermieter mit Widerstand rechnen muss», führt der Immobilienexperte aus.

Nach Sanierung gibts «markt- und ortsübliche» Mieten

Zentral hierbei ist der Baulandpreis: Die Stadt Zürich schätzt den Quadratmeterpreis fürs Jahr 2024 auf knapp 5800 Franken und damit viermal so hoch wie vor 20 Jahren. Wer vor 20 Jahren gekauft hat, kann diese Wertsteigerung des Bodens nicht einfach auf die Mieten abwälzen. Nach einer Leerkündigung und einer Erneuerung ist das jedoch möglich: dank Orts- und Quartierüblichkeit.

Ein anderer Eigentümer hat die identischen Nachbarhäuser bereits vor rund zehn Jahren in bewohntem Zustand saniert.
Foto: Nathalie Benn

Die UBS sagt auf Anfrage, dass die umfassende Sanierung im bewohnten Zustand nicht möglich sei. So werden die Gebäudehülle energetisch saniert sowie Küchen, Bäder, Böden und die Heizung ersetzt. «Die heutigen Mietenden können nach der Sanierung gerne zurückkommen und werden bei der Neuvermietung priorisiert», schreibt die UBS weiter. Was die Mieter danach zahlen müssten? «Die Mietpreise sind heute noch nicht bekannt, werden aber dem markt- und ortsüblichen Angebot entsprechen», lautet die Antwort.

Tiefere Einkommen besonders oft betroffen

Ein Blick auf die Immobilienportale zeigt, dass neue Viereinhalbzimmerwohnungen mit rund 100 Quadratmetern in Küsnacht über 4000 Franken im Monat kosten. Die vorherigen Mieter können sich die neuen Mietpreise oft nicht leisten, wie David Kaufmann (39) von der ETH Zürich weiss. Der Assistenzprofessor für Raumentwicklung und Stadtpolitik ist Co-Autor einer jüngst erschienenen Studie zum Thema Bautätigkeit und Verdrängung in der städtischen Schweiz. «Leerkündigungen treffen vor allem ärmere Menschen, da diese häufiger in älteren Häusern mit tieferen Mieten wohnen», sagt er. Darunter sind oft ältere Menschen und Familien. Die neuen Mieter sind meist bedeutend kaufkräftiger.

Die Studie zeigt auch, dass rund zwei Drittel der geschassten Mieter in der Agglomeration Zürich innerhalb der Wohngemeinde ein neues Dach über dem Kopf finden. «Trotzdem geht bei unfreiwilligen Wohnungswechseln oft die lokale Verankerung samt sozialem Netzwerk in der Nachbarschaft verloren», so Kaufmann.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.