100-Stunden-Woche und 70’000 Franken Jahreslohn – ist das legal?
Zürcher Start-up-Chefs verteidigen irre Jobausschreibung

Das Tech-Start-up Forgis im Raum Zürich schaltet ein irres Jobangebot: 100-Stunden-Woche und 70’000 Franken Jahreslohn. Jetzt rechtfertigen sich die Gründer. Doch ist das legal? Blick klärt mit Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolph von der Uni Zürich auf.
Publiziert: vor 37 Minuten
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Aktualisiert: vor 3 Minuten
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Das Zürcher Tech-Start-up Forgis wurde erst im Juli gegründet – und hat schon 4,5 Millionen Dollar an Investitionen eingeworben.
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Darum gehts

  • Schweizer Start-up sucht Mitarbeiter für 80–100 Stunden pro Woche
  • CEO rechtfertigt Konditionen als Start-up-Leben im Silicon-Valley-Style
  • Forgis erhielt 4,5 Millionen US-Dollar in 36-Stunden-Finanzierungsrunde
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Robin WegmüllerRedaktor Wirtschaft

Ein irres Linkedin-Jobangebot sorgt derzeit für Aufsehen. Das frisch gegründete Tech-Start-up Forgis mit Sitz in Schlieren ZH ist auf der Suche nach Verstärkung. Unter anderem braucht es einen Marketingchef und KI-Ingenieure. Statt mit den Vorzügen eines Start-ups zu locken, heisst es in der Ausschreibung: Jahresgehalt von 70’000 Franken bei einer Arbeitswoche von 80 bis 100 Stunden. Ein dürftiger Stundenlohn. «Ein paar Sonntage frei» sind netterweise inklusive. 

Gegenüber Blick rechtfertigt nun Federico Martelli, CEO von Forgis, die Konditionen. «Wir suchen derzeit Gründungsmitglieder, keine Mitarbeiter», erklärt Martelli. «Die Gründer arbeiten je nach Intensität der Woche 80 bis 100 Stunden. Ich glaube, es ist legal, meine Zeit so zu verbringen, wie ich es möchte.» Von den neuen Mitgliedern wird erwartet, dass sie mehr als in einem normalen Job arbeiten, aber nicht so viel wie die Gründer selbst.

Oder wie es Martelli ausdrückt: «Das ist das Leben in einem Start-up, Silicon-Valley-Style. Wenn jemand das nicht möchte, zwingen wir niemanden, sich zu bewerben.»

Tausende Bewerbungen

Die Arbeitszeit scheint viele nicht abzuschrecken. «Wir erhalten zwischen Hunderten und Tausenden von Bewerbungen für eine Stelle, je nachdem, wie lange wir die Anzeigen online lassen», meint der CEO zu Blick. Nach vier Tagen sind die Linkedin-Ausschreibungen heute Freitag geschlossen. Martelli möchte alle Bewerbungen prüfen. «Es ist Zeit, welche jemand auf der anderen Seite aufwendet, und das respektieren wir.»

Gründe für das grosse Interesse? Neben dem Lohn übernimmt das Start-up die Miete für die Unterkunft in Schlieren ZH. Zudem gibt es Aktienanteile, «die bereits einen Wert von mehreren Hunderttausend Franken haben und weiter steigen», wie Martelli behauptet. 

Was meint das Arbeitsrecht?

Und trotzdem: Das Schweizer Arbeitsgesetz sieht je nach Branche und Tätigkeit eine maximale wöchentliche Arbeitszeit von 45 bis 50 Stunden vor. «Damit ist klar, dass eine Arbeitszeit von gegen 100 Stunden eine eklatante Verletzung dieser gesetzlichen Vorgaben darstellt», stellt Roger Rudolph (55), Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich, gegenüber Blick klar.

Dabei spiele es keine Rolle, wie hoch der Lohn sei. «So ein hohes Pensum und ständige Sonntagsarbeit erinnern an arbeitsrechtliche Wildwestmethoden.» Es seien sogar strafrechtliche Konsequenzen denkbar, nämlich bei einer systematischen Verletzung der Arbeitszeitvorschriften.

Die Rechtfertigung der Ausschreibungen überrascht den Rechtsexperten nicht. Denn: «Wenn es sich gar nicht um Arbeitsverhältnisse handelt, sondern um eine Beteiligung als Gesellschafter, dann spielen die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften oft keine Rolle.» Die Frage sei allerdings, ob das tatsächlich der Fall ist oder ob es sich nicht nur um einen Versuch handle, aus dem Arbeitsrecht zu flüchten.

Aus der Ferne kann das kaum zuverlässig beurteilt werden. Die Ausschreibung ist in diesem Punkt wenig aufschlussreich. «Wenn es sich tatsächlich nur um eine Gründerstellung handeln soll, hätte ich erwartet, dass dies klar und eindeutig aus der Jobbeschreibung hervorgeht. Das ist aber nicht der Fall», meint Rudolph. Und: «Wenn auf Linkedin eine solche Jobausschreibung erfolgt, liegt für mich die Vermutung, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handeln soll, deutlich näher als eine angebliche Gründerstellung.»

Start-up profitiert von Millionen

Abschliessend kann die Rechtsfrage also nicht geklärt werden. Klar ist: Grundsätzlich ist das Start-up auf einem stark aufsteigenden Ast. Die Software des Gründer-Trios arbeitet mit KI-Agenten, die Produktionsprozesse in Echtzeit analysieren und optimieren. In einer ersten Finanzierungsrunde hat Forgis innerhalb von 36 Stunden 4,5 Millionen US-Dollar eingeworben. Es ist eine der schnellsten sogenannten Pre-Seed-Runden Europas. Gefeiert wurde auf der ETH-Polyterrasse, wo ein Roboter gegen Besucherinnen und Besucher Schach spielte.

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