«Ich war total am Anschlag»
FCL-Talent startet nach langer Leidenszeit durch

Luzerns Mittelfeld-Schrittmacher Tyron Owusu (22) besitzt das Talent von Ardon Jashari, wird aber jahrelang vom eigenen Körper gestoppt. Dank intensiver Betreuung findet der 22-Jährige aus einer tiefen Krise voller Selbstzweifel: «Ich habe bei null beginnen müssen.»
Publiziert: 00:03 Uhr
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Tyron Owusu ist nach jahrelangen Rückschlägen auf der Luzerner Überholspur.
Foto: Pius Koller

Darum gehts

  • Owusu hat sich in der Liga etabliert und übernimmt mehr Verantwortung
  • Trainer vergleicht ihn mit Lothar Matthäus wegen Dynamik und Ballführung
  • Mittelfeldspieler debütierte vor vier Jahren als 17-Jähriger in St. Gallen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven SchochReporter Sport

Im letzten Duell mit dem Titelhalter Basel (2:1) ist Tyron Owusu nicht zu stoppen und mit zwei Skorerpunkten massgeblich am jüngsten Innerschweizer Coup beteiligt. Seine Präsenz ist auffällig, sein Speed ebenso. So spielt einer, der über sich sagt: «Ich fühle mich extrem wohl, ich habe meinen Platz gefunden.» Der 22-Jährige ist ein weiterer Akteur aus dem eigenen Talentschuppen, dem Experten in naher Zukunft einen markanten Vorwärtsschritt zutrauen. Für ihn selber sind diese Prognosen unerheblich: «Es geht um das Hier und Jetzt, um meine Weiterentwicklung. Ich will primär mehr Verantwortung übernehmen. Alles andere kommt automatisch.»

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Owusu redet, wie er spielt: überlegt, pragmatisch, unaufgeregt. «Ich bin kein Lautsprecher, ich gehe mit Leistung voran», beschreibt er im Gespräch mit Blick sein eigenes Profil. Nichts kommt für ihn vor dem Team. Für seine Mitspieler legt er sich ins Zeug: «Ich laufe so viel wie möglich, schliesse die Lücke, finde Wege.» Er ist ein Schwerarbeiter mit sehr gutem Raum- und Zeitgefühl: «Das beschreibt meine Rolle wohl am besten.» Der Sohn des früheren Kriens-Profis Benson Owusu ist angekommen: «Ich habe mich in der Super League etabliert.»

Der Vergleich mit dem jungen Matthäus

Coach Mario Frick stellt nach dem herausragenden Match in Basel eine gigantische Kapelle auf: «Er hat eine wahnsinnige Dynamik und erinnert mich wirklich sehr an den frühen Lothar Matthäus. Wenn er mit dem Ball anzieht, wird es extrem schwierig, ihn zu verteidigen.» Grosse Trainer-Worte für einen, der früher als das grosse Nati-Versprechen Ardon Jashari (23) in der Super League debütiert hat und «eine wahnsinnig lange Leidensgeschichte hinter sich hat», wie Frick nachschiebt. Erst vier komplizierte Jahre nach dem Einstand als 17-Jähriger in St. Gallen (beim 1:4 am 16. Juli 2020) folgt im vorletzten Sommer die Fortsetzung der Profikarriere gegen Servette (1:2). 

«Sie hatten nur Halb-Chancen – keine ganz grossen»
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Owusu: verdienter FCL-Sieg:«Sie hatten nur Halb-Chancen – keine ganz grossen»

Die Erinnerungen an die ersten Liga-Minuten sind dennoch scharf, weil die Begleitumstände im Rückblick schon fast bizarr wirken: «Es war während Corona, in einem leeren Stadion. Ich bewegte mich sehr planlos, ich lief einfach herum. Ich wusste gar nicht, was ich zu tun hatte.» Und doch: «Es war ein super schöner Moment.» Doch die kurze Glückseligkeit verflüchtigt sich, Turbulenzen erfassen den Teenager, der Körper streikt. Owusu fällt tief, richtig tief. Er verschwindet komplett vom Radar: «Ich habe bei null beginnen müssen. Und ich stellte mir die Frage, ob ich überhaupt noch die Qualität habe, auf diesem Niveau mitzuhalten.» 

Was ist passiert, weshalb kommt es zum Absturz? Owusu, mitten in der KV-Ausbildung stehend, tut sich schwer mit dem Druck, in allen Bereichen gleichzeitig ans Limit gehen zu müssen. Auszeiten sind nahezu nicht möglich. Deshalb zieht das Management die Reissleine: Das fragile Talent wird in die U21 zurückgeschickt – weg vom Scheinwerferlicht, zurück auf Feld 1. «Aber ich erlitt auch da wieder Rückschläge. Eine Verletzung folgte der nächsten. Ich habe mich kaum mehr selber erkannt, musste mich wiederfinden. Ich war total am Anschlag.»

Der Spieler spricht von einem ellenlangen Prozess, von erheblichen Selbstzweifeln, von Momenten, «in denen man das Vertrauen in sich selber verliert. Als junger Mensch tut man sich schwer damit, da fehlt der Blick fürs Ganze». Den Ausweg aus der Krise findet er erst, «als ich verstanden habe, was ich brauche, wie mein Körper funktioniert». Der Verein bietet ihm ununterbrochen Halt, setzt weiterhin auf ihn, stellt medizinische Hilfe zur Verfügung. Sein Agent vermittelt ihm Kontakte, die ihm in der Prävention neue Möglichkeiten aufzeigen. «Sie liessen mich nie hängen.»

«Was tut mir gut, was nicht?»

Owusus Dankbarkeit ist spür- und hörbar: «Zum Glück lernte ich die richtigen Leute kennen, die mir Mut zugesprochen haben. Sie halfen mir, das Vertrauen wiederaufzubauen.» Physios, Mental-Coaches, Personal-Trainer – der Jungstar investiert zusammen mit dem Klub und seiner eigenen Entourage viel in das Comeback. «Mein Berater hat mir den Zugang zu Spezialisten verschafft, mit denen ich bis heute eng zusammenarbeite.» Auf eine sinnvolle Ernährung achtet der Mittelfeld-Puncher schon länger, bewusste Auszeiten gehören ebenso zum Programm. 

Immer wieder stellt er sich die simple Frage: «Was tut mir gut, was nicht?» Die Neuro-Athletik beispielsweise, die vor allem das Gehirn und das Nervensystem aktivieren soll. Owusu befasst sich seit der Sommerpause intensiv mit dieser Methodik. «Es geht um diverse Themen, die mir bei der Orientierung helfen, die meine Reaktionsfähigkeit verbessern. Ich kann gewisse Dinge schneller verarbeiten und mit stressigen Situationen besser umgehen.» Häufig setzt er sich eine Brille mit gefärbten Gläsern auf: «Ich spreche gut auf Rot an – diese Farbe entspannt mich. Wenn ich sie abends trage, fühle ich mich wohler, kann mich besser konzentrieren.»

Ihm sei selbstredend klar, dass die Zusatzschleife im Neuro-Trainingsbereich «aus mir nicht per se einen besseren Fussballer macht. Die Performance auf dem Platz ist weiterhin entscheidend. Aber es sind wichtige Elemente, auf die ich mich abstützen kann». Im Spielzentrum falle es ihm dank der verfeinerten Augen-Fuss-Koordination einfacher, die Übersicht zu behalten; seine Passsicherheit und die auffällig tiefe Foul-Quote sind ein Beleg dafür. «Ich habe an vielen kleinen Schrauben gedreht.»

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