Proteste gegen die Menschenrechts-Situation beim WM-Ausrichter
Zeichen gegen Katar sollen WM-Alltag werden

Kein Qualifikationstag mehr ohne Proteste gegen die Menschenrechts-Situation im Land des WM-Ausrichters 2022. Nach Norwegen und Deutschland protestierten gestern auch die Holländer gegen Katar. Heute folgt Dänemark. Nicht aber die Schweiz.
Publiziert: 28.03.2021 um 16:06 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2021 um 15:58 Uhr
Die Gastarbeiter aus Asien sollen systematisch ausgebeutet werden, wird moniert.
Foto: AFP
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Alain Kunz

Was mit Norwegen vor vor Tagen beginnt, ist weder Eintagsfliege noch Einzeltat. Ein paar Tage später ist es Deutschland, das auf die Menschenrechts-Situation in Katar hinweist. Gestern folgt Holland sowie der zweite Teil des Norwegen-Protests. Die Skandinavier tragen vor dem Spiel gegen die Türkei T-Shirts mit der Aufschrift «Menschenrechte auf und neben dem Platz. Norwegen, Deutschland - wer als Nächstes?»

Nun, die Holländer streckten sogleich die Arme in die Höhe: Wir! Vor dem Spiel gegen Lettland vor 5000 Fans (!) in der Johan-Cruyff-Arena tragen die Oranje-Stars Shirts mit dem Slogan «Football Supports Change» («Fussball unterstützt Wandel»), der eine gleichnamige Kampagne einleiten soll. Daran beteiligt sich auch Dänemark. Weitere Mannschaften sollen folgen. Nicht aber die Schweiz. Zumindest heute nicht. Dies habe eine interne Absprache im Team ergeben.

Der Slogan war auch auf Armbinden zu sehen. «Wir tragen diese Binden, um Freiheit, Toleranz und Inklusion zu unterstützen. Der Fussball sollte Wandel unterstützen. Auch in Katar. In Katar wollen wir Weltmeister werden, aber nicht, ohne über den Tellerrand zu schauen», hiess es in einer Erklärung der neuen Bewegung. Der holländische Verband erklärte, schon 2010 in Opposition zum WM-Gastgeber Katar gegangen zu sein.

Kimmich: «Zehn Jahre zu spät für Boykott»

Deutschland seinerseits hatte vor dem Spiel gegen Island auf selbstgemalte Shirts gesetzt. Auf der Brust jedes Spielers prangte ein Buchstaben, die zusammengesetzt das Wort «Human Rights» ergaben. Die Protestaktion der Mannschaft von Jogi Löw sei eine Aktion, die von den Spielern initiiert worden sei, so Bayern-Star Leon Goretzka: «Wir möchten der Gesellschaft verdeutlichen, dass wir das nicht ignorieren, sondern ganz klar machen, welche Bedingungen da herrschen müssen. Wir haben eine grosse Reichweite und wollen die für dieses Zeichen nutzen.» Auch Bundestrainer Jogi Löw steht voll hinter der Aktion. Ist er gar das Ausrufezeichen dahinter? «Absolut», sagte Löw.

Er verteidigte die Aktion, die in Deutschland zu Kritik führte und zum Vorwurf, das Ganze sei eine Marketing-Aktion des DFB, auch weil ein Hochglanzvideo mit dem Bemalen der Shirts durch die Spieler gepostet wurde: «Wenn jemand denkt, dass unsere Spieler, Manuel Neuer, Ilkay Gündogan, sich aus Marketinggründen vor so einen Karren spannen lassen, der irrt gewaltig. Unsere Spieler sind sehr, sehr interessiert und wissen, was in der Welt passiert», so Löw an der Pressekonferenz vor dem heutigen Spiel in Rumänien. Auch Joshua Kimmich stellte sich voll und ganz hinter die Aktion, lobte lächelnd die exzellente Arbeit der Kameraleute, und sagte zum Thema Boykott: «Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind. Jetzt muss man die Gelegenheit nutzen, mit der Strahlkraft, die wir haben, die Dinge anzusprechen.»

Haalands Norweger waren die ersten

Die Norweger um Superstar Erling Haaland hatten am Mittwoch vor dem Spiel in Gibraltar Shirts mit dem Aufdruck «Menschenrechte – auf und neben dem Platz» zur Nationalhymne getragen. Eine Aktion, die in Norwegen einheitlichen Zuspruch fand – anders als in Deutschland. Auch Trainer Stale Solbakken verteidigte sie zu hundert Prozent, trug das Shirt gar das ganze Spiel über unter seinem Sakko. Anders als die meisten, auch als sein Trainer-Kontrahent aus Gibraltar, sagte Stolbakken klar, dass für ihn Sport und Politik sehr wohl miteinander verbunden seien. Und dass der Sport in der Lage sei, Botschaften zu senden. Julio Ribas hingegen, der Sportsfreund aus dem Ministaat, sagte, Menschenrechte hätten nichts mit Fussball zu tun. Er hätte seinen Spielern so eine Aktion niemals erlaubt. Solbakken nannte diese Aussage kurz und trocken «sinnlos».

Keine Sanktionen durch die Fifa

Die Protestaktionen sind fussballreglementarisch offiziell illegal. Fifa und Uefa haben politische Botschaften nach dem Ausrollen des «Stop it Chirac»-Plakats durch die Schweizer Nati in Schweden 1995 verboten. Alain Sutter und Co. hatten damals gegen die französischen Atomtests protestiert. Dennoch wird es keine Sanktionen gegen Norwegen, Deutschland und Co. geben. Dies hat die Fifa am Freitag bestätigt. «Wir glauben an die Meinungsfreiheit und an die Kraft des Fussballs, den positiven Wandel voranzutreiben», verkündete sie gegenüber der Deutschen Presseagentur.

In Norwegen ist gar eine Boykott-Diskussion angestossen worden. Aber bei der Jahresversammlung des Norwegischen Fussballverbandes stimmten nur 61 Klubvertreter dafür, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. 146 waren dagegen. Es wird also kaum etwas werden aus dem norwegischen Boykott.

6500 tote Gastarbeiter laut «Guardian»

Ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit und der Nationalspieler geriet die Situation in Katar durch einen Bericht der englischen Zeitung «The Guardian»: Über 6500 getötete Gastarbeiter aus Indien, Bangladesch, Sri Lanka, Pakistan und Nepal! Eine Zahl, die noch höher sein dürfte, denn Kenia und die Philippinen haben keine Angaben gemacht. «Die Zahl 6500 ist natürlich zutiefst alarmierend», so Regina Spöttl, Katar-Expertin der Menschenrechts-Organisation Amnesty International (AI) zum deutschen «Tagesspiegel», aber es sei «sehr schwierig zu überprüfen, wie viele Todesfälle es im Umfeld der WM gegeben habe.» Fifa-Präsident Gianni Infantino sagte unlängst auf einer Pressekonferenz: «Seit Konstruktionsbeginn 2014 sind drei Gastarbeiter auf Stadion-Baustellen ums Leben gekommen. Dazu 34 WM-Arbeiter, die anderweitig gestorben sind.» Die Unfall-Häufigkeit auf Fifa-Baustellen sei gering im Vergleich zu anderen grossen Bauprojekten der Welt, so die Fifa auf Nachfrage von SonntagsBlick. Die katarische Regierung ihrerseits wies darauf hin, dass sich die Mortalitätsrate im Rahmen der demographischen Erwartung befinde.

Das ist Katar

Das Emirat Katar ist eine an Saudi-Arabien angrenzende Halbinsel im Persischen Golf, die rund dreimal kleiner ist als die Schweiz und 2,7 Millionen Einwohner hat. Davon sind zwei Millionen Gastarbeiter und nur 300 000 Katari. Diese verdienen durchschnittlich 9000 Euro, was das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt ist. Katar kennt keine Gewaltenteilung und hat kein Parlament, stattdessen eine rigide Monarchie als Regierungsform mit dem allmächtigen Emir an der Spitze, der Staatsoberhaupt, Regierungschef und oberster Richter in Personalunion ist. Amnesty International zufolge werden die Menschenrechte, wie zum Beispiel die Presse-, Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, eklatant missachtet. Print, Radio, TV sowie das Internet werden staatlich zensuriert. Unabhängige politische Parteien werden nicht geduldet. Frauen werden nach wie vor sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben diskriminiert. Auf Homosexualität stehen bis zu drei Jahre Gefängnis.

(A.Ku.)

Die Skyline von Katars Hauptstadt Dohas ist eine der beeindruckendsten der Welt
Getty Images/Robert Harding World Imagery

Das Emirat Katar ist eine an Saudi-Arabien angrenzende Halbinsel im Persischen Golf, die rund dreimal kleiner ist als die Schweiz und 2,7 Millionen Einwohner hat. Davon sind zwei Millionen Gastarbeiter und nur 300 000 Katari. Diese verdienen durchschnittlich 9000 Euro, was das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt ist. Katar kennt keine Gewaltenteilung und hat kein Parlament, stattdessen eine rigide Monarchie als Regierungsform mit dem allmächtigen Emir an der Spitze, der Staatsoberhaupt, Regierungschef und oberster Richter in Personalunion ist. Amnesty International zufolge werden die Menschenrechte, wie zum Beispiel die Presse-, Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, eklatant missachtet. Print, Radio, TV sowie das Internet werden staatlich zensuriert. Unabhängige politische Parteien werden nicht geduldet. Frauen werden nach wie vor sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben diskriminiert. Auf Homosexualität stehen bis zu drei Jahre Gefängnis.

(A.Ku.)

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Infantino: «WM war der Katalysator»

Doch wie schauts aktuell aus auf den WM-Baustellen in Katar? Eines sagen alle Involvierten: Die Zustände seien besser als vor ein paar Jahren. Besser, aber bei Weitem nicht gut. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) findet, dass ein WM-Boykott der falsche Weg sei. «Es gibt Fortschritte, und mit einem Boykott würden diese um Jahre zurückgeworfen werden», so Regina Spöttl. Katar habe sich durchaus gesprächsbereit gezeigt und habe Reformen angestossen. Gianni Infantino sieht die Fifa-WM als Katalysator der Weiterentwicklung in Katar: «Katar brauchte ein paar wenige Jahre für Verbesserungen, für die man in Europa Hunderte von Jahren gebraucht hat.»

Für Amnesty reichen die Reformen nicht

Klar: Es ist einfach, markante Verbesserungen zu vermelden, wenn quasi nicht-existente Menschenrechte der Startpunkt sind. Weshalb Spöttl von AI klar fordert: «Diese Reformen reichen bei weitem nicht aus. Es muss mehr getan werden, um die GastarbeiterInnen zu schützen.»

Der Welt-Fussballverband verspricht, die Situation durch unabhängige Experten überprüfen und durch eine internationale Gewerkschaft regelmässig inspizieren zu lassen. AI und einige Fussball-Exponenten werden nicht locker lassen. «Wir wollen die Fifa unter Druck setzen, damit sie gegenüber Katar härter auftritt», hat Norwegens Coach Solbakken angekündigt.

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