Darum gehts
Donnerstag, 26. September 2024
10.00 Uhr: Im zürcherischen Uster erfolgt der Start zum WM-Strassenrennen der U19-Juniorinnen. 120 Fahrerinnen nehmen die 74,8 Kilometer bis ins Ziel in Zürich in Angriff, darunter die 18-jährige Schweizerin Muriel Furrer. Nach einer Runde um den Greifensee geht es auf den sogenannten City Circuit, der zweimal befahren werden muss.
10.59 Uhr: Furrer und die Österreicherin Ramona Griesser bewältigen nebeneinander die harte 18-prozentige Steigung zwischen Zumikon und Küsnacht. Dies belegen Bilder eines Fotografen. Noch ist es gut einen Kilometer bis zum Waldstück, in dem der Unfall passieren wird.
11.03 Uhr: Furrer fährt bei strömendem Regen 400 Meter oberhalb der Unfallstelle an einem Blick-Leserreporter vorbei. Nichts deutet auf das bevorstehende Drama hin. Die Situation an dieser Stelle sieht gemäss dem Video, das Blick vorliegt, wie folgt aus: Zuerst kommen zwei Fahrerinnen. Eineinhalb Sekunden später erscheint eine weitere Fahrerin, an ihrem Hinterrad Furrer. Mit leichtem Rückstand, aber mit Sichtkontakt zur Schweizerin, folgen dann erst einzeln zwei Fahrerinnen und danach ein Dreier-Grüppchen. Acht Sekunden nach Furrer passiert die Österreicherin Griesser diese Stelle.
11.04 Uhr: Etwa zwischen 20 und 30 Sekunden nachdem Furrer den Blick-Leserreporter passiert hat, muss der tragische Unfall in einer leichten Linkskurve der Schmalzgruebstrasse passiert sein. Die Fahrerin, die kurz zuvor bei Furrer war, lässt wenige Tage später Blick ausrichten, dass sie wahrnehmen konnte, wie die Schweizerin von der Strecke abkam. «Den Unfall selber konnte sie nicht sehen, auch wegen der hohen Geschwindigkeit und der rauen Bedingungen», so der Verbandssprecher.
11.14 Uhr: Eine Fünfer-Spitzengruppe überquert in Zürich zum ersten Mal die Ziellinie. Furrer ist eine von zwei Fahrerinnen, die hier die Zwischenzeit nicht auslösen.
Uhrzeit unbekannt: Furrers Eltern haben sich in dieser Rennphase am spektakulären Bergaufstieg in der City an der Zürichbergstrasse positioniert. Ihre Mutter Christine im Dezember 2024 zu «The Athletic»: «Doch Muriel kam nicht vorbei.» Ihr Vater Reto: «Im Mountainbike kommt eher mal ein Sturz oder ein Plattfuss vor, doch bei einem Strassenrennen ist es nicht üblich. Also wurde ich etwas nervös.»
11.45 Uhr: Die Spitzengruppe fährt auf ihrer zweiten Runde an der Unfallstelle vorbei. Vom verhängnisvollen Unfall ist nichts zu sehen.
11.58 Uhr: Die Britin Cat Ferguson erreicht als Erste den Sechseläutenplatz in Zürich und krönt sich zur Weltmeisterin.
Uhrzeit unbekannt: Noch immer weiss niemand, was mit Furrer ist. Kathrin Stirnemann, Trainerin der U19-Frauen, erhält einen Anruf von Vater Reto, wie sie später «The Athletic» erzählt: «Als mich Muriels Vater anrief, sagte ich ihm: ‹Wir suchen sie gerade.› Wir haben herumtelefoniert und bei der Verpflegungszone und bei unserem Arzt im Ziel nachgefragt. Irgendwann war das Rennen vorbei, und wir wussten immer noch nicht, wo Muriel war.»
12.15 Uhr: Auf dem Zürcher Münsterhof werden die beiden Paracycling-Rennen der Kategorien Männer C4–C5 und Männer C3 gestartet. Ihr WM-Lauf führt ebenfalls über den City Circuit.
12.20 Uhr: Der Blick-Leserreporter entfernt sich von seiner Position. Er hat bis zu diesem Zeitpunkt – 75 Minuten nach dem Unfall – keine Sirenen der Ambulanz oder der Polizei gehört.
12.29 Uhr: Mit der Inderin Harshita Jakhar erreicht die letzte Fahrerin des U19-Juniorinnen-Rennens das Ziel. Neun Fahrerinnen erreichen dieses nicht, darunter Furrer.
Uhrzeit unbekannt: Im Zielgelände sind mittlerweile auch Muriel Furrers Eltern angekommen. Sie fragen ihre Schweizer Teamkolleginnen, ob jemand Muriel gesehen hat. Als alle verneinen, steigt die Nervosität immer mehr an.
12.33 Uhr: Mit diesem Zeitstempel versehen, gibt die UCI das Endergebnis heraus. Furrer und die weiteren Ausgeschiedenen werden wie gewohnt als DNF bezeichnet («Did not finish», d. h. nicht im Ziel).
12.36 Uhr: Gemäss «The Athletic» versucht Muriels Mutter Christine, ihre Tochter anzurufen. Vergeblich.
Uhrzeit unbekannt: Michael T.*, der an diesem Tag für die WM im Einsatz ist, entdeckt per Zufall Muriel Furrer im Wald. «Ich beobachte gerne den Wald, weil man da oft Wildtiere sieht. So bin ich auch die Strasse runtergelaufen und habe in den Wald geschaut. Dort ist mir dann das farbige, rote Dress auf dem grün-braunen Boden aufgefallen», erklärt T. diese Woche Blick. Und weiter: «Mein erster Gedanke? Das ist ein Mitglied des Zivildienstes, das sich bis zum nächsten Rennen hingelegt hat, was bekannterweise nicht zutreffend war. Daraufhin habe ich sofort per Funk den Unfall gemeldet. Anschliessend hat alles seinen Lauf genommen.»
12.45 Uhr: Als die Paracycling-Fahrer an der Unfallstelle von Furrer vorbeifahren, stehen dort zwei Krankenwagen, ein Polizeiauto, ein Auto von Swiss Cycling und ein weiteres Begleitfahrzeug. Gemäss Blick-Informationen sind die Rettungskräfte eben erst eingetroffen.
12.52 Uhr: In Dübendorf startet ein Rega-Rettungshelikopter in Richtung Unfallstelle.
12.56 Uhr: Unterhalb des Waldes landet dieser Hubschrauber vier Minuten später auf einer Wiese.
13.32 Uhr: Der Helikopter hebt ab und landet drei Minuten später beim Zürcher Unispital.
18.32 Uhr: In einer gemeinsamen Mitteilung geben die UCI, Swiss Cycling und das Zürcher WM-OK bekannt, dass die Zürcherin während des Rennens schwer gestürzt ist. «Sie erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und befindet sich in einem sehr kritischen Zustand.»
Freitag, 27. September 2024
15.00 Uhr: Die traurige Gewissheit: Der Radsport-Weltverband UCI gibt bekannt, dass Muriel Furrer 18-jährig den Folgen ihres Schädel-Hirn-Traumas erlegen ist.
* Name der Redaktion bekannt