Darum gehts
- Trinkgeld-Trick aus Amerika verbreitet sich in der Schweiz immer mehr
- Automatisierte Trinkgeldabfrage erzeugt sozialen Druck auf Kunden
- In den USA sind Kellner auf 15 bis 20 Prozent Trinkgeld angewiesen
Der Trinkgeld-Trick ist nach den Corona-Jahren von Amerika in die Schweiz übergeschwappt – und verbreitet sich immer mehr. Gerade an den Take-away-Ständen der Weihnachtsmärkte fällt er aktuell vielen Kundinnen und Kunden auf. «Ich hasse das über alles», schreibt ein Kunde auf dem Internetforum Reddit zum Trinkgeld-Trick in Zürich.
Das System funktioniert so: Du willst einen Glühwein kaufen und bezahlst mit der Karte – doch bevor die Transaktion abgeschlossen ist, taucht auf dem Kartenterminal die Frage nach Trinkgeld auf. Die Antwortmöglichkeiten? Kein Trinkgeld, 10, 15 oder 20 Prozent. Währenddessen wartet der Verkäufer oder die Verkäuferin nicht selten direkt daneben – und schaut zu, welche Option ausgewählt wird.
«Trinkgeld wird zu einer sozialen Drucksituation»
Dass der Psycho-Trick funktioniert, belegen Studien aus den USA. Die neue Trinkgeld-Methode sieht der Gastro-Experte Daniel Marbot (58) kritisch, wie er gegenüber Blick sagt. Marbot berät Gastronomiebetriebe und Investoren in der ganzen Schweiz – und warnt vor den Folgen. «Das Thema beschäftigt die Branche derzeit stark und emotional.»
Gerade das automatisierte Abfragen von Trinkgeld an Theken oder bei Selbstbedienung verschiebe Verantwortung und Erwartungshaltung erheblich, so Marbot. «Trinkgeld wird damit vom freiwilligen Zeichen der Anerkennung zu einer sozialen Drucksituation. Das schadet langfristig dem Vertrauen zwischen Gast, Betrieb und Personal enorm und untergräbt die eigentliche Idee fairer Löhne.»
Aber auch für die Betriebe sei das kontraproduktiv. Denn fühlen sich Kunden unter Druck gesetzt, geben sie zwar laut den Studien mehr Trinkgeld – verlassen die Beiz oder den Take-away-Stand aber auch mit einem schlechteren Gefühl. Langfristig könnte das zum Bumerang werden.
Kommt die Ami-Trinkgeld-Kultur auch in die Schweiz?
Denn: In Amerika ist das Personal auf ein Trinkgeld von 15 bis 20 Prozent angewiesen – die Löhne fürs Gastropersonal sind in den USA von den Arbeitgebern bewusst zu tief angesetzt. Die Kundschaft subventioniert die fehlenden 15 bis 20 Prozent quasi übers Trinkgeld. In der Schweiz ist das anders. Hierzulande gibts Trinkgeld nicht automatisch, sondern nur für ausserordentlich guten Service.
Bleibt das auch so? Gastro-Experte Marbot hoffts: «Trinkgeld ist mehr als ein Betrag. Es ist ein Dankeschön – direkt, spontan, menschlich. Es gehört nicht in die Lohnverarbeitung, sondern in die Hände derer, die gute Arbeit leisten.»