Darum gehts
Beim kanadischen Softwareunternehmen Shopify gilt neu die Devise: Jede Führungskraft, die einen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen will, muss zuerst nachweisen, dass nicht ein KI-Programm die Aufgabe übernehmen kann.
Auch in anderen Firmen heisst es ab sofort: «KI first». Der IT-Riese Salesforce etwa will in diesem Jahr keine neuen Programmierer einstellen – denn KI habe das vorhandene Team 30 Prozent produktiver gemacht, wie CEO Marc Benioff zum Jahreswechsel erklärte. In der globalen Finanzbranche zieht ebenfalls ein Sturm auf: 200’000 Posten könnten hier in den kommenden Jahren durch KI wegfallen, sagt der Informationsdienst Bloomberg Intelligence voraus.
Beginnt jetzt der grosse KI-Jobabbau? Und welche Stellen könnten in der Schweiz bedroht sein?
Niemand ist immun gegen KI
Von der «Gefahrenzone Büro» spricht die Zürcher Denkfabrik Avenir Suisse in einem Papier zum Thema. «Gerade bei Bürotätigkeiten, die wenig Qualifikationen erfordern, gibt es ein Potenzial dafür, dass KI die Arbeit substituiert», sagt Marco Salvi, Ökonom und Mitautor. Auch Hochqualifizierte – zum Beispiel Übersetzer oder Informatiker – gehörten zur Gruppe der «Gefährdeten».
Bildung allein macht laut der Avenir-Suisse-Studie nicht KI-immun. Unter den Akademikern fänden sich sogar mehr «Gefährdete» als unter Personen, die nur einen Schulabschluss haben. Letztere arbeiten nämlich oft mit ihren Händen, im Freien oder im physischen Kontakt mit Menschen – und all das beherrscht KI eben nicht. «Wer weiss, vielleicht stehen wir vor einer grossen Renaissance der Handwerksberufe?», so Salvi.
Damian Borth, Informatikprofessor an der Universität St. Gallen, sieht vor allem dort Gefahren, wo sich Aufgaben häufig wiederholen. «Um Daten von A nach B zu schieben, wird man in Zukunft niemanden mehr einstellen.»
Daneben erwartet der bekannte KI-Experte grosse Auswirkungen auf Einstiegspositionen. «In Kanzleien, bei Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatern fallen die untersten zwei Karrierestufen weg.» Der Grund: Die typischen Aufgaben, die Juniorkräfte heute erledigen – Berichte verfassen oder Daten aufbereiten etwa – übernehmen bald KI-Programme.
Einer KI mangelt es an Charisma
In der IT ist der Vormarsch der denkenden Maschinen schon spürbar. Denn um einen Computer zu programmieren, muss man seit kurzem kein Programmierer mehr sein. Es reicht, einer KI die gewünschte Funktion in normalen Worten zu schildern. Ein Hilfsprogramm wie Cursor erschafft dann den passenden Code. «Vibe-Coding» nennen Profis das, also etwa «intuitives Programmieren». Was dabei herauskommt, ist zwar keineswegs fehlerfrei – reicht aber für viele Anwendungen.
Bei Y Combinator, einem Firmeninkubator im Silicon Valley, arbeitet schon ein Viertel der Start-ups fast ausschliesslich mit maschinengeneriertem Code. Das drückt die Nachfrage nach menschlichen Profis: In den USA ist laut der Zentralbank Fed die Zahl der offenen Stellen für Softwareentwickler seit 2022 um 70 Prozent gesunken. Für Eric Schmidt, Ex-CEO von Google, steht fest, wo das endet: «In einem Jahr wird die grosse Mehrheit der Programmierer durch KI-Programmierer ersetzt.»
Was in der IT heute passiert, dürfte nur ein Anfang sein. Bis zum Jahr 2030 könnten bis zu 30 Prozent aller geleisteten Arbeitsstunden von Maschinen übernommen werden, heisst es in einer Studie des McKinsey Global Institute, dem Thinktank der Unternehmensberatung. In Europa könnten 6,5 Prozent der Arbeitsverhältnisse betroffen sein.
Umgang mit KI wird zur Kompetenz
Das klingt ernst. Dennoch geben die meisten Fachleute (noch) Entwarnung. Dass KI mehr Jobs vernichte, als sie schaffe, sei keineswegs sicher, betont Ökonom Salvi von Avenir Suisse. «Die meiste Arbeit ist zu vielfältig, um sie komplett von KI erledigen zu lassen. Etliche Berufe könnten von der Technologie sogar profitieren.» Zu den potenziellen Gewinnern der KI-Revolution gehören laut seiner Untersuchung Geschäftsführer, Führungskräfte und Naturwissenschafter.
«Menschen werden durch die Technologie augmentiert, nicht ersetzt», betont Nina Probst, Leiterin der «People & Organizational Performance»-Beratung von McKinsey in der Schweiz. Sie verweist auf die positiven Folgen von KI: höhere Produktivität durch automatisierte Abläufe, interessantere Arbeit, neue Jobprofile. Um von diesen Vorteilen profitieren zu können, müsse Digitales jedoch fester Teil von Strategie und Geschäftstätigkeit werden, räumt Probst ein.
Ausserdem brauche es ein umfangreiches Aus- und Weiterbildungsprogramm für Mitarbeitende: «Der Umgang mit KI wird zur essenziellen Kompetenz.» Die Arbeitswelt von morgen sei tatsächlich eine andere. Einige Bereiche des Arbeitslebens müssten auch neu gedacht werden – zum Beispiel die Einarbeitung von Juniorkräften. Sie würden in Zukunft sofort tiefer arbeiten, sorgfältig KI-Ergebnisse evaluieren und in die Interpretation gehen.
Ältere Arbeitskräfte haben einen entscheidenden Vorteil
Dem Narrativ vom Jobkiller KI widerspricht die Verantwortliche für das Genfer McKinsey-Büro entschieden: «Viele Arbeitnehmende sehen KI als Chance», sagt Probst. In den meisten Positionen könne nur ein spezifischer Teil der Tätigkeit voll automatisiert werden. Das Verschwinden von Jobs und damit einhergehende Neuorientierungen seien teilweise in unteren Lohnsegmenten zu erwarten. Die Beraterin glaubt, dass menschliche Fähigkeiten auf lange Sicht gefragter denn je sind – zum Beispiel kritisches Denken, soziale und emotionale Fähigkeiten, Strategie und Empathie.
Dass KI alle menschlichen Kräfte überflüssig macht, erwartet auch KI-Experte Borth von der Uni St. Gallen nicht. Die Automatisierung werde irgendwann an eine natürliche Grenze stossen. «Leadershipfähigkeiten, Persönlichkeit, Charisma: All das kann KI nicht ersetzen.» Es brauche weiterhin Menschen, die «mit Menschen können» – nicht nur im Vorstand, sondern auf vielen Managementebenen.
Eine gute Nachricht hat Borth interessanterweise für ältere Arbeitskräfte: Sie würden auch in Zukunft gebraucht, weil all das, was die Maschinen erschaffen und entscheiden, von jemandem überprüft werden muss. «Wir werden alle zu Verifikatoren», erwartet Borth. Doch um beispielsweise einen Text überprüfen zu können, müsse man wissen, wie man einen schreibt. «Und genau das haben die Millennials noch gelernt», sagt Borth lachend, «im Gegensatz zur kommenden Generation.»