Darum gehts
Wer sich seinen Weg durch das Haus bahnt, merkt schnell, dass dies kein normales Unternehmen ist: Eine Tänzerin im engen schwarzen Trikot eilt hektisch durch die Gänge zum Proberaum. Aus der Gegenrichtung drängelt sich eine Musikerin mit Geigenkasten auf dem Rücken an einem vorbei. Es wuselt wie in einem Bienenstock, und das an einem normalen Donnerstagmorgen. Damit sich niemand im verwinkelten Gebäude verirrt, weisen Schilder den Weg – deren Schriftzüge verströmen den Charme der 70er-Jahre.
Willkommen im Opernhaus Zürich beziehungsweise im sichtbar in die Jahre gekommenen Erweiterungsbau, den die Zürcher wenig liebevoll «Fleischkäse» nennen. In diesem Zweckbau neben dem prachtvollen Operngebäude hat Marc Meyer im ersten Stock sein Büro. Der frühere Balletttänzer, der später Jus studierte und einen MBA dranhängte, leitet seit Sommer 2023 als Kaufmännischer Direktor die wirtschaftlichen Geschicke der Zürcher Oper. Und beugt sich grad über die Jahreszahlen der vergangenen Spielzeit 2024/2025.
Auslastung bei fast 90 Prozent
Er nennt sie «solide»: Die Auslastung des Opernhauses mit seinen 1100 Plätzen sank zwar leicht von 91,6 auf 87,6 Prozent. «Wir hatten künstlerisch einen unglaublich interessanten Spielplan, aber es waren auch einige schwierige Stücke dabei», erklärt Meyer im Gespräch. Im laufenden Betrieb schloss das Opernhaus die Saison aber mit einem Gewinn von 409'402 Franken ab – nur die Planungskosten für den geplanten Ersatzbau des «Fleischkäses» drückten das Opernhaus mit gut einer halben Million in die roten Zahlen.
Doch wer tiefer in das Zahlenwerk einsteigt, merkt schnell, dass Opern zwar grosse Kunst, aber kein grosses Geschäft sind: Das Zürcher Opernhaus hat die Form einer Aktiengesellschaft mit rund 2600 Aktionären; mit 17 Prozent ist die UBS der grösste Einzelaktionär. Doch damit enden die Parallelen zur normalen Wirtschaftswelt.
Ticketverkäufe decken keine 20 Prozent der Kosten
Denn die Einnahmen aus den Vorstellungen von 24,3 Millionen Franken reichen nicht einmal aus, um 20 Prozent der Kosten zu decken. Rechnet man die Erträge aus Sponsoring sowie andere Einnahmen wie der Verleih von Kostümen und Requisiten dazu, kommt die Oper Zürich auf einen Eigenfinanzierungsgrad von 31 Prozent. Rund 70 Prozent der Einnahmen kommen aus der Staatskasse, genauer gesagt vom Kanton Zürich, der das Opernhaus Jahr für Jahr mit über 90 Millionen Franken fördert.
Damit ist die Oper Zürich kein Einzelfall, auf ähnliche und zum Teil tiefere Eigenfinanzierungswerte kommen das Grand Théâtre de Genève (GTG) und das Theater Basel, die ebenfalls Opern und Ballettaufführungen bieten. Und im europäischen Vergleich sind diese drei grossen Schweizer Spielstätten noch passabel unterwegs: «Die meisten Theater im deutschsprachigen Raum haben einen deutlich tieferen Eigenfinanzierungsanteil von rund 20 Prozent», sagt Opernmanager Meyer.
Der typische Opernbesucher ist alt, in Zürich im Schnitt 59 Jahre, die Abonnenten des grössten Opernhauses der Schweiz, dem GTG, sind im Schnitt gar 65 Jahre alt. Böse gefragt: Warum soll der Steuerzahler gut situierten Pensionären die Abendunterhaltung bezahlen – zumal sich diese höhere Ticketpreise locker leisten könnten? Was hat die «Generation Netflix» von den Millionensubventionen für Opern?
Opernhaus-Zürich-Manager Meyer bringen diese Fragen nicht aus dem Takt. «Die Leistung unseres Hauses kann man nicht allein an wirtschaftlichen Kennzahlen festmachen», entgegnet er. «Denn Kultur erfüllt eine wesentliche gesellschaftliche Funktion.» Ähnliche Argumente sind aus Basel und Genf zu hören. Und dank verbilligten Tickets kämen auch junge Leute.
«Müssten Opern ihre Kosten allein mit Ticketeinnahmen finanzieren, würden sie wie ein Broadway-Theater funktionieren und nur noch Kassenschlager spielen, bei denen die Tickets bis zu 600 Franken kosten würden», entgegnet Aviel Cahn, Intendant des GTG. Zürichs Opernmanager Meyer spricht gar von Ticketpreisen bis zu 1000 Franken, die nötig würden, gäbe es keine Staatshilfen.
Während in der Schweiz gefühlt Dauerstreit um Fördergelder herrscht, sind die Subventionen für die grossen Opern- und Theaterhäuser wenig umstritten. «Es gibt in Genf einen politischen Konsens, dass eine Oper als Kulturbetrieb zum Service public gehört», sagt Intendant Cahn. In Zürich sind die Hilfen sogar gesetzlich festgeschrieben, genauer gesagt im Opernhausgesetz. Dort heisst es in Paragraf vier, dass das Opernhaus «geeignete Vorkehrungen» zu treffen hat, um einen «angemessenen Anteil seiner Ausgaben» aus eigener Kraft zu finanzieren. Laut Leistungsvereinbarung muss das Opernhaus «mindestens einen Drittel» der Kosten selbst finanzieren – was in der letzten Spielzeit knapp verfehlt wurde. Das Geld für den Betrieb kommt laut Gesetz ansonsten vom Kanton.
Verschiedene Fördertöpfe in Genf
Genf hat eine komplexere Finanzierung: Denn der Grossteil des technischen Personals ist direkt bei der Stadt und nicht beim Theater angestellt. Auch das Orchester hat einen eigenen Subventionstopf. Laut Geschäftsbericht kommt das GTG daher mit knapp 14 Millionen Franken Subventionen von der Stadt Genf aus. Rechnet man aber die oben genannten Posten hinzu, sind es laut Intendant Cahn eher 45 bis 50 Millionen Staatshilfen. Ungefähr so viel wie beim Theater Basel mit 48 Millionen. Mit über 90 Millionen Franken Kantonsgeldern schwingt das Opernhaus Zürich weit obenaus.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Das liegt am hohen eigenen Anspruch: Laut Gesetz soll das Opernhaus «internationale Ausstrahlung der künstlerischen Leistung» anstreben. Daher gönnt sich Zürich gerne Stars wie die russische Sopranistin Anna Netrebko. Und das kostet. Aber ist das Produkt die vielen Steuermillionen wert? Ja, meint die zuständige Fachstelle Kultur der Zürcher Direktion der Justiz und des Innern. Dass das Angebot ankomme, zeige die hohe Auslastung von fast 90 Prozent.
Wer zahlt, befiehlt– das ist auch bei Opern so. Die künstlerische Freiheit ist zwar gewahrt, und es ist nicht so, dass sich Jacqueline Fehr, die Zürcher Justizdirektorin, die im Verwaltungsrat des Opernhauses sitzt, ihre Lieblingsoper wünschen kann. Aber die staatlichen Geldgeber machen den Häusern in Rahmenvereinbarungen gewisse Vorgaben.
20 Volksvorstellungen sind Pflicht
Das Opernhaus Zürich muss zum Beispiel pro Spielzeit 14 Neuproduktionen zeigen, mindestens eine Oper muss ein zeitgenössisches Stück sein. Pro Jahr muss das Opernhaus zudem mindestens zwanzig sogenannte Volksvorstellungen anbieten, bei denen das billigste Ticket 15 Franken kostet. Auch in Genf und Basel gibt es solche vergünstigten Tickets. Das Ziel: Oper wird billiger als Kino und damit für alle zugänglich.
Doch trotz den Staatsmillionen und einer vergleichsweise hohen Auslastung ist das Geld stets knapp. Das Theater Basel zum Beispiel musste jüngst die Kosten um 1,6 Millionen Franken senken, um unter anderem die gestiegenen Energie- und Lohnkosten aufzufangen. Jetzt sei das Haus finanziell wieder stabilisiert, sagt Finanzdirektor Nils Braun-Dubler. Er verantwortet seit knapp zwei Jahren die Kasse beim Theater Basel, zuvor war der Posten lange verwaist, weil der Job als schwierig galt.
«Der Rückgang bei den Abos ist die grösste Herausforderung», berichtet Braun-Dubler. «Daher haben wir ein Halbtax-Abo eingeführt – damit konnten wir den grössten Teil des Rückgangs auffangen.» Auch der Genfer Intendant Cahn ist nicht frei von Geldsorgen: «Wir haben ein strukturelles Defizit, weil die Subventionen stabil bleiben, die Kosten aber steigen», sagt er. «Das ist ein branchenweites Problem.»
Immer nur «Zauberflöte» ist keine Lösung
So navigieren die Opernhäuser bei der Gestaltung ihres Programms zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellen Notwendigkeiten. Als Blockbuster-Opern gelten unter anderem Puccinis «Tosca» und «La Bohème», Mozarts «Zauberflöte» und Verdis «La traviata». Sowohl in Zürich als auch in Basel wurde zudem jüngst Wagners «Ring der Nibelungen» aufgeführt, bei der «Götterdämmerung» lag die Auslastung in Basel bei fast 100 Prozent. Doch diese Stücke kann man nicht dauernd spielen, niemand hört sich dreimal die «Tosca» an, um verschiedene Tenöre zu vergleichen.
«Trotz Subventionen müssen die Zahlen am Ende stimmen, daher spielen wir auch populäre Stücke wie ‹Ein Amerikaner in Paris›», erklärt Cahn vom GTG und fügt an: «Es kommt auf die Mischung an.» Und dank Staatsgeldern können die Häuser auch mal mutiger sein und Uraufführungen wagen, die in der Regel keine Massen anlocken.
Die Opernmanager sprechen auch weniger gern von «Subventionen», sondern sehen in den Staatsgeldern eine Art «Investition». Denn ein hochstehendes Kulturangebot wie eine Oper lockt Besucher in die Städte, die dann auch essen gehen und vielleicht noch shoppen. Dazu hat die Stiftung der Bank Julius Bär einmal eine Analyse erstellen lassen, um die wirtschaftliche Bedeutung der Zürcher Kulturbetriebe zu beziffern.
Ergebnis: Insgesamt bekamen die 61 Kulturinstitute Zürichs im Jahr 2013 rund 200 Millionen Franken Fördergelder. Dem stünde eine Bruttowertschöpfung von 212 Millionen Franken gegenüber, ferner würden die Kultureinrichtungen Dienstleistungen von Dritten für 84 Millionen Franken einkaufen, von den Löhnen der 1360 Vollzeitbeschäftigten würden 160 Millionen durch Konsumausgaben in den Wirtschaftskreislauf zurückfliessen, und die Besucher von Oper, Kunsthaus und Co. gäben in der Stadt 122 Millionen Franken aus. Kernaussage: Kultur rechnet sich unter dem Strich eben doch.
Schwieriges Sponsoring
Aber wenn dem so ist, müssten doch private Geldgeber Schlange stehen? Zürichs Opernmanager Meyer winkt ab: «Das weitere Wachstumspotenzial im Sponsoring ist begrenzt, dessen Ausschöpfung ist mit erheblichem Engagement und intensivem Einsatz verbunden.» Das sieht sein Basler Kollege Braun-Dubler ähnlich: «Sponsoren fördern gerne besondere Projekte, so wurde der Bau des Schauspielhauses vor rund 25 Jahren massgeblich von Mäzeninnen bezahlt», erklärt er. «Für den laufenden Betrieb ist es anspruchsvoller, Sponsoren zu finden.»
Denn Sponsoren wollen mit ihrem Geld einen messbaren Effekt für ihre Bekanntheit erzielen. Im Kampf um private Fördergelder konkurrieren Opern aus diesem Grund auch mit Fussballvereinen, die dank hoher medialer Reichweite hier ein einfacheres Spiel haben. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Die Eignerin von Rolex, die Hans-Wilsdorf-Stiftung, zählt natürlich zu den Förderern des heimischen Grand Théâtre de Genève. Doch genannt werden will die Stiftung nicht. Man will ja keine Begehrlichkeiten wecken. Intendant Aviel Cahn will zudem den laufenden Betrieb nicht mit privaten Sponsorengeldern finanzieren. «Wir wollen kein Oligarchentheater werden», lautet seine Begründung.
Unter dem Strich bleiben die Opernhäuser damit vom Steuerzahler abhängig. Doch die Verantwortlichen wissen, dass diese Gelder keine Selbstverständlichkeit sind. Die Häuser müssen sich um die «Generation Netflix» bemühen und neues Publikum gewinnen. Sie wollen so zeigen: Die Oper ist cool und nicht nur für den Opa.
Um Hemmschwellen abzubauen, lässt man sich viel einfallen. In Genf zum Beispiel öffnet Intendant Cahn sein Haus auch mal nachts. Und so können Opernliebhaber nach der Vorstellung in der Oper mit Schlafsack und Matratze im Theater übernachten – das Frühstück ist inklusive.
Und das Theater Basel hat sein Foyer die ganze Woche über für das Publikum geöffnet, das dort arbeiten, lesen oder einfach Kaffee trinken kann. Zudem wurde das Foyer als weiterer Spielort etabliert – dort finden dann Vorstellungen des «Theater Public» statt, wie etwa Dance-Battles. Selbst die Kleinsten sollen an die grosse Kultur herangeführt werden: mit den «Mittwochsfüssen», einem Tanzformat für Kinder ab zwei Jahren. Und das Opernhaus Zürich hat mit grossem Erfolg einmal einen Kostümball veranstaltet.
Die Jungen mögen es spontan
Mit solchen Aktionen und den vergünstigten Tickets kommt auch jüngeres Publikum in die Kulturpaläste. In Zürich locke gerade das Ballett jüngere Menschen an, berichtet Opernmanager Meyer. Das Problem: Die «Generation Netflix» entscheidet sich meist spontan zwischen Kino, Kneipe – oder eben Oper.
«Ob wir unser Budget erreichen, entscheidet sich daher am Tag der Vorstellung», erklärt er. «Im digitalen Zeitalter haben Oper und Theater als analoges Erlebnis im Hier und Jetzt eine Zukunftsperspektive», ist Nils Braun-Dubler vom Theater Basel überzeugt. «Wir müssen aber zeigen, dass wir relevant sind, damit die Leute kommen.»
Mit Blick auf die Zukunft hat Zürichs Kaufmännischer Direktor Meyer aber noch eine besondere Herausforderung zu bewältigen. Der alte Erweiterungsbau, der «Fleischkäse», in dem er sein Büro hat, muss ersetzt werden. Das dürfte einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag kosten. Meyer versichert, dass er möglichst viel privates Geld mobilisieren wolle. Aber: «Es ist davon auszugehen, dass der Kanton den überwiegenden Teil der Baukosten wird tragen müssen.» Das Projekt dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Volksabstimmung zu überstehen haben. Dann wird sich zeigen, wie viel der Zürcher Bevölkerung ihr stolzes Opernhaus wert ist.