Darum gehts
Blick: Beat Wettstein, würden Sie das Rad der Zeit gerne zurückdrehen?
Beat Wettstein: Nein. Was passiert ist, ist passiert – das Schöne und das Schlimme.
Seit 1990 gab es drei Todesfälle: 2003 starb Polizist Christian Schaller (†47) bei der Tour de Romandie, 2023 verunglückte Gino Mäder (†26) bei der Tour de Suisse und 2024 Muriel Furrer (†18) bei der WM in Zürich. Sind Velorennen gefährlicher geworden?
Nachdem Christian verunglückt war, habe ich gesagt: Ich höre auf. Meine 25 Buben – die Motorradfahrer der Sicherheitsstaffel – haben mich dann überzeugt, weiterzumachen. Ich bin nicht nur selbst bei der Polizei, sondern liebe auch Velorennen. Und ich versuche immer, es gutzumachen. Nun zu Ihrer Frage …
Gerne.
In der Sicherheitsstaffel der Rennen selbst ist vieles um Welten professioneller als früher. Als ich mit 30 anfing, trugen wir auf den Töffs Hemd, Krawatte und ein Gummi-Jäckchen. Null Schutz. Aber wir fuhren, was die Kisten hergaben. Als Sicherheitschef habe ich später sofort gesagt: «Jungs, die Tour de Suisse ist nicht unser Rennen, sondern jenes der Velofahrer.» Ich habe irgendwann nur noch Profis, oft Polizisten, in die Sicherheitsstaffel geholt. Ich will Leute, die Verantwortung tragen – am Abend um die Häuser ziehen liegt schon lange nicht mehr drin. Die Organisation, die Ausrüstung und die Abläufe sind viel professioneller als in den Neunzigern. Umso mehr traf mich der tödliche Töffunfall. Er kam aus dem Nichts.
Und wie ist es im Peloton?
Ich habe das Gefühl, dass der Druck auf die Rennfahrer grösser geworden ist. Erstens fahren sie viel schneller als früher, und zweitens wird mehr von ihnen verlangt. Sie geben immer das Letzte, auch wenn sie halb bewusstlos auf dem Velo sitzen. Sie treten Watt-Zahlen, bis es klöpft – auch wenn sie bereits im roten Bereich sind. Dadurch steigt das Risiko, weil sie weniger konzentriert sind.
Hat auch Gino Mäder zu viel riskiert?
Das werden wir nie wissen. Es gibt weder Fotos noch Videos oder Augenzeugen von seinem Unfall.
Was ist Ihr Gefühl?
Als Erstes will ich sagen: Was mit Gino passiert ist, hat mich enorm getroffen. Er war ein ganz toller Mensch. Ich erinnere mich, wie er 2021 in Andermatt gewonnen hat. Gino fiel mir im Ziel um den Hals. Wir kannten uns – auch die Familien.
Hätte man seinen Unfall verhindern können?
Fabian Cancellara hat mir zu seiner Aktivzeit immer gesagt: «Hör zu, Beat. Wir haben ein Teerband quer durch die Schweiz. Du musst dafür sorgen, dass mir nichts entgegenkommt oder die Strasse quert. Auch musst du schauen, dass nichts auf ihr liegt, das nicht da sein sollte. Und schliesslich solltest du mir alle grösseren Hindernisse anzeigen. Der Rest liegt an mir – ich muss schauen, dass ich auf dem Teerband bleibe.» Nach diesen Worten habe ich immer gehandelt.
Die Linkskurve am Albula, über die Gino hinausgeschossen ist, war kein grosses Hindernis.
Ich fuhr 15 Minuten vor dem ersten Fahrer an der Stelle vorbei und habe meinem Chauffeur gesagt: «Das ist auch so eine Scheisskurve.» Sie hatte keine Randleitlinie, und man sah nicht, wo der Teer aufhörte. Danach kam ein Bankett mit losem Gravel-Teer. Ich habe mir kurz überlegt, selbst die Linie mit einem Spray zu markieren.
Er war Kantonspolizist bei der Kantonspolizei Zürich und die letzten 20 Jahre als Verkehrsinstruktor tätig. Und er sorgt seit 1990 für die Sicherheit bei Velorennen in der Schweiz: Beat Wettstein (65). «Nun geniesse ich die Pension», sagt der Zürcher mit dem berühmten Schnauz. Aber ist das wirklich so? Ehefrau Klara sagt beim Besuch vom SonntagsBlick auf ihrem Pferdehof in Bassersdorf: «Kurz vor, während und auch Tage nach Velorennen ist Beat im Tunnel. Da muss man mit ihm über gar nichts anderes reden.» Zuletzt trafen Wettstein die Unfälle von Gino Mäder (†26) an der Tour de Suisse und Muriel Furrer (†18) bei der WM in Zürich besonders – er erlebt sie als Chef Streckenschutz hautnah mit. Wettstein ist dreifacher Vater und Präsident der Zürcher Pferdezuchtgenossenschaft.
Er war Kantonspolizist bei der Kantonspolizei Zürich und die letzten 20 Jahre als Verkehrsinstruktor tätig. Und er sorgt seit 1990 für die Sicherheit bei Velorennen in der Schweiz: Beat Wettstein (65). «Nun geniesse ich die Pension», sagt der Zürcher mit dem berühmten Schnauz. Aber ist das wirklich so? Ehefrau Klara sagt beim Besuch vom SonntagsBlick auf ihrem Pferdehof in Bassersdorf: «Kurz vor, während und auch Tage nach Velorennen ist Beat im Tunnel. Da muss man mit ihm über gar nichts anderes reden.» Zuletzt trafen Wettstein die Unfälle von Gino Mäder (†26) an der Tour de Suisse und Muriel Furrer (†18) bei der WM in Zürich besonders – er erlebt sie als Chef Streckenschutz hautnah mit. Wettstein ist dreifacher Vater und Präsident der Zürcher Pferdezuchtgenossenschaft.
Was ging durch Ihren Kopf, als Sie hörten, dass Mäder und Magnus Sheffield genau dort die Strasse verliessen?
(Überlegt.) Ich habe mir Vorwürfe gemacht. Aber das mache ich mir immer, wenn Unfälle passieren.
Mäders Familie sah das anders, und auch der Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft sprach die Organisation von aller Schuld frei – also auch Sie.
Auch ein Spray hätte Gino und Magnus nicht geholfen. Man hat anhand ihrer Reifenspuren deutlich erkennen können, dass sie in der Kurve geradeaus gefahren sind – sie sind völlig falsch angefahren.
Weshalb?
Ich weiss es nicht. Vielleicht gab es einen Windstoss … Jedenfalls stürzten sie nicht seitlich, sondern flogen direkt den Abhang hinunter. Es ist mir ein Rätsel, warum dies Gino passieren konnte. Er trainierte dort so oft und war im Rennen so weit hinten, dass er nichts hätte riskieren müssen. Vielleicht war er ausgepumpt. Oder er hat einfach zu viel gewollt und die Situation falsch eingeschätzt.
Zu diesem Urteil wird man wohl auch im Fall von Muriel Furrer kommen, obwohl die Umstände bei der WM verschieden waren.
Es war ein regnerischer Tag und das Licht deutlich schlechter als bei Gino. Dennoch war die Strasse runter nach Küsnacht in einem guten Zustand und nicht aussergewöhnlich rutschig.
Gleich ist, dass auch Furrer die Strasse auswendig kannte.
Sie wohnte in der Nähe, es war ihr Trainingsgebiet. Muriel fuhr unzählige Male auf dieser Strecke – bei deutlich gefährlicheren Bedingungen, weil im Normalfall Gegenverkehr herrscht.
Wäre es für Sie als Experte gut, wenn es von beiden Unfällen TV-Aufnahmen gäbe?
Die Unfälle selbst würde ich nicht gerne sehen. Aber die Auslösung, die Ursache der Stürze, hätte ich gerne gesehen. Vielleicht könnte man ja daraus etwas lernen. So aber werde ich mich immer fragen: Hätte es doch nicht etwas gegeben, das ich vorher hätte machen können?
Furrer prallte mit voller Wucht gegen einen Baum.
Wir hatten schon vor der WM entschieden, dass wir keine Zuschauer in diesem Wald haben wollten. Es hätten von überall Menschen unbemerkt auf die Strasse laufen können. Und ein Crash mit einem Athleten, der mit 90 km/h aus der Kurve geschossen kommt, wäre verheerend gewesen. Darum haben wir den ganzen Wald abgeriegelt.
Die Folge war, dass Furrer eineinhalb Stunden schwer verletzt im Wald lag, ohne dass sie jemand entdeckte. Ein Gedanke, der nicht nur für jeden Vater und jede Mutter brutal sein muss.
Mir tut das unglaublich leid, obwohl wir nicht wissen, ob es Muriel gerettet hätte, wenn wir sie früher gefunden hätten. Letztlich ist es einfach so, dass wir bei einem Velorennen nicht einen ganzen Wald einpacken können. Ein Restrisiko bleibt immer bestehen. Wenn man dies nicht will, muss man künftig auf einem Rundkurs fahren – dann können wir, wie in der Formel 1, praktisch jede Gefahrenstelle absichern.
Bei der Bergung und Rettung gibt es aber Verbesserungspotenzial. Einverstanden?
Nachdem wir vom Unfall erfahren hatten, funktionierte die Rettungskette – Sanität, Notarzt, Ambulanz, Rettungshelikopter – sehr gut! Trotzdem ziehen wir Lehren daraus. Bei der Tour de Suisse 2025 führen wir ein GPS-Tracking-System ein. Neu werden jedes Rennrad, die Töffs und alle Fahrzeuge in der Rennkolonne mit einem Sender ausgerüstet, damit wir die Fahrzeuge ständig orten können. Bleibt ein Fahrzeug stehen, löst das einen Alarm in der Zentrale aus, und wir prüfen, warum das so ist.
Sie sind 65 Jahre alt und werden von einigen als harter Hund mit weichem Herzen beschrieben.
Disziplin ist mir wichtig. Gleichzeitig versuche ich, ein offenes Ohr für alle zu haben. «Im Sinne des Chefs» würde ich den Führungsstil bezeichnen. Ich versuche, den Leuten die Problemerfassung und die Problemlösung aus meiner Sicht darzustellen und zu erklären. Somit bin ich nach der Etappe oft richtig stolz, wenn die Leute den Job hervorragend gelöst haben – oftmals sogar anders als ich angewiesen hatte, weil deren Problemlösung besser war. Und ich höre auf mein Bauchgefühl. Einmal habe ich jemanden von der Sicherheitsstaffel nach zwei Tagen heimgeschickt. Ich sagte ihm: «Danke für deinen Einsatz, aber das wird nichts. Ich will nicht nächste Woche an deine Beerdigung kommen.»
Stichwort Beerdigung. Waren Sie bei Mäders und Furrers Beisetzungen?
Bei Gino war ich am Memorial Ride und bei Muriel bei der Beerdigung. Beides war mir wichtig. Ich habe Muriels Familie angeboten, zu reden, falls sie das gewünscht hätten. Das war nicht der Fall, was für mich in Ordnung ist. Ich rechne es ihnen wahnsinnig hoch an, dass sie mir nie irgendeinen Vorwurf gemacht haben. Wenn die Staatsanwaltschaft – egal ob bei ihr oder bei Gino – zum Schluss gekommen wäre, dass wir fahrlässig gehandelt hätten, wäre ich sofort zurückgetreten.
Wie haben Sie diese Belastungen verarbeitet?
So, wie bei der Polizei, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Ich habe mit Berufskollegen, die längst Freunde sind, länger darüber gesprochen. Daheim tu ich das nie – das würde meiner Frau nur Angst machen und sie belasten. Du diskutierst ja auch nicht mit einem Metzger, wenn du ein Fenster flicken willst.
Sie sind jetzt 65. Wie lange machen Sie noch weiter?
Nun bin ich im dritten Jahr für den Streckenschutz zuständig. Mein Team umfasst noch sechs Personen und nicht mehr fast 40. Solange ich das Vertrauen der Direktion spüre, gute Leute im Team habe und die Gesundheit stimmt, mache ich noch fünf Jahre weiter. Wenn es mal nicht mehr so sein sollte, kümmere ich mich noch mehr um die Freiberger Pferde, die meine Frau und ich auf dem Hof halten und züchten.
Vom 12. bis 22. Juni ist die Schweiz im Rad-Fieber: Die Tour de Suisse 2025 rollt durchs Land. Erst sind die Frauen dran (12. - 15.), dann übernehmen die Männer (15. - 22.). Hier findest du Höhenprofile und Etappenpläne zu den vier Teilstücken der Frauen, die über total 500 Kilometer Länge und 7’000 Höhenmeter führen. Und hier gibts die acht Etappen der Männer, die total 1’300 Kilometer und über 20’000 Höhenmeter abspulen.
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