Heimatschutz-Präsident kontert Wohnungsnot-Kritik
«Weniger bauen drosselt auch die Zuwanderung»

Von links bis rechts hagelt es Kritik am Heimatschutz: Mit Einsprachen blockiere er den dringend nötigen Wohnungsbau. Präsident Martin Killias im Interview.
Publiziert: 27.10.2025 um 10:44 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2025 um 10:48 Uhr
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Martin Killias, Präsident des Schweizer Heimatschutzes, vor einer Genossenschaftssiedlung in Embrach ZH. Die Wohnhäuser dürfen nicht abgebrochen werden.
Foto: Nik Hunger - Montage: Beobachter

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Peter Johannes Meier
Beobachter

Neue Häuser braucht das Land. Vor allem in Agglomerationen und Städten, die schon gut erschlossen sind. Zwei Millionen Menschen fänden so noch Platz – ohne neue Bauzonen zu schaffen. So das Fazit der jüngsten Studie, einer Analyse des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag von Architekten und anderen Bauexperten.

Solche Studien haben einen Haken: Um den Siedlungsraum zu verdichten, müssen bestehende Häuser abgerissen werden, um Neubauten zu weichen (lesen Sie hier die Posse um die Sissacher Tschudy-Villa). Das Wohnen wird dort teurer.

Dagegen regt sich Widerstand. Von Mietern und Mieterinnen, die ihre günstigen Wohnungen verlieren, von Anwohnern, die ihre Wohnqualität im Quartier bedroht sehen, aber auch vom Schweizer Heimatschutz, der architektonische Baudenkmäler retten will.

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Martin Killias, in weiten Teilen der Schweiz herrscht Wohnungsnot. Der Heimatschutz verzögert oder verhindert mit Einsprachen Neubauprojekte. Haben Sie zu viel Macht?
Martin Killias: Nein, im Schwarzpeterspiel um die Schuld an der Wohnungsnot sind wir die falsche Adresse. Der Heimatschutz verhindert nicht, er schützt. Wir setzen uns für den Erhalt von architektonisch wichtigen Bauten und Ortsbildern ein. Das betrifft nur einen Bruchteil der Neubauprojekte. Hinter dieser Kritik steckt ein ganz anderes Motiv.

Welches?
Das Bauen zu deregulieren, damit ohne Hindernisse teure und renditeträchtige Wohnungen realisiert werden können. Den Preis dafür bezahlen nicht nur verdrängte Mieterinnen und Mieter, sondern die gesamte Bevölkerung. Erhaltenswerte Siedlungen und wertvolle Bauten würden verschwinden – und mit ihnen ein Stück unserer Identität.

Wohnblöcke in Embrach ZH
Foto: Nik Hunger

Kritik am Heimatschutz kommt nicht nur von der Baulobby, sondern auch von linken Stadtvertretern und Genossenschaften, die mit ihren Bauten gerade keine Rendite erwirtschaften. Und mehr günstige Wohnungen braucht es doch, damit sich attraktive Wohnlagen nicht nur Grossverdiener leisten können.
Ja, natürlich. Aber wer 20’000 Franken monatlich verdient, kennt keine Wohnungsnot. Wer dagegen mit 4000 Franken auskommen muss, hat ein riesiges Problem. Die Politik kümmert sich überhaupt nicht darum. Auch die gemeinnützigen Bauträger sind nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems. Wenn sie auf Teufel komm raus gut erhaltene Siedlungen abreissen und durch verdichtete Neubauten ersetzen, schaffen auch sie zuerst mal teureren Wohnraum, den sich viele nicht leisten können. Kein Wunder, provoziert das Widerstand. Ich finde es stossend, wie die Politik diese Verdrängungseffekte ignoriert. Wenn sich der Heimatschutz gegen Abbrüche wehrt, trägt er indirekt zur Linderung des Wohnungsproblems der Leute ohne Spitzensalär bei. Auch die Rettung preisgünstiger Wohnungen ist Heimatschutz.

Ältere, wenig attraktive und schlecht isolierte Siedlungen müssen dadurch erhalten bleiben. Und das auch in urbanen Regionen, wo der Zuwanderungsdruck besonders hoch ist. Würde es nicht genügen, einzelne Wahrzeichen von Bauten zu retten statt ganze Siedlungen?
Davon sind letztlich sehr wenige Projekte betroffen. Und nicht wir entscheiden, ob abgerissen werden darf, es sind Gerichte. Wenn wir dort so erfolgreich sind, müssen sich Gemeinden und die Bauherrschaften an der eigenen Nase nehmen, weil sie gesetzliche Vorgaben zu wenig berücksichtigt haben. Alles zu bewilligen, ist oft der Weg des geringsten Widerstands.

Die Zürcher Maag-Hallen
Foto: Nik Hunger

Oft dauert es Jahre, bis klar ist, ob und was gebaut werden kann. In Zürich gibt es eine Genossenschaftssiedlung, die sogenannten Seebahnhöfe im Kreis 4, wo wegen diverser Einsprachen seit über 20 Jahren geplant wird. All diese Verfahren müssten doch beschleunigt werden.
Die Dauer hat mit dem Heimatschutz nichts zu tun. Das Projekt Seebahnstrasse ist völlig aus der Zeit gefallen. Da werden architekturgeschichtlich hochinteressante Häuser abgerissen, die noch lange Menschen mit geringerem Einkommen Unterkunft bieten würden. Verschwiegen wird auch, dass Abbrüche besonders grosse Umweltsünden sind.

Viele Einsprachen sind vor Gericht letztlich erfolglos, verzögern Bauvorhaben aber massiv.
Das stimmt nicht. Ich habe das für den Kanton Zürich mal genauer ausgerechnet. Von den Einsprachen der Privaten werden rund 20 Prozent gutgeheissen, ebenfalls 20 Prozent abgewiesen. Der ganze Rest – über die Hälfte der Fälle – wird abgeschrieben, es kommt zu keinem Urteil. Dahinter stecken meist Vergleiche, bei denen die Bauherrschaft zu Konzessionen bereit ist, also zum Beispiel Gebäudeteile erhält oder etwas weniger hoch baut. Insgesamt kommen wir so auf eine Erfolgsquote von deutlich über 50 Prozent. Beim Heimatschutz ist die Erfolgsquote sogar noch markant höher. Dass so viele Baubewilligungen vor Gericht nicht standhalten, ist ein Skandal. Zum Vergleich: Im Strafrecht sind weniger als 10 Prozent aller Berufungen erfolgreich.

Mehrere Studien sehen ein Potenzial von über zwei Millionen zusätzlichen Wohnungen innerhalb der bestehenden Bauzonen – wenn sie denn ausgenutzt würden. Damit könnte das Bevölkerungswachstum von jährlich 60’000 bis 80’000 Menschen aufgefangen werden.
Ich halte das für eine Illusion. Nicht als Präsident des Heimatschutzes, sondern als normaler Bürger. Die Verdichtung in Städten und Agglomerationen wäre so einschneidend, dass die Bevölkerung das nicht akzeptieren würde. Die Schweiz würde zu einem wirklich hässlichen Land.

Was sind die Alternativen?
Wir müssen das Gesamtbild im Auge behalten. Auf der grünen Wiese können wir ja nicht mehr bauen. Das revidierte Raumplanungsgesetz von 2014 verbietet das, verlangt eine innere Verdichtung. Dieses Prinzip zu lockern, wäre ein Tabubruch. Aber wenn wir tatsächlich für so viele Menschen Wohnraum schaffen wollen, wird das zum Thema. Vielleicht ist dann auch das Waldgesetz nicht mehr sakrosankt, das seit 1876 Rodungen verhindert.

Mehr Zersiedelung und weniger Wald? Das ist nicht mehrheitsfähig.
Darum müssen wir uns über das zentrale Problem Gedanken machen: Wollen wir die starke Zuwanderung als gottgegeben hinnehmen?

Beschränkungen ritzen die bilateralen Verträge und stellen die Personenfreizügigkeit in Frage.
Nein, das ist nicht zwingend so. Ich muss da etwas ausholen: Das ganze Baurecht ist eine nationale Angelegenheit, auch in der EU. Da kann Brüssel nicht dreinreden. Alle Europarechtler bestätigen das. Wenn wir etwas weniger Wohnungen bauen, als man für 10 oder 15 Millionen benötigt, verlieren wir auch etwas an Attraktivität für wirtschaftliche Zuwanderung. Das Angebot an Wohnungen ist ein relevanter Standortfaktor, davon bin ich überzeugt. Mehr Wohnungen bedeutet mehr Zuwanderung …

… aber die Wohnungsnot würde noch krasser, die Preise würden explodieren …
… halt, ich bin noch nicht fertig: Dass Wohnungspreise zu teuer sind, hat ja damit zu tun, dass viele Vermieter überhöhte Renditen erwirtschaften. Hier müsste die Politik ansetzen, um eine Preisexplosion zu verhindern. Jedenfalls hätte es die Schweiz so in der Hand, die Zuwanderung etwas zu drosseln. Aber das ist meine private Meinung, keine Aufgabe des Heimatschutzes.

Plan der Siedlung Fleur de Morat in Murten FR
Foto: Charles Ellena/Freiburger Nachrichten

Zurück zu den Einsprachen: Ihr SP-Parteikollege, der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm, kritisiert missbräuchliche Einsprachen durch Private und Verbände, aber auch eine überbordende Baubürokratie. In Bundesbern befassen sich gleich vier Bundesämter mit Baufragen. Wo soll entschlackt werden?
Die Vorstellung, mit der Beschleunigung von Verfahren liesse sich die Wohnungsnot bekämpfen, ist naiv. Würde die Verfahrensdauer verkürzt, hätte das auf die Anzahl Baubewilligungen kaum einen Einfluss. Wie viel gebaut wird, hängt vor allem von der Rentabilität von Immobilien im Vergleich zu Aktien und vom Zinsniveau ab. Kurze Prozesse verursachen primär mehr Fehlentscheide – im Strafrecht, aber auch im Baurecht.

Es bleibt eine unübersichtliche Baubürokratie.
Das Gegenteil wäre das System Trump in Mar-a-Lago: Wer eine Million Dollar zahlt, kann dort mit Trump essen – und sein Anliegen ihm persönlich unterbreiten. Das will hier hoffentlich niemand. Natürlich könnte man Zuständigkeiten straffen, aber es soll alles nach Regeln gehen und nicht nach der Willkür eines Einzelnen. Das funktioniert bei uns ja nicht so schlecht. Stolpersteine, wie das Bauverbot wegen hoher Lärmbelastung, sind zum Beispiel gelockert worden.

Dafür hat eine unklare Regelung beim Ortsbildschutz allein in der Stadt Zürich 50 Grossprojekte blockiert. Es geht um über 4000 Wohnungen. Es wurde befürchtet, der Bund könnte direkt mit Auflagen oder Verboten in die Gemeinden funken. Solche Unklarheiten kosten enorm viel Geld und müssten nicht sein.
Da wurde von Politikern und Medien ein Teufel an die Wand gemalt. Ehrlicherweise müsste man sagen, dass fast immer Abbrüche blockiert sind. Und der Bundesrat hat ja im September angekündigt, die Umsetzung des Inventars der schützenswerten Ortsbilder (Isos) so zu lockern, dass in den Gemeinden mehr Wohnungen gebaut werden können – auch die Grossprojekte in Zürich. Noch einmal: Der Heimatschutz stellt keine Barriere für die Schaffung von Wohnraum auf, sondern setzt sich für die Erhaltung wichtiger Bauten und die Förderung der Lebensqualität ein. In der höchsten Schutzstufe des Inventars befinden sich heute nur etwa 3 Prozent der Schweizer Gebäude. Meist geht es um erhaltenswerte Altstadtzonen. Und das ist doch richtig so. Dort ist kein Platz für neue Hochhäuser, Altstädte sind bereits seit dem Mittelalter maximal verdichtet. In allen anderen Isos-Zonen sind Abbrüche und Neubauten nicht grundsätzlich verboten. Auch Bundesbern regelt den Ortsbildschutz mit Augenmass.

Der Denkmalschutz verteuert die Sanierung bestehender Bauten zum Teil massiv. Das ist mit ein Grund, weshalb sich nur Grossverdiener die Miete in renovierten Altbauten leisten können.
Das stimmt einfach nicht. Und ich weiss, wovon ich rede. Ich besitze in Lenzburg ein geschütztes Altstadthaus. Ich habe es sanft renoviert und – wie es meiner Philosophie entspricht – nicht ausgekernt. Heute kostet die grosse Wohnung mit 160 Quadratmetern 1900 Franken. Ein vergleichbares Nachbarhaus wurde vom Eigentümer kernsaniert. Dort bezahlt man für eine ungefähr gleich grosse Wohnung das Doppelte. Das sollte uns doch zu denken geben.

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