Darum gehts
«Wir beginnen nicht bei null.» Ancillo Canepas Einschätzung ist aus rein tabellarischer Sicht nicht zu widerlegen. Der FCZ startet als Nummer 7 der letzten Saison in den Sommer. Spannend ist, dass das Ensemble, das im letzten Super-League-Frühling schwer enttäuschte, kein personelles Upgrade hinter sich hat. Im Gegenteil: Ausser im Fall von Samuel Ballet verzichtet Zürich auf sämtliche Kauf-Optionen. Die Stärke muss kostenbedingt von innen kommen, die Macher sind gezwungen, stille Kaderreserven freizulegen. Oder anders formuliert: Die Juwelen aus der vereinseigenen Akademie müssen so rasch wie möglich glänzen.
Beim Ausblick auf die neue Saison rückt die Zürcher Führungscrew den neuen Trainer Mitchell van der Gaag (53) markant in den Mittelpunkt. Der langjährige Assistent von Ajax und Manchester United muss sich in den kommenden Wochen ein Bild verschaffen, welchen Talenten zuzutrauen ist, den FCZ möglichst rasch wieder an die erweiterte Spitze zu bringen. Mit wertvoller Routine und stabilen Neuzugängen darf der Holländer nicht rechnen. Er wird sich vor allem rund um das Home of FCZ umsehen müssen.
Der Mann, dessen Familie in Lissabon lebt, hat in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten viel durchgemacht. «Turbulentes, Schwieriges und Schönes», wie er selber sagt. Er mag den «totalen Fussball» ebenso wie ein System mit klaren Strukturen. Van der Gaag hat die Intensität der Premier League erlebt. Er wirkt belastbar genug, die speziellen Herausforderungen im unberechenbaren FCZ-Kosmos aushalten zu können. Und er spricht wie eine ehrliche Haut: «Am Anfang ist immer Honeymoon. Da klingt alles schön und gut.»
Die letzte Chance
Auch mit der Nähe von Milos Malenovic wird er umgehen müssen. Reibungspunkte gehören für ihn dazu, sie sind Teil seiner persönlichen Feedback-Kultur. Der Sportchef Zürichs ist bekannt dafür, nicht nur Ideen und eine klare Philosophie zu haben, er pocht im Regelfall auch darauf, sie konsequent umzusetzen. Für ihn steht nicht zur Debatte, woher die künftigen Leistungsträger kommen müssen: «Die Akademie ist das Herz!»
Am hauseigenen Personal führt für Van der Gaag gar kein Pfad vorbei. Die riskante Strategie ist nicht neu, aber alternativlos: Der frühere Ajax-Nachwuchs-Selektionär soll jetzt der neue FCZ-Bessermacher sein. Den Weg ohne Abzweigungen gibt der Sportchef selbst vor, die ideale Linienwahl zwischen allen Interessengruppen ist Van der Gaag vorbehalten. Für den Ausbildner mit Format ist es eine gewaltige Challenge und für den FCZ wohl die letzte Chance, im aktuellen Vereins-Set-up die Ziele zu erreichen.
Wie umfassend die Hoffnungen mit der Personalie Van Gaag verlinkt sind, verdeutlicht das Statement von Ancillo Canepa zur Zusammenarbeit mit dem Holländer: «Es ist eine Ehre.» In welch detaillierter Weise der frühere Ajax- und Manchester-Assistent seinen Game-Plan für den FCZ präsentiert hat, bringt den Klubchef ins Schwärmen: «Das habe ich in dieser Qualität in 20 Jahren noch nie erlebt.»
Komplexes Jobprofil
Ob einer, der im Umgang mit Super-Stars wie Cristiano Ronaldo den richtigen Ton gefunden hat, aus weitaus weniger klingenden Namen viel machen kann, wird sich zeitnah herausstellen. Den FCZ von der permanenten Unruhe, vom Unsteten der letzten missratenen Saison zu befreien, wird am neuen Arbeitsort Teil des komplexen Jobprofils sein.
Den Fall in die Relegation Group haben die Entscheidungsträger zwar nicht explizit als Katastrophe gewertet, aber das wirtschaftliche Nachbeben ist spürbar. So jedenfalls ist Ancillo Canepas Ankündigung zu interpretieren: «Es gibt Kostensenkungsprogramme. Dinge, die nice to have sind, werden runtergefahren.» Er und seine Frau haben es satt, mit privatem Geld fortwährend Fehler solo zu begleichen.
Mit dem grossen Sparhammer ist trotz erneut fehlender Europacup-Einnahmen (noch) nicht zu rechnen. Aber der Spielraum wird für alle Beteiligten kleiner. Daran ändert der Optimismus beim ersten Wiedersehen mit den Journalisten nichts - ebenso wenig die vorfreudige Botschaft in seinem 19. Präsidentschafts-Jahr: Es könne und müsse vor allem wieder aufwärtsgehen.