Als das letzte Mal der schottische Fussballmeister nicht Celtic oder Rangers hiess, existierte die Sowjetunion noch. Mit Elisabeth Kopp (1936–2023) sass gerade erstmals eine Frau im Schweizer Bundesrat und im Nordatlantik wurde das Schiffswrack der Titanic entdeckt.
Das war 1985. Damals jubelte der FC Aberdeen mit einem gewissen Alex Ferguson (83) als Trainer am Ende der Saison. Seither teilten sich die Liga-Schwergewichte Celtic (22) und Rangers (18) sämtliche 40 Meisterschaften untereinander auf.
Ein echter Herausforderer ausserhalb der Stadtgrenze war kaum jemals in Sicht. Bis jetzt.
Nach neun Runden thront der Heart of Midlothian FC, kurz Hearts genannt, aus der Hauptstadt Edinburgh überraschend an der Tabellenspitze. Bereits acht Punkte Vorsprung haben sich die Hearts auf Celtic erarbeitet. Die letzten drei folgten am Sonntag mit einem 3:1-Heimsieg im Direktduell gegen Celtic, der im heimischen Tynecastle Park frenetisch gefeiert wurde. «Kaum jemand hätte das erwartet – vor allem nicht so deutlich», erklärt Barry Anderson, Hearts-Reporter der «Edinburgh Evening News» im Gespräch mit Blick.
Auch wenn die Saison noch jung ist: Der erste Schritt zur Sensation in der schottischen Premiership ist geschafft.
Von Euphorie will niemand etwas wissen
Von all dem will der Klub zu diesem Zeitpunkt aber noch überhaupt nichts wissen. Trainer Derek McInnes (54) beschäftige sich noch nicht mit der Tabelle. Erst nach zwei Duellen gegen jeden Gegner in der 12er-Liga, die selbstredend auch im in der Super League gebräuchlichen schottischen Modus gespielt wird, wolle er schauen, wo das Team steht, erklärt Sportjournalist Anderson.
Und die Fans? Träumen die schon vom ersten Titel seit 1960?
Nichts da, erklärt Anderson, der seit 20 Jahren über die Hearts berichtet: «Niemand bemalt bereits den Bus und plant die Route für die Siegesparade.» Als schottischer Fan habe man schon zu oft miterlebt, wie Erfolge noch aus der Hand gegeben wurden. Aberdeen beispielsweise war zu diesem Zeitpunkt in der letzten Saison noch punktgleich mit Leader Celtic, am Ende wurde es Platz fünf mit 39 Punkten Rückstand.
Mit Sportwetten-Millionär an die Tabellenspitze
Und doch ist den Hearts der Coup zuzutrauen. Das Team hat sich auf dem Transfermarkt klug verstärkt. Eine entscheidende Rolle spielten dabei auch die speziellen Besitzverhältnisse des Klubs. Seit Juni hält Tony Bloom (55) 29 Prozent des Vereins. Der Engländer ist kein gewöhnlicher Klubbesitzer. Neben seinem neusten Investment in Schottland ist er Präsident und Mehrheitseigner des englischen Premier-Ligisten Brighton and Hove Albion. Zudem besitzt er Anteile am belgischen Champions-League-Teilnehmer Union Saint-Gilloise und dem australischen Klub Melbourne Victory.
Mehrheitlich durch systematische Sportwetten machte der Unternehmer ein Vermögen. Ähnlich geht er auch als Klubbesitzer vor. Seine Firma Jamestown Analytics betreibt ein datengetriebenes System zur effizienteren Spielerrekrutierung. Und die Erfolge sind eindrücklich.
Bei der Übernahme durch Bloom spielte Brighton noch in der dritten Liga. Seit dem Aufstieg in die Premier League 2017 – nach 34 Jahren Abwesenheit aus der höchsten Liga – ist man nicht mehr abgestiegen und zählt mittlerweile zu den Europacup-Kandidaten. Einmal erreichten die Südengländer das internationale Geschäft bereits (2024). Union Saint-Gilloise spielte vor Blooms Einstieg noch in der zweiten belgischen Liga. Mittlerweile ist man Meister und spielt in der Königsklasse.
Schon etliche Spieler, unter anderem Nati-Hoffnung Cameron Puertas (27), Liverpools Alexis Mac Allister oder Moises Caicedo von Chelsea, brachten die Bloom-Klubs gross raus.
Fan-Rettung nach Bankrott
Ob nun bald auch bei Heart of Midlothian die Millionen fliessen, wird sich zeigen. Einige Sommertransfers ohne grossen Namen mischen die schottische Liga bereits mächtig auf. Der griechische Linksaussen Alexandros Kyziridis (24) kam ablösefrei aus der Slowakei und hat bereits drei Tore und vier Assists auf dem Konto. Den portugiesischen Stürmer Cláudio Braga (25) hat man für wenig Geld in Norwegen aufgespürt. Fünf Tore in den ersten neun Runden können sich sehen lassen.
Der Trend zeigt im Westen Edinburghs nach schwierigen Jahren klar nach oben. 2013 ging der Verein unter einem litauisch-russischen Besitzer noch bankrott. Mithilfe der Fans konnte der Klub am Leben gehalten werden. Seit 2021 ist die Foundation of Hearts offiziell Mehrheitseignerin und macht die Hearts zum grössten Klub Grossbritanniens, der den Fans gehört. Ein Meistertitel würde darum viele Herzen höher schlagen lassen – und in Glasgow ebendiese brechen.

