Darum gehts
- Gladbach am Tabellenende, Krise nach 4:6-Debakel gegen Frankfurt
- Trainer Eugen Polanski übernimmt zerrüttetes und verunsichertes Team
- Über 54'000 Zuschauer wütend, Sportchef Virkus unter Druck
«Gladbach in Trümmern!» Die «Kicker-Experten» sind in der Regel nicht für die ganz grossen Schlagzeilen zuständig. Aber im Fall von Mönchengladbach streift selbst das Fachblatt die nüchterne Zurückhaltung ab. Zu viel liegt am Niederrhein im Argen.
Erstmals seit über einer Dekade ist die Borussia ganz unten angekommen im Bundesliga-Ranking. Platz 18, tiefer geht nicht. Für die «Bild» sind die notorischen Versager vor allem etwas: «Schlaffis!»
Die Schockwelle des 4:6-Debakels gegen Frankfurt ebbt nicht ab. Die kolossal schlechten ersten 47 Minuten und der vorübergehende 0:6-Rückstand haben eine Grundsatzdebatte ausgelöst. Es ist im Zusammenhang mit der Fohlen-Elf rund um den Schweizer Nico Elvedi von Auflösungserscheinungen die Rede. Dunkle Erinnerungen werden wach – an den schwierigen Herbst 2006. Damals steckt die deutsche Trainer-Ikone Heynckes tief im Sumpf. Kurz nach nach dem Jahreswechsel zieht sich «Don Jupp» entnervt zurück, wenig später steigt Gladbach zum zweiten und bisher letzten Mal in seiner Vereinsgeschichte ab.
Gladbach ist ein zerrüttetes und verunsichertes Team
Exakt vor zehn Jahren sehen sich die Fans in Mönchengladbach mit einer ähnlichen Konstellation konfrontiert. Lucien Favre, in seiner besten Saison umjubelter Liga-Dritter und Mönchengladbacher Champions-League-Pionier, steigt nach fünf Fehltritten in den ersten fünf Runden über Nacht aus dem Projekt aus. Sein Nachfolger kommt aus der vereinseigenen U23: André Schubert führt die Mannschaft zurück ins europäische Geschäft. Nun kopiert Roland Virkus seinen Vorgänger Max Eberl. Eugen Polanski, bisher in 108 Partien für den Nachwuchs beschäftigt und einst für ein paar St. Galler Tage Praktikant im Stab von Peter Zeidler, soll die Scherben beseitigen.
Nur: Der Rookie Polanski übernimmt kein Klasse-Team ausser Form (wie damals Schubert), sondern eine zerrüttete und verunsicherte Auswahl. Anders sind die Auszüge aus einem Interview nicht zu deuten, das der US-Stammspieler Joe Scally einer Bundesliga-Plattform gewährt hat: «Wir haben zu viele Egos in unserem Team. Wir machen unsere Arbeit nicht. Wir denken, dass wir mehr können, als wir wirklich können.» Dieser Rundumschlag sitzt und zeigt vor allem etwas: Elf Freunde sind nicht mehr am Werk.
Analyst Kellermann und die Borussia-Krisen
«Im Verein herrscht Unruhe», meldet Karsten Kellermann aus der nordrhein-westfälischen Stadt. Der Reporter verfolgt den Bundesligisten seit über 25 Jahren für die «Rheinische Post» und hat diverse Krisen analysiert. «Das Spiel gegen die Eintracht wird ein Beschleuniger in vielen Dingen sein. In der Länderspielpause wird es wohl Antworten auf ganz viele Fragen geben», prophezeit Kellermann. «Die Gladbacher müssen zwar aktuell mit wenig Geld auskommen. Aber die Mannschaft sollte trotzdem in der Lage sein, im Mittelfeld der Tabelle mitzuspielen.»
Von ihrer Zielsetzung, am Ende einstellig klassiert zu sein, ist die Borussia momentan weit entfernt. Seit der Freistellung des Schweizers Gerardo Seoane vor etwas mehr als zwei Wochen geht der Sinkflug unvermindert weiter. Innerhalb der letzten fünf Jahre kommt es zu einem schleichenden Substanzverlust. Nach der letzten Champions-League-Teilnahme 2020 geht der sportliche Kompass verloren.
Der Eberl-Nachfolger wirkt angezählt
Der ablösefreie Abgang von Marcus Thuram (inzwischen mit einem Marktwert von 75 Millionen bei Inter) steht sinnbildlich für das systematische Downgrading und ist auch im Zusammenhang mit Eberls Demission zu sehen. Der heutige Bayern-Sportvorstand stürzt sich und die Gladbacher Entscheidungsträger im Januar 2022 in eine Sinnkrise, die bis heute nicht restlos bewältigt ist. Sein Nachfolger Virkus kennt nach 35-jähriger Borussen-Tätigkeit jeden Winkel im Klub, gilt aber als ein spröder Gegenentwurf.
Nun wirkt und wird Virkus angezählt: Der erboste Teil der über 54’000 Zuschauer hat sich auf den 58-Jährigen eingeschossen. Den Klubchefs sind die Schmährufe nicht entgangen, das Klima wirkt toxisch. Jedes Personaldossier werde wohl in den kommenden zwei Wochen geprüft, vermutet Beobachter Kellermann: «Dazu gehört auch die Position des Sportchefs.»