Darum gehts
- Digitale KI-Figuren gewinnen rasant an Reichweite – ihre Macher verdienen teils fünfstellige Summen im Monat
- Der Branchenwert der AI-Influencer soll bis 2030 auf fast 46 Milliarden Dollar wachsen
- Für Unternehmen ist der Trend lukrativ: Virtuelle Influencer liefern perfekte Bilder, kosten weniger und sagen garantiert nichts Falsches
«Kein Filter, kein Botox, keine Operationen – just me», schreibt Emily Pellegrini unter eines ihrer Kurzvideos auf Instagram. Darauf zu sehen: Die Influencerin, wie sie in einem knappen, hellblauen Bikini posiert. Ihre Aussage ist schwer zu glauben, schaut man sich ihre Figur mit Mini-Taille und üppiger Oberweite an. Aber sie wäre nicht die erste Influencerin, die behauptet, völlig unbearbeitet zu sein.
Doch Pellegrini ist anders als gewöhnliche Social-Media-Sternchen: Sie braucht keine Schönheits-OP oder andere Beauty-Produkte. Denn sie existiert gar nicht. Sie ist eine sogenannte KI-Influencerin – eine computergenerierte Kunstfigur, erschaffen von einer künstlichen Intelligenz (KI). Ihr Profil zählt derzeit 358'000 Follower.
Mit KI können perfekte Scheinwelten in wenigen Sekunden generiert werden. Ihre Pendants aus Fleisch und Blut müssen für dasselbe Ergebnis oft mehrere Stunden aufwenden. Droht dem noch jungen Beruf nun ein abruptes Ende, wenn makellose Avatare das Geschäft übernehmen?
Konzerne reiben sich die Hände
Das Business mit den virtuellen Figuren ist lukrativ. So verdiente der Schöpfer von Pellegrini, der sich nur «Professor EP» nennt, vergangenes Jahr siebenstellig an ihr, wie der Programmierer gegenüber dem «Spiegel» erzählt. Eine US-Studie schätzt den Marktwert der KI-Influencer-Branche für 2024 auf rund sechs Milliarden Dollar. Bis 2030 soll sie um über 80 Prozent auf fast 46 Milliarden wachsen.
Neben Pellegrini gibt es zahlreiche weitere künstliche Persönlichkeiten im Netz. Aitana Lopez etwa, eine von der spanischen Kreativagentur «The Clueless» kreierte Influencerin, hat 373'000 Follower. Durch Werbekooperationen fliessen Einnahmen von bis zu 10'000 Euro pro Monat direkt in die Kasse der Agentur. Dem britischen KI-Model Shudu – das bereits von Marken wie Balmain, Ellesse und Lexus gebucht wurde – folgen auf Instagram 238'000 Personen. Ihrem männlichen Pendant Zlu aus Frankreich sogar fast doppelt so viele.
«Unternehmen lieben Kontrollierbarkeit», sagt Anja Lapčević (36). Die Zürcherin ist Mitgründerin und Geschäftsführerin des Vereins «Conscious Influence Hub», der sich für verantwortungsvolles Verhalten auf Social Media einsetzt. «Und genau das bieten KI-Influencer. Sie werden nicht krank, brauchen keine Pausen und liefern genau das, was man ihnen vorgibt.»
Gleichzeitig warnt Lapčević: «KI-gestützte Inhalte werfen auch ethische Fragen auf, gerade, was Transparenz und Kennzeichnung betrifft.» Darum brauche es klare Regeln, um zu erkennen, ob es sich um eine echte Person oder eine virtuelle Figur handelt.
Künstliche Intelligenz bedroht auch moderne Jobs
Der Milliardenmarkt des Influencermarketings steht vor einem massiven Umbruch. Dieser Ansicht ist auch Tanja Herrmann (37), Geschäftsführerin der Agentur «House of Influence». Seit acht Jahren arbeitet sie mit Influencern zusammen, die Produkte und Dienstleistungen für Firmenkunden bei ihren Zielgruppen bewerben. «Schon heute können wir kaum mehr erkennen, ob ein Video echt oder künstlich ist», sagt sie zu Blick. Herrmann könne sich gut vorstellen, künftig auch mit KI-Influencern zu arbeiten. «Die Werbebranche ist extrem schnelllebig», so Herrmann. «Wer mithalten will, muss Trends frühzeitig erkennen.»
Die Unternehmerin führt aus: «Früher waren Influencer einfach Promis – quasi die Roger Federers dieser Welt. Man borgte sich ihr Gesicht für eine Werbebotschaft aus. Erst vor rund zehn Jahren kamen Influencer dazu, wie wir sie heute kennen: Menschen, die mit Beiträgen auf sozialen Plattformen Reichweite aufbauen und durch ihre Persönlichkeit Vertrauen schaffen. Mit ihnen erlebte auch das Influencermarketing einen Boom.»
Die Schweiz hinkt hinterher – noch
Auch hierzulande erkennen Unternehmen das Potenzial der neuen Technologie. Lapčević weiss von Konzernen, die mit dem Gedanken spielen, virtuelle Figuren für Werbezwecke einzusetzen. Nur: Die Umsetzung läuft selten noch über klassische Agenturen. «Man braucht dafür vor allem technische Kenntnisse und Leute, die KI-Systeme bedienen, Skripte schreiben und gezielt Prompts entwickeln können.»
Herrmann bestätigt: «Wir haben intern nicht die Leute, um selbst eine solche Figur zu erschaffen.» Das nötige Know-how fehle.
Noch werde KI im Schweizer Influencermarketing kaum eingesetzt, sagt Herrmann. «Das ist typisch Schweiz: In Nachbarländern sind virtuelle Influencer bereits präsenter. Wir sind langsamer, warten erst einmal ab. Manche Trends schaffen es gar nie bis hierher. Aber in diesem Fall ist es keine Frage des Ob, sondern des Wann.»
Einst wollten Influencer mit ihrer Persönlichkeit und Reichweite überzeugen. Doch da Aussehen und Charisma nicht mehr entscheiden, wer im Werbegeschäft das grosse Geld verdient, bedrohen die KI-Influencer schon heute die Zukunft ihrer menschlichen Wegbereiter.