Wenn man das erste Abfahrtstraining in Beaver Creek auf die Zeiten reduzieren würde, könnte man aus der Schweizer Optik sehr zufrieden sein – Marco Odermatt (28) meistert die verkürzte «Birds of Prey» vier Zehntel schneller als der Kanadier Brodie Seger (29), der als Zweitschnellster im Ziel abschwingt.
Mit dem Bündner Stefan Rogentin (30, 6. Rang) und dem Freiburger Alexis Monney (25, 10. Rang) klassieren sich in dieser Probe zwei weitere Schweizer in den Top-Ten. Doch dieses Ergebnis hat mehrere Haken. Odermatt hält fest, «dass ich ein Tor ausgelassen habe, ich habe ungefähr zehn Meter abgekürzt. In Anbetracht dieser Abkürzung müsste ich eigentlich einen grösseren Vorsprung haben.»
Österreicher poltert über Training
Für viel mehr Diskussionen als der Torfehler von Superstar Odermatt, geben aber die sehr grenzwertigen Bedingungen, bei der dieses Training ausgetragen wurde. Die Piste war aufgrund vom Neuschnee ein ordentliches Stück vom Optimalzustand entfernt. Und der Nebel führte nicht nur zu zahlreichen Unterbrechungen – kurz vor dem Start haben die Rennfahrer gemäss den Österreichern erfahren, dass im Fall von einem schweren Sturz kein Helikopter zur Unfallstelle fliegen kann.
«Als ich das gehört habe, war für mich klar, dass wir dieses Training nicht durchführen können. Dass der Start dennoch freigegeben wurde, ist meines Erachtens eine absolute Frechheit», poltert der Österreicher Stefan Eichberger (25), der von vielen Experten als nächster Abfahrts-Champion angepriesen wird. «Unvorstellbar, was passiert wäre, wenn sich bei dieser nicht vorhanden Bodensicht jemand schwer verletzt hätte».
Odermatt: «Bin froh, dass ich heil im Ziel bin»
Österreichs Teamleader Vincent Kriechmayr spricht nahezu identische Worte wie Eichberger aus. Stellt sich die Frage: Warum hat die Jury das Training bei diesen miesen Bedingungen durchgezogen? Die Antwort ist simpel: Die Wettervorhersagen sind für Beaver Creek in dieser Woche, mit Ausnahme vom Donnerstag, schlecht. Und gemäss Reglement kann ein Abfahrtsrennen nun einmal nur dann gestartet werden, wenn jeder Teilnehmer einen Trainingslauf bestritten hat.
Was sagt Grossmeister Odermatt zur Entscheidung von FIS-Renndirektor Markus Waldner, das Training für die Rettung des Rennens «durchzuwürgen»? «Es war unbestritten ein sehr schwieriges Training, ich bin froh, dass ich heil im Ziel bin. Aber wenn wir immer nur dann fahren würden, wenn alles zu 100 Prozent zusammenpasst, hätten wir pro Winter wahrscheinlich nicht mehr als vier Abfahrten. Und nach meinen Informationen wäre im Notfall ein Helikopter bereitgestanden.»
Erstes Abfahrtstraining für Hintermann nach Krebs
Der Berner Oberländer Abfahrts-Spezialist Lars Rösti (27) pflichtet seinem Teamleader bei: «Wir sind alle nach Beaver Creek angereist, um ein Rennen zu bestreiten. Und weil die Wettervorhersagen für den Mittwoch noch schlechter sind, war dieses durchgewürgte Training die einzige Möglichkeit, um eine wettkampfmässige Abfahrt zu retten. Zudem kann sich in einem Training ja jeder Rennfahrer selber lieb sein, wie viel Risiko er eingehen will.»
Fakt ist: Keiner der 76 Abfahrer hat sich in diesem umstrittenen Training verletzt. Der Zürcher Niels Hintermann hat sein erstes Weltcuptraining seit seiner Krebserkrankung vor 14. Monaten auf dem 27. Platz beendet. Die Wettervorhersagen deuten darauf hin, dass am Donnerstag in Beaver Creek der ersten Weltcup-Abfahrt im Olympiawinter nichts im Weg steht.