Darum gehts
- Im 3. Quartal gingen in der Industrie im Vergleich zum Vorjahr 7600 Jobs verloren
- Im Mittelland, Tessin und in der Ostschweiz ist die Beschäftigung in der Industrie am stärksten gesunken
- Mehr als eine halbe Million Menschen im Erwerbsalter suchen einen Job oder ein höheres Pensum
Die Hiobsbotschaften treffen fast im Wochenrhythmus ein. Hier eine Firma, die ihre Belegschaft drastisch reduziert, dort eine Fabrik, die gar ganz dichtmachen muss. Besonders betroffen sind die Autozulieferer: SFS schliesst das Werk in Flawil SG, 75 Beschäftigte verlieren ihren Job. Die Brusa Hypower AG streicht in Buchs SG und Sennwald SG 55 Stellen. Mubea baut weitere 100 Arbeitsplätze ab und schliesst im nächsten Jahr die Stahlrohrfabrik in Arbon TG, um nur einige Beispiele aus diesem Herbst und Winter zu nennen.
Die Industrie steckt seit über zwei Jahren in einer Krise: Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) gingen im 3. Quartal gegenüber dem Vorjahr 7600 Stellen verloren. Die Arbeitslosigkeit in der Uhrenbranche, im Maschinenbau oder in der Chemieindustrie steigt. Die Zahl der inserierten Jobs sinkt deutlich. «In diesen Branchen ist die Jobsuche natürlich entsprechend schwieriger geworden», sagt Pascal Scheiwiller (52). Er ist CEO der Alixio Group Schweiz, zu der auch die Outplacement-Firma Rundstedt gehört, die Arbeitnehmenden nach der Kündigung bei der Stellensuche hilft.
«Arbeitskräftemangel ist vorbei»
In der Ostschweiz, im Mittelland und Tessin ist die Beschäftigung im produzierenden Gewerbe innerhalb eines Jahres zwischen 1,7 und 3,2 Prozent gesunken. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse geht fürs laufende Jahr von einer Arbeitslosigkeit von 2,8 Prozent aus. Das sind 40 Prozent mehr als vor zwei Jahren.
«Der Arbeitsmarkt hat sich wieder normalisiert. In diesen Branchen und Berufsfeldern ist aktuell nicht viel vom gefürchteten Arbeitskräftemangel zu sehen», sagt Scheiwiller. Für jene, die eine Arbeit suchen, ist das ein schwacher Trost. Was das Problem verschärft: Die Schweizer Arbeitslosenquote zeigt nur die halbe Wahrheit. Viele Jobsuchende sind nicht beim Arbeitsvermittlungszentrum gemeldet – darunter auch die Ausgesteuerten.
Über eine Viertelmillion Menschen ist auf Jobsuche
Gemäss Definition der Internationalen Arbeitsorganisation beträgt die Erwerbslosenquote in der Schweiz 5,1 Prozent – das sind 261'000 Personen. Hinzu kommen nochmals praktisch gleich viele, die gerne mehr arbeiten würden, aber ihr Arbeitspensum nicht erhöhen können, wie BFS-Zahlen zeigen. «Das sind dann insgesamt mehr als eine halbe Million Menschen, die vom Arbeitsmangel betroffen sind», so Scheiwiller.
Das Problem: Das Profil der Jobsuchenden stimmt häufig nicht mit den Anforderungsprofilen in Stelleninseraten überein. Das spielt umso mehr eine Rolle, weil die Firmen generell deutlich zurückhaltender mit Neueinstellungen sind. Das liegt an den grossen wirtschaftlichen Unsicherheiten, verursacht durch die US-Zölle und andere geopolitische Unruhefaktoren. All das ist Gift für die Wirtschaft. Als Konsequenz wollen immer mehr Arbeitgeber ihre Belegschaft reduzieren, ist von Economiesuisse zu hören.
Arbeitgeber suchen den perfekten Match
Die Firmen werden auch bei der Mitarbeiterrekrutierung wählerischer. «Aufgrund von Kostendruck und der Notwendigkeit, Fehlbesetzungen zu vermeiden, suchen Arbeitgeber heute oft einen nahezu hundertprozentigen Match», sagt Arbeitsmarktexperte Martin Meyer (49) vom Personalvermittler Adecco Schweiz.
Es gibt nicht nur mehr Arbeitslose, auch die Zahl der offenen Stellen geht zurück. Das heisst: Mehr Bewerberinnen und Bewerber treffen auf immer weniger verfügbare Jobs. Das erschwert die Suche nach Arbeit zusätzlich.
Nicht nur die Schweizer Industrie durchläuft derzeit eine Rosskur. Auch viele andere Branchen haben sich einem Sparprogramm verschrieben. Jüngst kamen Meldungen aus der Pharmaindustrie dazu: Pfizer soll seine Belegschaft in der Schweiz radikal zusammenstreichen – von heute 300 auf 70 Jobs, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Vor kurzem gab zudem der Schweizer Pharmariese Novartis bekannt, dass am Standort Stein AG 550 Jobs dem Rotstift zum Opfer fallen.
Auch im Büroumfeld wirds ungemütlich
Die neu fusionierte Versicherungsgruppe Helvetia Baloise will in den nächsten drei Jahren allein in der Schweiz zwischen 1400 und 1800 Stellen abbauen. Dabei dürften nicht nur Doppelspurigkeiten eine Rolle spielen, sondern auch die künstliche Intelligenz. Gerade im Bereich Verwaltung, Büro und Administration ist die Jobsuche deutlich schwieriger geworden. «Das sind Berufsgruppen, die dem Effekt von KI besonders ausgesetzt sind», sagt Meyer. Verlässt jemand die Firma, wird die Stelle immer öfters einfach nicht neu besetzt.
Die Aussichten fürs neue Jahr sind wenig verheissungsvoll: Experten prognostizieren, dass die Schweizer Wirtschaft im nächsten Jahr nur ein kleines Wachstum erlebt und die Arbeitslosigkeit erneut ansteigt. Entsprechend dürfte auch das Jobwachstum gering ausfallen.