Angelsachsen und EU-Bürger dominieren Schweizer Topkonzerne
Gesucht: Schweizer Manager

In den Spitzengremien grosser Unternehmen sind Schweizer Vertreter inzwischen in der Minderheit. Eine immer dominantere Rolle nehmen Angelsachsen ein. Das wird zum Problem.
Publiziert: 17:57 Uhr
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Aktualisiert: 18:05 Uhr
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Pablo Isla, ein Spanier, steht seit kurzem an der Spitze des Nahrungsmittelriesen Nestlé.
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Schweizer Anteil in Führungsgremien sinkt
  • Verwaltungsräte zunehmend angelsächsisch geprägt
  • Schweizer Anteil in SMI-Unternehmen sank von über 90 % (1992) auf 47,8 %
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Beat SchmidFester Mitarbeiter Blick

Es ist Flugzeit. Jetzt schwärmen Headhunter aus und suchen nach Kandidaten für Topposten in Schweizer Unternehmen. Fündig werden sie meist dort, wo das Reservoir am grössten ist – im Ausland. Wie eine Datenreihe der Analysefirma Governance Advisors zeigt, nahm der Anteil von Schweizern in den höchsten Führungsgremien der Schweizer Grossunternehmen seit Anfang der 1990er-Jahre dramatisch ab.

Lag der Anteil im Jahr 1992 bei den im Börsenleitindex SMI geführten Firmen noch bei über 90 Prozent, beträgt er heute nur noch 47,8 Prozent. Seit 2021 schwankt die Quote zwischen 45 und 49 Prozent. Der Anteil konnte sich halten, weil auch Manager mit doppelter oder dreifacher Staatsbürgerschaft statistisch den Schweizern zugerechnet werden. Würde man sie dem Herkunftsland zuordnen, wäre der Anteil der Schweizer deutlich tiefer – vielleicht noch bei 20 Prozent.

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Beim Technologiekonzern ABB etwa hat nur Präsident Peter Voser (67) Schweizer Wurzeln. Er ist hier geboren und hat Schulen, Lehre und Studium in der Schweiz absolviert. Drei weitere Mitglieder des ABB-Verwaltungsrats sind Doppelbürger. Der Genfer Luxusgüterkonzern Richemont (Cartier, IWC etc.) zählt gerade mal zwei Doppelbürger im Verwaltungsrat. Viele ausländische Manager haben sich in den letzten Jahren einbürgern lassen. So etwa Roche-Verwaltungsratspräsident Severin Schwan (57), der bis 2022 Vizepräsident der Credit Suisse war.

Italiener und Amerikaner

Governance Advisors stellte eine weitere interessante Entwicklung fest: Die Verwaltungsräte der Schweizer Grosskonzerne sind zunehmend angelsächsisch geprägt. Das heisst, es sind Personen am Ruder, deren Unternehmensführung traditionell von angloamerikanischen Praktiken beeinflusst ist. Zu dieser Gruppe gehören US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Australier oder Iren. Sie haben inzwischen sogar die EU-Bürger überholt. Bei Novartis etwa ist der Präsident Italiener und Amerikaner, der CEO Amerikaner.

Wie kam es zu diesem Schwund an Schweizerinnen und Schweizern in den Verwaltungsräten? Guido Schilling (66) von der gleichnamigen Personalberatung erklärt dies mit der «globalen Ausrichtung der Schweizer Wirtschaft, die über die vergangenen drei Jahrzehnte deutlich zugenommen» habe. Viele grosse Unternehmen generierten den Hauptteil ihres Umsatzes im Ausland und benötigten im Verwaltungsrat entsprechende Kompetenzen und Erfahrungen. Es sei daher weniger von einem «Schwund an Schweizern» zu sprechen als vielmehr von einer Anpassung an die Anforderungsprofile global orientierter Firmen.

Die Globalisierung ist eine gängige Erklärung. Doch greift sie allein? Auffällig ist nämlich auch, dass Unternehmen mit einem starken Heimmarkt ebenfalls kaum mehr Schweizer im Verwaltungsrat zählen. Die Zurich Insurance Group, immerhin die Nummer 2 im Schweizer Sachversicherungsgeschäft, wird von einem Italiener und einem Luxemburger geführt. Bei der UBS, der mit Abstand grössten Bank der Schweiz, steht mit Colm Kelleher (67) ein Ire an der Spitze. Der Schweizer Anteil im Verwaltungsrat der Grossbank beträgt lediglich 25 Prozent.

Unternehmerpersönlichkeiten mit Gravitas

Die Struktur des Spitzengremiums widerspiegelt den Anspruch der UBS als eines global ausgerichteten Bankkonzerns. Doch spätestens seit der Übernahme der Credit Suisse stellt sich die Frage, ob diese internationale Ausrichtung noch zeitgemäss ist. Angesichts der tiefen Gräben zwischen Bern und Zürich darf man zumindest fragen, ob ein stärker in der Schweiz verankerter Verwaltungsrat nicht geeigneter wäre, die Interessen der Bank im aufgeheizten politischen Umfeld zu vertreten – zumal sich die beiden unabhängigen Vertreter mit Schweizer Pass, Patrick Firmenich (63) und Renata Jungo Brüngger (64), bisher nicht in die Debatte eingebracht haben.

Was der UBS fehlt, sind Unternehmerpersönlichkeiten mit Gravitas. Namen wie Suzanne Thoma (63), CEO von Sulzer, oder Simon Michel (48), Ypsomed-Patron und Mitglied des Nationalrats. Oder auch Typen wie der Uhrenmanager Georges Kern (59), der über politisches Gespür verfügt und sich bei den Grünliberalen engagierte. Interessant ist, dass die UBS nicht immer einen stark international geprägten Verwaltungsrat hatte. Im Jahr 2006 – dem besten Geschäftsjahr in der Geschichte der UBS – hatten neun von zwölf Verwaltungsratsmitgliedern einen klaren Bezug zur Schweiz.

Im Gremium befanden sich Persönlichkeiten wie Peter Spuhler (66), Ernesto Bertarelli (66) oder Peter Voser. Exzellent vernetzte Industrielle wie Spuhler oder Voser wären angesichts der heutigen Herausforderungen Gold wert. In die gleiche Kerbe haute diese Woche auch Bankenprofessor Alfred Mettler (66), der in den Tamedia-Zeitungen mehr Schweizer Vertreter vom Schlag eines Peter Spuhler forderte.

Thomas Jordan auf dem Sprung

Governance Advisors machte eine interessante Feststellung: Die Schweizer sind nicht etwa schlechter qualifiziert als die Ausländer, wie man vielleicht vermuten könnte. Zieht man den Ausländern die durch ihre Herkunft gegebene internationale Erfahrung ab, sind ihre Fähigkeiten und Kompetenzen nicht besser als jene der Schweizer.

Vielleicht kommt es in den Chefetagen zu einem Umdenken. Kandidaten für Spitzenämter gibt es durchaus. Thomas Jordan (62), der frühere Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, sitzt seit diesem Jahr im Verwaltungsrat der Zurich. In der Zürcher Finanzszene gilt es als ausgemachte Sache, dass er den jetzigen Zurich-Präsidenten Michel Liès schon bald ablösen könnte.

Ob Verwaltungsräte künftig wieder schweizerischer werden, sei schwer vorherzusagen, sagt Guido Schilling. «Der aktuelle Globalisierungs-Backlash kann zu einer stärkeren Betonung der lokalen Verankerung führen», meint er. Gleichzeitig bleibe die Schweizer Wirtschaft international ausgerichtet. Tendenziell sei daher eher mit einer moderaten Stabilisierung als mit einer klaren Rückentwicklung zu stärker schweizerisch besetzten Gremien zu rechnen.

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