Darum gehts
Andreas Wegelin weiss, welche Musik die Schweiz am liebsten hört. Nur verraten darf er es nicht. Als Direktor der Genossenschaft Suisa vertritt er die Rechte der Urheber und Musikverlage und sorgt dafür, dass jeder, der in der Schweiz Musik kommerziell nutzt, dafür bezahlt. Ob Radiosender, Bar, Lindy-Hop-Party oder Openair: Sie alle sind, mehr oder weniger freiwillig, Kunden der Suisa. Ein Millionengeschäft.
2024 wies Wegelin ein Rekordergebnis aus: 206 Millionen Franken zog seine Suisa an Lizenzgebühren ein, 34,5 Millionen erhielt sie über Partnerorganisationen im In- und Ausland dazu. Zusammen mit weiteren Einnahmen ergeben sich rund 264 Millionen Franken Gesamteinnahmen.
Das meiste bezahlt die Suisa direkt oder indirekt an Künstlerinnen oder Verlage aus. Einen nicht unwesentlichen Teil, 43 Millionen Franken, verschlingt jedoch das aufwendige System, das – einer Dürrenmatt’schen Weltformel ähnlich – versucht, den Musikkonsum möglichst genau abzubilden. Urheberrechte sind ein Wachstumsmarkt. Auch 2025 dürfte die Suisa einen Rekord verbuchen. Einen Rekord, der nicht alle freut.
Bei Musik hat die Schweiz ein Aussenhandelsdefizit
Die Suisa gibt es aus einem Grund: Müsste jeder Nutzer mit jedem Urheber direkt verhandeln, wäre das kompliziert bis unmöglich. Daher gibt es für viele Anwendungen kollektive Tarife. Radiosender, Konzertveranstalterinnen oder Fernsehsender müssen sich nicht selbst um die Rechte kümmern, sondern gelten diese über die Suisa ab. Konkretes Beispiel: Jedes Mal, wenn am Radio ein Song von Billie Eilish läuft, erhält die Musikerin eine Gutschrift der Suisa – sofern sie als Urheberin des Songs gilt, denn entscheidend für die Ausschüttung ist, wer einen Titel geschrieben oder arrangiert hat, nicht, wer ihn singt. Das Beispiel zeigt zudem: Bei Musik hat die Schweiz ein Aussenhandelsdefizit, denn ein bedeutender Teil der Suisa-Einnahmen fliesst ins Ausland oder an Schweizer Ableger ausländischer Verlage.
Die Verteilung unter den Künstlern ist höchst ungleich. Von 18’656 Personen erhielten im vergangenen Jahr 80 Prozent weniger als 1000 Franken ausbezahlt, viele kommen nicht einmal auf 100 Franken. 24 Urheber dagegen bezogen Beträge von mehr als 100’000 Franken. Etwas weniger extrem ist das Verhältnis bei den Verlagen, an die eine gute Mehrheit des Geldes fliesst.
Einnahmen steigen dank Wandel in der Branche
Die Suisa ist nur eine von fünf Schweizer Verwertungsgesellschaften, die kollektiv Urheberrechte verwalten. Doch keine andere reicht finanziell an sie heran. Die Société suisse des auteurs vertritt Autoren für Film und Theater (Verteilsumme: 25 Millionen Franken), Suissimage die Filmschaffenden (80 Millionen), Swissperform die Tonträgerproduzenten und Interpreten (59 Millionen), und Pro Litteris kümmert sich um die übrigen Autoren wie Schriftsteller und Journalistinnen (38 Millionen). Die fünf Organisationen sind eng verbandelt und treiben auch füreinander Geld ein. 22 Millionen zahlten diese Partner 2024 der Suisa, 27 Millionen erhielten sie aus deren Topf überwiesen.
Bei der Suisa rollt der Rubel. Der Wandel in der Musikbranche wirkt sich positiv auf ihr Geschäftsmodell aus. Zwar werden kaum noch CDs verkauft und – abgabepflichtig – kopiert. Dafür boomen andere Bereiche: Die Einnahmen aus Konzerten haben sich seit 2005 von 13 auf 29 Millionen Franken erhöht, die Abgaben für Aufführungsrechte stiegen von 33 auf 60 Millionen Franken. Über Abgaben auf Set-Top-Boxen nimmt die Suisa 4 Millionen Franken ein. Speicherabgaben – etwa auf Mobiltelefonen – generieren mehr als 9 Millionen.
Die grösste Veränderung aber kam mit dem Streaming. 56 Millionen Franken stammten 2024 aus Onlinerechten. Anders als bei Leerträgerabgaben, Konzertabenden und Hintergrundmusik ist die Suisa hier auf dem freien Markt aktiv, wie Suisa-Chef Wegelin erklärt. Sie vertritt ihre Mitglieder – und über eine Tochter auch Verlage mit grossen Beständen aus dem Ausland – weltweit gegenüber Musikplattformen wie Spotify und Apple Music. Jeder einzelne Stream wird mit den in der Suisa-Datenbank erfassten Rechten abgeglichen. Und finanziell abgegolten.
Und so treibt der technologische Wandel die Suisa vor sich her. Streaming statt Plattenverkäufe, Handys statt Kassettenspieler. Und weil es zwar eine gesetzliche Grundlage für die Abgaben gibt, aber im Einzelfall nachgewiesen werden muss, wie gross der Wert der Nutzung ist, bedeutet das immer wieder: Neuverhandeln der zeitlich befristeten Tarife. Dabei ist eines so gut wie sicher: dass die Suisa auf Gegenwehr stösst. Denn das parastaatliche Kollektivverwertungssystem hat längst nicht nur Freunde.
Während Komponistinnen und Komponisten dank der Suisa Geld verdienen, kriegen andere einen dicken Hals, wenn sie den Namen hören. Zum Beispiel Beizer und andere Arbeitgeber, die für die Hintergrundmusik eine Abgabe bezahlen müssen. Und meist kein Verständnis dafür haben. Hier fordert die Suisa ihre Rechte mit Nachdruck ein, wie Wegelin erklärt. So haben sich die Einnahmen aus dem entsprechenden Tarif in den letzten zwanzig Jahren auf zuletzt 19 Millionen Franken verdoppelt. Nicht etwa weil mehr Musik gehört werde, sondern weil hartnäckiger eingetrieben werde. 2019 übernahm die Suisa das Inkasso von der Billag, die offenbar handzahmer unterwegs war. 100’000 Betriebe bezahlten derzeit eine solche Abgabe, sagt Wegelin. Tatsächlich abgabepflichtig seien wohl doppelt so viele.
Die Suisa fordert eine Abgabe auf Cloud-Speicher
Gegen immer wieder neue Forderungen kämpft regelmässig auch der Verband Swico, der die ICT-Branche vertritt. Diese wird dann zur Kasse gebeten, wenn sie Produkte oder Dienstleistungen anbietet, über die geschützte Inhalte gespeichert werden können. Und nun hat die Suisa einen neuen Speicher ausgemacht, der bislang nicht vergütet wird: Cloud-Speicher wie Microsoft One Drive oder der virtuelle Speicher von Google.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Auch in der Cloud, so argumentiert die Suisa, würden urheberrechtlich geschützte Werke privat gespeichert, was nach Schweizer Recht zwar legal, aber auch vergütungspflichtig ist. Und so fordert die Suisa nun eine Erhöhung der Gebühren auf Speicher in Computern und Mobiltelefonen, um zu berücksichtigen, dass Daten meist auch in die Cloud kopiert werden. Das Heikle bei solchen Pauschalabgaben ist indes immer: Bezahlen tun alle gleich viel – egal, ob sie Musik, Filme oder Geschäftsdokumente speichern. Und so ist bereits klar, dass der Swico diese Tariferhöhung bekämpfen wird. Man werde die Ansprüche «kritisch prüfen», sagt Swico-Geschäftsleitungsmitglied Simon Ruesch, der sich ansonsten aber nicht zum Stand der Dinge äussern will.
Wegelin wiederum sorgt sich wegen zweier anderer Themen: Das eine ist die SRG-Kürzungsvorlage, über die 2026 abgestimmt werden wird. Würde diese angenommen, so rechnet Wegelin vor, würden die Suisa-Einnahmen um einen ein- bis zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr sinken. Die zweite grosse Unbekannte ist die künstliche Intelligenz. Was bedeutet generative KI für eine Branche, die Geld mit Urheberrechten verdient? Anmeldefähig und somit vergütungspflichtig seien nur Werke, zu denen ein Künstler aktiv beigetragen habe, sagt Wegelin. Und da reiche es nicht, mit originellen Prompts im AI-Tool einen Song generiert zu haben. Man müsse davon ausgehen, dass der Anteil der mit KI generierten Musik zunehme, sagt Wegelin. So senden bereits erste Schweizer Radios in der Nacht KI-generierte Musik, um Gebühren zu sparen, wie «Nau» vor kurzem berichtete.
Und so wird die Maschine Suisa komplexer – und grösser. 188 Vollzeitstellen werden benötigt, um Daten up to date zu halten, Abrechnungen zu erstellen oder Geld einzutreiben. Trotz Digitalisierung sinken die Verwaltungskosten nicht. Wegelin begründet das mit den zusätzlich übernommenen Aufgaben der Suisa, der steigenden Zahl der Mitglieder und den Veränderungen des Marktes. Das überkompensiere Effizienzgewinne aus der Digitalisierung. Nicht zuletzt die Kostenquote macht die Suisa immer wieder zum Ziel politischer Angriffe. Ihr ausweichen kann niemand, der urheberrechtlich geschützte Musik nutzt. In vielen Bereichen ist sie eine Monopolistin mit staatlichem Auftrag. Und somit hat das Schweizer Kollektivvergütungssystem bislang noch jeden Angriff überlebt.
Der Autor ist Mitglied der Suisa-Partnerorganisation Pro Litteris.