Herr Oberhänsli, sagt Ihnen der Name Nick Kaufmann etwas?
Paul Oberhänsli: Nein, wer ist das?
Der Schweiz-Amerikaner soll 1883 Radball erfunden haben.
Seinen Namen wusste ich nicht mehr, aber der Legende nach soll ihm damals ein Hund vors Rad gelaufen sein, und weil er weder stürzen noch das Tier verletzen wollte, beförderte er es mit seinem Vorderrad sanft zur Seite. Dies soll die Geburtsstunde der Sportart gewesen sein.
Radball – ist das nicht eine seltsame Sportart?
Es ist sicherlich eine spezielle Sportart, weil man mit einem Velo und einem Ball Sachen macht, die eigentlich unmöglich sind.
Wie wurde aus Ihnen ein Radballer?
In Mosnang war man früher entweder im Skiklub, im Schützenverein oder man wurde eben Radballer, weil unser Dorf eine Hochburg mit einer langen Geschichte war. Früher trainierten sie noch im Säli des Restaurants Freihof und mussten dort um einen Ofen rumspielen. Und weil es während des Zweiten Weltkriegs keine Pneus mehr gab, wickelten sie kurzerhand Gartenschläuche um die Räder. Da wir uns keine Ski leisten konnten, zwei meiner älteren Brüder aber schon Radballer waren, war es nur logisch, dass ich auch einer wurde.
Wie viele Geschwister waren Sie?
Wir waren insgesamt 16, zehn Buben und sechs Meitli. Zwei davon kannte ich aber gar nicht, weil sie schon früh verstorben waren.
Bei so vielen Kindern gab es wohl im Hause Oberhänsli keinen Luxus, oder?
Nein. Wir waren nie richtig in den Ferien, höchstens mal bei einer Gotte. Das Highlight war oft das Motocross von Frauenfeld. Dann lud der Vater alle Kinder, die im Jeep Platz hatten, ein. Manchmal sassen wir zu zwölft im Auto … Trotzdem hatte ich eine wunderbare Kindheit und erlebte Sachen, die heute undenkbar sind.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Ich habe schon mit 15 gelernt, Auto zu fahren. Ich kann mich noch daran erinnern, dass mein Vater, der ein Baugeschäft besass, eines Abends mal müde war und er mich deshalb bat, mit dem Auto ein paar Zementsäcke auszuliefern. Bei der Rückfahrt stand vor dem Restaurant Schäfli ein Polizist und bat mich, ihn ins Dorf runter mitzunehmen. Also nahm er auf dem Beifahrersitz Platz, und ich fuhr ihn als 15-Jähriger nach Hause. Heute unvorstellbar. Auch mit meinem Nachbarn Georg Meile erlebte ich schon als Kind viel.
Georg Meile wurde später Ihr Radball-Partner.
Als ich 14 war, fuhr ich zusammen mit Georg mit unseren Töffli über den Gotthard ins Tessin. Das war herrlich. Oder wir vom Hinterdorf spielten oft Krieg gegen die vom Unterdorf, zu denen unter anderem der Sohn von Nationalrat Walter Hagmann dazugehörte. Da ging es jeweils hart zur Sache, da wir auch Steinschleudern einsetzten.
12 Mal Schweizer Meister, 10 WM- und 7 EM-Medaillen: Paul Oberhänsli zählt den grössten Schweizer Radballern der Geschichte. Die Partner des Goalies waren Georg Meile und Jörg Osterwalder. Der gelernte Maurer arbeitete 50 Jahre für ein Baugeschäft in Oberbüren SG, 25 Jahre davon auf dem Bau und die anderen 25 Jahre im Aussendienst. Oberhänsli ist 76 Jahre alt und lebt mit seiner Partnerin in Niederwil SG.
12 Mal Schweizer Meister, 10 WM- und 7 EM-Medaillen: Paul Oberhänsli zählt den grössten Schweizer Radballern der Geschichte. Die Partner des Goalies waren Georg Meile und Jörg Osterwalder. Der gelernte Maurer arbeitete 50 Jahre für ein Baugeschäft in Oberbüren SG, 25 Jahre davon auf dem Bau und die anderen 25 Jahre im Aussendienst. Oberhänsli ist 76 Jahre alt und lebt mit seiner Partnerin in Niederwil SG.
1970 nahmen Sie und Meile erstmals an einer WM teil und gewannen auf Anhieb Bronze. Welche Erinnerungen haben Sie noch daran?
Ursprünglich hatten sich die Brüder Tschopp für die WM qualifiziert, doch weil kurz davor ihr Vater verstorben war und sie sein Velogeschäft übernehmen mussten, sprangen wir für sie ein. Mein Velo war damals etwa 15 Jahre alt und so rostig, dass ich es mit Isolierband umwickeln musste.
An dieser WM in der Tschechoslowakei trafen Sie auch erstmals auf die legendären Pospisil/Pospisil.
Wir führten gar 1:0, doch verloren schliesslich 1:13. Nach unserer Rückkehr gab es in Mosnang einen grossen Empfang. Die Musik lief voraus und wir hinterher, vor sehr vielen Menschen.
Heute unvorstellbar, aber damals war Radball in der Schweiz sehr populär.
In Mosnang gab es keine grosse Halle. Wenn hier der Europacup stattfand, wurde die Abbundhalle der Zimmerei ausgeräumt. Die konnten dadurch jeweils eine Woche lang nicht arbeiten. Da kamen stets rund 800 Zuschauer, und eine der Barmaids war Maria Walliser. Unser Fanklub wurde übrigens nach unserem Karriereende zu dem von Maria.
Oft fand die Radball-WM hinter dem Eisernen Vorhang in der Tschechoslowakei statt. Was haben Sie dort alles erlebt?
Vieles (lacht). Das war noch richtig der wilde Osten. An der Grenze mussten wir uns ein paarmal bis auf die Unterhosen ausziehen. Doch wenn wir dort ankamen, wurden wir immer wie Könige behandelt. Die richtigen Könige waren aber Pospisil/Pospisil, das waren Volkshelden. Und die haben uns einige Male gerettet, wenn wir mal wieder einen Seich gemacht haben.
Wie meinen Sie das?
Naja, wir wurden in jener Zeit drei-, viermal von der Polizei abgeführt.
Warum?
Einmal liessen wir an einer Geburtstagsfeier ein paar Raketen ab, und ein anderes Mal fuhren wir leicht alkoholisiert Auto. Es war eine schmale Strasse, die von einem Restaurant Richtung Brünn runterführte. Als uns ein Auto entgegenkam, mussten wir rückwärts wieder den Berg hochfahren, weil man sich nicht kreuzen konnte. Doch wir waren rückwärts hoch deutlich schneller als der andere vorwärts. Das irritierte oben einen Polizisten, und wir mussten zum Alkoholtest antraben. Aber alles halb so wild, wir haben dann jeweils vom Polizeiposten aus die Pospisils angerufen, und dann konnten wir immer nach einer Stunde wieder ohne Strafe gehen.
Wie wars in der DDR?
Schlimm. Einmal nächtigten wir in Halle im Hotel Post. Als es anfing zu regnen, mussten wir im Zimmer den Schirm aufmachen, weil es richtig reintropfte. Ein anderes Mal gab es abends ein Fest, an dem wir zweimal eine Runde Schnaps spendierten. Danach kam der Wirt auf mich zu und sagte mir, ich solle das jetzt sein lassen, weil er keinen Schnaps mehr hätte.
Wer sind die Grössten der Geschichte?
Das sind eindeutig die Gebrüder Jan (80) und Jindrich Pospisil (83). Die Tschechen wurden 20-mal Welt- und 12-mal Europameister.
Wer sind die erfolgreichsten Schweizer?
Der erfolgreichste Radballer war Walter Osterwalder (Vater von Jörg), der zwischen 1946 und 1956 siebenmal Weltmeister wurde. Peter Kern und Marcel Bosshart holten in den 90ern viermal die WM-Krone. Den letzten Schweizer WM-Titel gab es 2012 durch Roman Schneider und Dominik Planzer.
Wie steht es heute um den Radballsport in der Schweiz?
Noch immer gibt es jedes Jahr eine WM, die 88. Austragung startet am 7. November in Göppingen (De). Das legendäre Olma-Turnier (der grösste Radball-Event der Schweiz) fand 2023 zum 75. und letzten Mal statt.
Wer sind die Grössten der Geschichte?
Das sind eindeutig die Gebrüder Jan (80) und Jindrich Pospisil (83). Die Tschechen wurden 20-mal Welt- und 12-mal Europameister.
Wer sind die erfolgreichsten Schweizer?
Der erfolgreichste Radballer war Walter Osterwalder (Vater von Jörg), der zwischen 1946 und 1956 siebenmal Weltmeister wurde. Peter Kern und Marcel Bosshart holten in den 90ern viermal die WM-Krone. Den letzten Schweizer WM-Titel gab es 2012 durch Roman Schneider und Dominik Planzer.
Wie steht es heute um den Radballsport in der Schweiz?
Noch immer gibt es jedes Jahr eine WM, die 88. Austragung startet am 7. November in Göppingen (De). Das legendäre Olma-Turnier (der grösste Radball-Event der Schweiz) fand 2023 zum 75. und letzten Mal statt.
1979 trat Georg Meile zurück, und Jörg Osterwalder wurde Ihr neuer Partner.
Über Jörg rede ich nicht. Nur so viel: Er war ein superguter Radballer, doch abseits des Sports hatten wir es nicht gut miteinander.
Die WM 1985 in St. Gallen hätte das Highlight werden sollen, doch kurz davor war Osterwalder für zwei Monate gesperrt worden.
Das war beim Europacup in Grabs. Im Spiel gegen Deutschland flippte er aus und warf einem Deutschen das Velo nach. Doch das Ganze war ein Witz, weil es bei anderen Vorfällen keine Sanktionen gegeben hatte. An der WM 1985 warf zum Beispiel ein Deutscher dem Schiedsrichter den Ball an den Kopf. Und zwar so heftig, dass der runterging und in den Spital musste. Doch der wurde nie gesperrt.
An der Heim-WM war Osterwalder dann wieder spielberechtigt. Doch mit der Goldmedaille klappte es einmal mehr nicht. Trotzdem schrieben Sie damals Geschichte. Stichwort «Tagesschau».
Das stimmt, das ist wohl bis heute einzigartig in der Geschichte des Schweizer Fernsehens. Wir spielten gegen Pospisil/Pospisil. Weil es Verzögerungen und Unterbrüche gab, war das Spiel um 19.30 Uhr noch nicht zu Ende. Doch der Reporter sagte einfach, ich gebe nicht ab, wir bleiben drauf. Deshalb wurde die «Tagesschau» um ein paar Minuten nach hinten verschoben. In jenem Spiel schlugen wir übrigens erstmals in einer wichtigen Partie die Brüder Pospisil.
Sie wurden insgesamt fünf Mal Vize-Weltmeister und gewannen vier Mal EM-Silber. Wie sehr hadern Sie, dass Sie nie Gold gewonnen haben?
Gar nicht. Ich habe so viel erlebt und die Welt kennengelernt. Deshalb kann ich gut damit leben.
War es mal so richtig knapp?
Zweimal stand es im entscheidenden Spiel nach zweimal sieben Minuten unentschieden, und das Penaltyschiessen musste entscheiden, beide Male gegen Pospisil/Pospisil. Einmal schoss ich ans Kreuz, und der Ball flog hoch. Pospisil jubelte, doch dann kam der Ball wieder runter, fiel auf ihn und von dort ins Tor. Doch weil der Schiedsrichter zuvor schon abgepfiffen hatte, waren sie und nicht wir einmal mehr Weltmeister.
Im Radball kann es manchmal auch wehtun. Was haben Sie alles erlebt?
Das gehörte dazu. Einmal schoss mich ein Deutscher ab, und ich erwachte erst wieder auf dem «Stüehli». Gang und gäbe waren auch ausgerenkte Finger. Doch die renkte man einfach selber wieder ein und spielte weiter.
Jetzt können Sie es ja zugeben: Haben Sie mal betrunken gespielt?
Einmal, das war auch in der Tschechoslowakei. Weil wir noch Restalkohol hatten, verloren wir gegen ein Team, gegen das wir nie und nimmer hätten verlieren dürfen, doch während des Spiels fuhren Georg und ich uns ein paarmal selbst über den Haufen. Lustig war auch die EM in St. Pölten 1977.
Was war da?
Unser Nati-Trainer erklärte uns eines Abends, wir hätten gute Chancen, erstmals eine EM-Medaille zu gewinnen, und wir müssten deshalb früh ins Bett. Doch uns konnte niemand etwas sagen. Deshalb nahmen wir im Hotel zuerst ein Bierli, dann noch ein zweites, drittes und so weiter. Als wir um 7 Uhr morgens ins Zimmer hochliefen, kam uns ein Schiedsrichter entgegen und meinte nur, er hätte nicht schlafen können, weil es offenbar in der Bar so laut gewesen sei. Wir antworteten da nur, dass wir auch nicht schlafen konnten …
Haben Sie eigentlich als Radballer auch mal etwas verdient?
(Lacht.) Es gab nie einen Franken, höchstens mal ein kleines Goldstückli als Belohnung.
Und wie sah Ihr Privatleben aus?
Ich war zweimal verheiratet. Meine erste Frau, mit der ich drei Kinder hatte, verstarb mit 45. Sie hatte früh Krebs, der später wieder zurückkam. Da sagten uns die Ärzte: «Wir können nichts mehr machen. Geniessen Sie noch die paar Monate.»
Wie gingen Sie damit um?
Ich war von heute auf morgen alleinerziehender Vater von drei Teenagern. Später heiratete ich ein zweites Mal und wurde noch zweimal Vater. Doch darüber rede ich nicht sehr gerne.
Warum nicht?
Diese Ehe ging total in die Hosen, und ich habe seit 13 Jahren diese beiden Buben nicht mehr gesehen. Bis vorletzte Woche. Da war ich an einem Jungschwinget in Zuzwil. Als ich einen Kampfrichter sah, dachte ich auf einmal, das könnte mein Sohn sein. Unglaublich, ich musste ihn dann fragen, ob er mein Sohn ist. Er war es tatsächlich, doch leider wechselten wir nur ein paar Worte. Mehr nicht.
Sind Sie trotzdem zufrieden mit Ihrem Leben?
Sehr, denn zu den anderen Kindern habe ich ein sehr gutes Verhältnis. Ich bin mittlerweile auch schon sechsfacher Grossvater, und mit 65 habe ich mir einen grossen Traum erfüllt.
Welchen?
Ich habe die Töff-Prüfung gemacht und lege seitdem mit meiner 1300er-Yamaha pro Jahr bis zu 40’000 Kilometer zurück. Manchmal auch mit meinem älteren Bruder, der nun schon 90 ist und der mit einem 750er-Roller unterwegs ist.
Töfffahren ist kein ungefährliches Hobby. Haben Sie schon brenzlige Situationen erlebt?
Zweimal, doch einmal hat mir ein Töffunfall mein Leben gerettet.
Wie meinen Sie das?
Eine Autofahrerin fuhr voll in mich rein. Zuerst befürchtete man, man müsse mir den rechten Fuss amputieren. Im Spital fanden die Ärzte dann raus, dass meine beiden Aortas komplett verstopft waren. Ich hätte jede Sekunde tot umfallen können. Nur dank des Töffunfalls bin ich nicht gestorben.