Darum gehts
Am Sonntag endet auf dem Brünig eine Ära. Seit 1969 ist Marcel Durrer (78) immer dabei. Zuerst als Zuschauer, dann 33 Jahre lang als Speaker. Nun führt die «Stimme des Brünigs» ein letztes Mal durch den Bergklassiker.
Blick trifft ihn drei Tage vor seiner Dernière. Durrer steht in der leeren Naturarena. «Hier habe ich einige verrückte Dinge erlebt», beginnt der gelernte Helikoptermechaniker zu erzählen. Über eine Geschichte schüttelt er bis heute den Kopf.
Abgespielt hat sie sich an einem 1. August. «Jemand zündete mitten in den Zuschauern eine Rakete. Als diese vom Himmel fiel, traf sie einen Mann an der Schulter.» Der Getroffene blieb ohne Verletzung, nur sein Hemd hatte ein Loch.
Premiere im Sägemehl als 40-Jähriger
Deutlich schmerzhafter endete der Tag für den Raketenzünder. «Auf dem Weg zum Ausgang wurde er von den anderen Zuschauern heftig geschubst. Es erinnerte mich an einen Spiessrutenlauf. Diese Bilder vergesse ich nie mehr.» Ebenfalls in seinem Hirn eingebrannt hat sich der Brünig-Schlussgang 1976.
Durrer sass in der zehnten Reihe, als sich Sepp Burch (Luzern) den prestigeträchtigen Titel sicherte. Neben ihm fieberte dessen Vater mit. «Er kam am Morgen an Stöcken. Nach der Entscheidung lief er ohne Stöcke hinunter ins Sägemehl. Mit Tränen in den Augen umarmte er seinen Sohn. Es war, als hätte sich vor meinen Augen eine Wunderheilung ereignet.»
17 Jahre später sass Durrer erstmals hinter dem Mikrofon. Das OK wählte ihn aus, weil er bereits damals fast alle Schwinger kannte – was er unter anderem seinen Funktionärstätigkeiten in der Innerschweiz zu verdanken hatte. In Berührung mit dem Nationalsport kam Durrer durch das Restaurant seiner Eltern in Alpnach OW. «Wir hatten viele Schwinger als Gäste.»
In die Zwilchhosen stieg Durrer nur ein einziges Mal. Als 40-Jähriger nahm er am klubinternen Schwingfest teil. «Ich wollte wissen, wie sich das anfühlt.» Durrer stellte dreimal und verlor drei Gänge. Deutlich wohler fühlte er sich hinter dem Mikrofon. Aber auch dort lief nicht immer alles reibungslos.
Wellenverbot auf dem Brünig
Einmal liess er sich von einigen Pfiffen irritieren. «Ich kritisierte das und teilte über die Lautsprecher mit, dass sich so etwas nicht gehört.» Kurz darauf wies ihn jemand darauf hin, dass die Pfiffe die Sanitäter auf einen medizinischen Notfall hinweisen wollten.
Sofort entschuldigte sich Durrer. «Für einen Notfall ist Pfeifen selbstverständlich erlaubt.» Ein striktes Verbot gilt hingegen für die Welle. Schuld daran sind die neuen Zuschauertribünen. «Wenn alle auf einmal aufstehen, könnte das zu gefährlichen Schwingungen führen und in einer Tragödie enden.»
Kampfrichterkritik nach Fauxpas
Nebst dem Wellenverbot musste Durrer die Zuschauer in den vergangenen Jahren auf etwas anderes ganz gezielt hinweisen. Und zwar, dass sie den Abfall selbst entsorgen sollen. «Teilweise glich die Arena am Montag einer Müllhalde. Da lagen unzählige Flaschen und sonstige Sachen herum.» Mittlerweile klappt es deutlich besser, weiss Durrer, der am Montagmorgen jeweils bei den Aufräumarbeiten mithilft.
Die Speaker-Legende selbst wurde einst von einem Kampfrichter zurechtgewiesen. Er rief einen Sieger aus, der seinen Gang noch gar nicht gewonnen hatte. Danach kam der Kampfrichter lachend auf Durrer zu und sagte: «Wann der Gewinner feststeht, sagen immer noch wir.»
Sein spezielles Mittel gegen Schluckauf
Dank seiner sympathischen und professionellen Art muss sich Durrer vor niemandem fürchten. Nur vor einer Sache hatte er immer Respekt: einem Schluckauf während des Schwingfests. Dagegen ist er mittlerweile gewappnet.
Eine Kellnerin verriet ihm einst ein «Gegengift»: Zucker mit Apfelessig. Seither hat Durrer bei jedem Einsatz ein Fläschchen Essig im Sack. So auch am kommenden Sonntag. «Ich werde es noch einmal richtig geniessen.» Im kommenden Jahr sitzt er dann wieder unter den Zuschauern. Auch in dieser Rolle wird er so einiges zu erzählen wissen.