Andrea Orcel – der erfolgreichste Banker der Eurozone
«Ich verstehe die UBS»

Der erfolgreichste Banker der Eurozone über Polit-Frust, Commerzbank-Übernahme – und zu harte Vorschriften für die UBS.
Publiziert: 15.09.2025 um 19:03 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2025 um 19:04 Uhr
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Seit Andrea Orcels Antritt hat sich der Kurs der Unicredit verachtfacht.
Foto: Francesca Volpi / Bloomberg

Darum gehts

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Dirk Schütz
Bilanz

Der 38. Stock im Unicredit-Turm in Mailand, ein heisser Sommertag, der Blick geht weit in die Lombardei – und ein kämpferischer Bankchef. Seit vier Jahren führt der Ex-UBS-Investmentbanking-Chef Andrea Orcel die italienische Grossbank Unicredit, die sich als einziges Finanzinstitut wirklich paneuropäisch nennen darf – Banken in 13 Ländern gehören dazu, von der HypoVereinsbank in Deutschland bis zum Marktführer in Kroatien. Orcel würde gern weiter expandieren – doch die Politik bremst, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz.

Sind Sie der einzige europäisch denkende Banker?
Andrea Orcel:
Ich bin definitiv ein Banker, der an das immense Potenzial und die Notwendigkeit eines vereinten Europas glaubt: wirtschaftlich, sozial, finanziell und politisch. Ein wirklich geeintes Europa wäre in der Lage, sich gegenüber den USA und China zu behaupten, enormen Wohlstand und Chancen für seine Bürger zu schaffen und unsere Grundsätze und Werte zu verteidigen, einschliesslich des Rechts auf unsere Differenzen innerhalb Europas.

Alle Regierungschefs sprechen vom Draghi-Bericht, der eine engere Kapitalmarktunion als Gegenkraft zu den US-Banken fordert. Unicredit will diese Konsolidierung vorantreiben – wird allerdings von der Politik ausgebremst.
Als ich zu Unicredit kam, haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Bank für Europas Zukunft zu sein. Aber wir erleben politische Einmischung: Die Regierungen versuchen aktiv, dieses Zusammenwachsen zu verhindern. Das ist ernüchternd und frustrierend.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

Was sind die Gründe dafür?
Die Kluft zwischen der Rhetorik und der Realität ist nicht neu. Neu ist, dass die Politik interventionistischer und protektionistischer geworden ist. Sie wird jetzt von Erwägungen geleitet, die sowohl die nationale als auch die europäische Wirtschaft schwächen, und das zu einer Zeit, in der wir sie dringend stärken müssen. Wir sehen ein Erstarken der politischen Kräfte an den Rändern. Diese Kräfte sind sehr viel protektionistischer als die Parteien in der Mitte. Die Regierungen passen sich an diese veränderte Dynamik an. In unseren bisherigen Verhandlungen hat nur ein Land die EU-Regeln wirklich akzeptiert.

Welches?
Griechenland. Wir haben dort 20 Prozent der Alpha Bank übernommen und wurden von allen willkommen geheissen: von der Bank, der Zentralbank, der Regierung und der öffentlichen Meinung. In Griechenland lautet die Botschaft der Verantwortlichen: Danke, dass ihr hier investiert.

Selbst die Konsolidierung in den Heimatmärkten gerät ins Stocken, es sei denn, es gibt Notsituationen wie in der Schweiz mit der Credit Suisse. Katalonien blockiert eine Übernahme von Sabadell durch die baskische BBVA mithilfe der spanischen Regierung. Hier in Mailand wehren sich die Lega und die Regierungschefin in Rom gegen einen Verkauf der Banca Popolare di Milano (BPM), wie Sie gerade schmerzlich erfahren mussten.
Die Konsolidierung stagniert nicht, sie ist auf dem Rückzug. Wir bewegen uns auf eine Situation zu, in der viele für eine stärkere Zersplitterung und geringere Effizienz eintreten, statt für eine Bankenunion zur Stärkung der industriellen Entwicklung. Das ist bedauerlich. Es wird den langfristigen Erfolg und Wohlstand Europas beeinträchtigen.

Unicredit hatte eine Übernahmeofferte für die BPM abgegeben. Am 21. Juli zogen Sie das 15-Milliarden-Euro-Angebot zurück. Warum?
Letztlich hatten wir keine andere Wahl. In Italien gibt es die sogenannte «Golden Power Rule», welche es der Regierung ermöglicht, eine Übernahme zu blockieren. Bisher wurde sie nur angewendet, wenn ausländische Unternehmen ein italienisches Unternehmen kaufen wollten und ein eindeutiges Risiko für die nationale Sicherheit bestand. Jetzt wurde sie auf Ersuchen von BPM auch in unserem Fall aktiviert. Leider bedeutete dies, dass wir nicht die Möglichkeit hatten, den Aktionären von BPM unsere Argumente für den für sie vorteilhaften Zusammenschluss vorzutragen.

Wie lautete die Begründung?
Die genauen Motive müssen Sie bei der Regierung erfragen. Uns wurde gesagt, dass wir eine internationale Bank sind, die sich de facto in den Händen von Nicht-EU-Aktionären befindet – Blackrock, J.P. Morgan, Capital, Fidelity, Norges oder UBS. Uns wurde gesagt, dass unsere Bank in Russland, die wir eingegrenzt und auf fast null geschrumpft haben, Risiken für die italienischen Ersparnisse birgt. Viele dieser Bedenken sind faktisch nicht korrekt.

Klingt nach reiner Besitzstandswahrung.
Die Anwendung dieser Regel wurde von der EU für rechtswidrig erklärt. Auch das zuständige italienische Gericht entschied grösstenteils zu unseren Gunsten. Dennoch blieb die Ungewissheit bestehen, es drohte eine lange juristische Auseinandersetzung. So zogen wir unser Angebot zurück.

Der Unicredit-Aktie hat das nicht geschadet – der Aktienkurs ist auf Rekordniveau.
Wir haben immer gesagt, dass Übernahmen nur ein Instrument in unserem Werkzeugkasten sind, nicht das wichtigste Instrument und noch weniger ein Ziel an sich. Die Stärke und das Wachstum von Unicredit beruhen auf dem Kerngeschäft und der Umsetzung des strategischen Plans. Alles andere ist ein «Nice-to-have». Deshalb konnten wir das 17. Rekordquartal in Folge verzeichnen und sind aus Sicht der Börse in unserer Peer Group die Bank mit der höchsten Wertschöpfung in Europa: Der Kursanstieg in den letzten viereinhalb Jahren liegt bei fast 800 Prozent. Im Jahr 2021 betrug unser Gewinn 1,5 Milliarden Euro, letztes Jahr waren es 9,3 Milliarden. Wir haben gerade unsere Prognose für dieses Jahr auf einen Gewinn von 10,5 Milliarden angehoben. In den letzten drei Jahren haben wir 26 Milliarden an unsere Aktionäre ausgeschüttet und werden in den nächsten drei Jahren mehr als 30 Milliarden Euro zurückzahlen. Unsere Marktkapitalisierung ist auf mehr als 100 Milliarden Euro gestiegen.

Von einer solchen Wertsteigerung kann die UBS nur träumen.
Ich wünsche meinem alten Arbeitgeber alles Gute. Die Ausgangslage ist anders. Wir sind eine paneuropäische Geschäftsbank, die UBS ist ein globaler Vermögensverwalter mit einer fokussierten Investmentbank.

Dies sollte eigentlich eine höhere Bewertung der UBS ermöglichen ...
Die Debatte und die Umsetzung der Eigenkapitalanforderungen haben der UBS sicherlich nicht geholfen.

Ist sie gerechtfertigt?
Ich bin nur ein Beobachter von aussen, aber aus meiner Sicht hat die UBS die Credit Suisse unter bestimmten Bedingungen übernommen und wurde als Retterin des Landes aus einer Notlage betrachtet. Ich kann verstehen, dass die UBS nicht akzeptieren will, dass die Voraussetzungen, unter denen sie das Geschäft abgeschlossen hat, im Nachhinein geändert werden.

Wie gravierend sind denn die zusätzlichen Kapitalanforderungen bei der UBS?
Schwerwiegend.

Der Streit dreht sich vor allem um die Kapitalisierung der Auslandstöchter der UBS. Diese sollen neu mit 100 Prozent Eigenkapital unterlegt werden. Begründet wird diese Forderung mit dem hohen Auslandsanteil am Geschäft der UBS. Unicredit hat ebenfalls einen sehr hohen Anteil im Auslandsgeschäft – über 60 Prozent. Müssen Sie Ihre Auslandsbeteiligungen mit 100 Prozent unterlegen?
Wir haben eine andere Struktur. Wir haben in jedem Land, in dem wir tätig sind, eine Bank. Jede von ihnen ist so kapitalisiert, als wäre sie eine eigenständige Bank in diesem Land, und darüber hinaus sind wir als Gruppe für sie verantwortlich.

Als wichtige systemrelevante Bank wird Unicredit von der Europäischen Zentralbank (EZB) überwacht. Die Finma wird von Stefan Walter geleitet, der zuvor für die Bankenaufsicht der EZB zuständig war. Das bedeutet, dass er für die Schweiz strenge Regeln fordert, die er in der Eurozone nicht gefordert hat.
Zu den Details kann ich nichts sagen. Grundsätzlich geht es um die Gesamtkapitalisierung auf Gruppenebene und die Fähigkeit, alle Geschäfte und Tochtergesellschaften unter den meisten Umständen zu unterstützen. Das ist entscheidend für die finanzielle Bewertung einer Bank.

Wie ist die Situation bei der Commerzbank?
Die Commerzbank ist eine Beteiligung. Wir halten direkt 20 Prozent des Kapitals und haben Zugriff auf weitere 10 Prozent.

Das Management der Commerzbank sträubt sich, CEO Bettina Orlopp nennt die Situation «schwierig».
Wir haben unsere Position in der Commerzbank von Anfang an sehr deutlich gemacht. Wir sind genau dort, wo wir gesagt haben, dass wir mit unserer Beteiligung sein werden, und mit Ausnahme des letzten Teils der Aktienumwandlung werden wir dort auch vorerst bleiben. Aufgrund unserer Positionierung werden wir uns gut entwickeln, wenn sie sich gut entwickeln. Solange das der Fall ist, ist das für uns in Ordnung. Wir haben uns bisher sehr respektvoll verhalten, sowohl bei unserem Engagement als auch dadurch, dass wir bei der Aktionärsversammlung nicht abgestimmt und auch nicht um eine Vertretung gebeten haben.

Wie ist der Kontakt?
Einigermassen konstruktiv, aber nur in unserer Rolle als wichtiger Investor. Wir tauschen uns mit dem Management nach jedem Quartalsergebnis aus. Sie wissen genau, was wir als grösster Einzelaktionär schätzen und worüber wir uns Sorgen machen.

Es heisst immer, dass unfreundliche Übernahmen bei Banken sinnlos sind, weil die Schlüsselpersonen gehen.
Es ist normal, dass Leitung und Führungskräfte zögern, weil sie persönlich bei einer Übernahme viel zu verlieren haben. Wir alle haben jedoch die treuhänderische Pflicht, das Beste für unsere Institution und unsere Stakeholder zu tun. Daher gibt es kein wirklich freundliches oder unfreundliches Vorgehen. Es gibt Transaktionen, die wertsteigernd sind, und solche, die nicht wertsteigernd sind. Das sollte die Grundlage für Entscheidungen sein.

Der Kurs der Commerzbank-Aktie hat sich seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt.
Der Aktienkurs wird zum grossen Teil durch Übernahmespekulationen und die begrenzte Liquidität getrieben. Als wir in einem transparenten Verfahren 4,5 Prozent der Aktien vom deutschen Staat kauften und so unsere Beteiligung auf 10 Prozent erhöhten, wurde die Commerzbank mit einem deutlichen Abschlag gegenüber dem Sektor gehandelt. Heute wird sie mit einem deutlichen Aufschlag gehandelt. Es wurden Massnahmen zur Verbesserung der Performance ergriffen, aber diese allein reichen nicht aus, um die aktuelle Bewertung zu rechtfertigen.

Der deutsche Staat ist immer noch mit zwölf Prozent an der Commerzbank beteiligt. Sie hatten auf einen Regierungswechsel gehofft, aber der hat nicht viel gebracht: Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz predigt zwar in Sonntagsreden die europäische Bankenunion, hat sich aber klar gegen einen Verkauf der Commerzbank an Unicredit ausgesprochen. Nach derzeitigem Stand würde ein Verkauf des Staatsanteils fast fünf Milliarden Euro in die klammen Staatskassen spülen.
Es steht mir nicht zu, die Position der deutschen Regierung zu kommentieren. Generell bin ich der Meinung, dass Regierungen keine natürlichen Eigentümer von Banken sind, und wenn sie gezwungen sind, einzugreifen, sollten sie so schnell wie möglich aussteigen, vor allem, wenn sie auch auf einem Gewinn sitzen, der den Steuerzahlern zugute käme. Das Problem ist, dass die Politik heute einen weitaus interventionistischeren Ansatz verfolgt als früher. Ich hoffe, dass wir irgendwann wieder zu einer freien Marktwirtschaft zurückkehren werden, die innerhalb der klar festgelegten EU-Vorschriften ohne ungebührliche politische Einmischung funktioniert.

Ist es nicht enttäuschend, wenn selbst ein konservativer Bundeskanzler, der lange Zeit für Blackrock gearbeitet hat, gegen die freie Marktwirtschaft ist?
Ich glaube nicht, dass es hier so sehr um einzelne Personen geht, sondern eher um einen Wandel hin zu Etatismus und Protektionismus. Wir hoffen, dass sich mit der Zeit und mit Geduld Fairness und Vernunft durchsetzen werden, dass ein konstruktiver Dialog beginnt und dass Diskussionen über die Vorzüge eines für Deutschland, seine Bevölkerung und seine Aktionäre sehr vorteilhaften Geschäfts beginnen können. Vorerst haben wir vollen Zugriff auf unseren 30-prozentigen Anteil, der unseren Aktionären bereits beträchtliche finanzielle Erträge eingebracht und einen positiven Wandel in der Commerzbank gefördert hat. Wir sind geduldig und haben Zeit.

Stehen Sie in Kontakt mit der Regierung?
Ich habe deutlich gemacht, dass ich jederzeit bereit bin, mich mit der Regierung zu treffen. Wir haben auch den neuen Bundeskanzler und den neuen Finanzminister angeschrieben, so wie wir es auch bei ihren Vorgängern getan haben, sodass sie über den Stand der Dinge genau informiert sind. Das gilt auch für den Aufsichtsrat und den Vorstand der Commerzbank.

Wie lautete die Antwort?
Es gab eine Zeit lang keine Antwort, dann eine kurze Antwort, in der es hiess, dass dies etwas ist, das direkt mit dem Managementteam der Commerzbank geklärt werden sollte.

Wie wichtig ist die Übernahme der Commerzbank?
Sie kann für die Beteiligten auf beiden Seiten grossen Mehrwert bringen, die Bankenunion vorantreiben und Deutschland und die EU stärken. Die Eigenkapitalkonsolidierung unseres Anteils an der Commerzbank bietet unseren Aktionären eine Rendite von über 20 Prozent auf das eingesetzte Kapital. Wir haben keine Nachteile zu befürchten und können daher abwarten und beobachten, wie sich die Commerzbank im Laufe der Zeit entwickelt.

Sind Sie immer noch zuversichtlich, dass die Übernahme zustande kommt?
Die Vorteile für die Industrie, die Wirtschaft, die Kunden und die Menschen sind unbestreitbar. Ich kann nur hoffen, dass die Vernunft irgendwann über Eigeninteresse, Politik und Emotionen siegt. Sollte dies nicht der Fall sein, haben wir einen sehr starken und spannenden eigenständigen Plan, der unseren Aktionären weiterhin erstklassige Renditen bescheren wird.

Ihr Ruf in der Schweiz ist ausgezeichnet. Es gibt immer wieder Gerüchte, dass Sie zur UBS zurückkehren würden.
Ich habe meine Arbeit bei der UBS sehr genossen. Ich habe dort immer noch viele Freunde und Kollegen, die ich sehr schätze. Und die Schweiz war sehr gut zu mir und meiner Familie. Doch meine Aufgabe bei Unicredit füllt mich vollständig aus.

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